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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sternekoch Tim Raue So viel hat er bei "Herr Raue reist" zugenommen
Sternekoch Tim Raue reist wieder. Mit t-online spricht er über sein Gewicht und wie schwer ihn soziale Ungleichheit belastet – ob in Kapstadt oder Berlin.
Tim Raue ist einer der renommiertesten Köche der Welt. Sein Restaurant in der Hauptstadt klettert in der "The World's 50 Best Restaurants"-Liste kontinuierlich nach oben. Mittlerweile belegt der in Berlin-Kreuzberg geborene Zwei-Sterne-Koch den 26. Platz. Platz 26 von gefühlt Millionen Restaurants auf der gesamten Erde. Eine Handvoll davon besucht der 48-Jährige in seiner Magenta-TV-Serie "Herr Raue reist! So schmeckt die Welt", die gerade in eine zweite Staffel gestartet ist.
t-online: Laden Ihre Freunde Sie zu sich nach Hause zum Essen ein?
Tim Raue: Ja, da gibt es schon welche, die das machen. Aber grundsätzlich gehe ich am liebsten essen. Das ist für mich die unkomplizierteste Art, Menschen zu treffen. Ich bin total gerne Gast.
Können Sie das als Profi genießen?
Essen bedeutet für mich immer Entspannung. Alle sitzen an einem Tisch und können sich unterhalten. Ich mag das nicht, wenn die Leute bei sich zu Hause immer aufstehen und Gespräche unterbrochen werden, weil jemand in der Küche etwas machen muss. Ich habe vielleicht ein Dutzend freie Tage im Jahr und wenn ich dann meine Familie und meine Liebsten um mich habe, will ich Ruhe haben. Dann nervt mich das, wenn dieses "Ah, das Fleisch hätte aber noch fünf Minuten länger im Ofen bleiben müssen. Was sagst du denn, Tim?" kommt.
Würden Sie denn anmerken, wenn das Fleisch noch fünf Minuten gebraucht hätte?
Ich würde niemals an einem Essen, was mir Freunde zubereitet haben, nörgeln. Wenn es mir nicht schmeckt, esse ich einfach nicht auf. Wenn mir etwas im Restaurant nicht schmeckt, dann gehe ich einfach nicht mehr hin. Aber ich habe dann nicht den Drang, auf Twitter zu schreiben: "Ich als Tim Raue mochte die Pommes nicht, die muss man anders machen."
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In der neuen Staffel "Herr Raue reist!" reisen Sie unter anderem in ein Township in Kapstadt. Sie besuchen eine Dame, die mit ihren Kindern auf engstem Raum wohnt, und reden mit ihr über die lokale Küche. Erden einen solche Erfahrungen?
Ich bin generell sehr geerdet. Alles, was Sie hier in meinem Büro sehen … Ich weiß, was es gekostet hat und ich weiß, dass ich mir das hart erarbeiten musste. Ich komme aus keiner reichen Familie, sondern habe früh gelernt, dass ich etwas leisten muss, um mir etwas leisten zu können. Aber nichtsdestotrotz ist das eine Sache, wenn man hier durch die Berliner Straßen geht und vieles ausblenden kann. In Südafrika stand ich vor einem Areal, wo 400.000 Menschen gewohnt haben. Keine Postleitzahl, keine Straßennamen, da liefert Amazon nicht hin … Man riecht die Armut dieser Region. Das hat mich nachhaltig beschäftigt.
Suchen Sie sich die Orte, an die Sie reisen, selbst aus?
Zum Teil ja. Ich habe vor Ort die Kontakte. Das heißt: Wenn wir in Lissabon waren, habe ich dort Freunde und Ansprechpartner und die frage ich, wo sie hingehen würden. Zudem müssen wir immer Drehgenehmigungen bei der Tourismusbehörde beantragen, die geben uns natürlich auch Tipps. Dann picke ich mir selbst die Spots raus, die ich am interessantesten finde. Ich nehme mir jeden Drehtag zwei Stunden für mich, weil ich manchmal auch gerne blind durch die Straßen gehe und so Neues entdecke.
Machen Sie das auf Privatreisen auch so?
Ja. Ich gehe unheimlich gerne in einen Bäcker oder zu einem Zeitschriftenhändler und frage, was die Leute in der Stadt essen, wo man etwas Tolles entdecken kann. Das findet man nicht immer in den Reiseführern. Ich will wissen, was eine Region isst.
Sie sind mehrere Tage in einer Stadt und immer wird aufgetischt. Mit Verlaub: Geht das nicht auch auf die Hüften?
Und wie! (lacht) Ich habe in der ersten Staffel den Fehler gemacht, immer brav aufzuessen. Ich habe knapp elf Kilo zugenommen und ein Jahr gebraucht, um das wieder wegzukriegen.
Und dieses Mal?
Dieses Mal habe ich immer so viel probiert, dass ich das Essen einschätzen konnte und dann mit dem Team geteilt. So waren es nach diesen Dreharbeiten nur anderthalb Kilo mehr. Das hatte ich nach einer Woche schon wieder runter.
Irgendwo verständlich. Ich würde da allein aus Höflichkeit auch nicht Nein sagen.
Das kann man oft auch nicht. Zum Beispiel waren wir in Sizilien zu Hause und die Köchin stellt einem eine Schüssel Pasta hin. Da kann man nicht nur zwei Löffel essen – dann kriegt man schon böse Blicke zugeworfen (lacht).
Sie sind zweifacher Sternekoch, haben eines der besten Restaurants der Welt – können Sie bei diesen Reisen noch etwas dazulernen?
Man kann immer wieder etwas lernen. Ich habe in Kapstadt nach fast 15 Jahren wieder Strauß gegessen und das für mich wiederentdeckt. Das ist total mageres, sehr bekömmliches Fleisch. Technisch … Nein, da habe ich keine neuen Impulse gesammelt. Menschlich lerne ich bei dieser Sendung aber sehr viel dazu.
Inwiefern?
Im Fernsehen erlebt man mich immer geradeheraus. Aber eigentlich bin ich ein sehr schüchterner Mensch, der nie von sich aus jemand Fremdes ansprechen würde. Ich finde das total ungehörig, in die Privatsphäre anderer Menschen einzudringen – das muss ich hier aber. Und Kapstadt war extrem hart, weil gerade der Besuch im Township mich zurückgeworfen hat in die Armut meiner Kindheit und mir bewusst gemacht hat, was ich machen muss.
Was denn?
In Kapstadt kann ich natürlich nicht viel erreichen, weil das viel zu weit weg ist. Wir haben hier in Berlin genug anzupacken. Wir haben beispielsweise die Arche. Die hat Tausende von Kindern und Menschen, die hilfsbedürftig sind und da muss ich irgendwas tun.
Man erlebt Sie in der Serie teilweise ungewohnt emotional. Konnten Sie abends im Hotelzimmer abschalten?
Durch meine Arbeit habe ich eine Stärke: Wenn ich ins Bett falle, kann ich nicht mal bis zehn zählen und dann schlafe ich. Ich denke während und nach den Reisen viel über das Erlebte nach. Kapstadt zum Beispiel hat mich viele Wochen begleitet, weil ich mich immer wieder gefragt habe, wie man das ändern kann. Wie kann man allgemein dafür sorgen, dass es dort ein System gibt, dass allen die gleichen Möglichkeiten bietet? Als ich diese erste Folge nach dem Release gesehen habe, hat mich das wieder emotional überwältigt.
Was hat Sie da so mitgenommen?
Dass ich weiß, dass ich alleine nichts an dem dortigen System ändern kann. Dass es ein Prozess ist, den die nächsten Generationen gnadenlos mit durchziehen müssen.
Daher der Anspruch, hier in Berlin etwas verändern zu wollen?
Ganz genau. Für mich ist es wichtig, dass es den Menschen in meinem Umfeld gut geht. Ich möchte meinem Team die bestmöglichen Gehälter zahlen. Wenn ich merke, dass jemand Sorgen und Nöte hat, dann will ich da helfen. Darüber hinaus geht es mir aber auch darum, als Berliner mehr Menschen in Berlin zu helfen.
Wenn ein ausländischer Koch zu Ihnen nach Berlin kommen würde, was würden Sie ihm vorkochen?
Wenn ich für diese Sendung auf Reisen gehe, möchte ich den Trip so komplex und vielschichtig wie möglich gestalten. Ich versuche, das beste Restaurant abzugreifen. Dann irgendwas, was casual ist, wo die Einheimischen hinrennen. Und ich möchte etwas Kulturelles sehen und erleben. Mich hat der Dreisternekoch Andreas Caminada besucht, dem habe ich für sein Magazin tatsächlich mein Berlin gezeigt. Da ging es auch nicht nur ums Essen, sondern auch ums Kulturelle.
Wo waren Sie? Was ist Ihr Berlin?
Wir waren in der neuen Nationalgalerie, in der Galerie von Johann König, wir waren Eis essen bei Jones, Gemüse-Kebap bei Mustafas, bei Curry36 eine Wurst. Schicker war es dann im Nobelhart & Schmutzig. Bei mir im Laden waren wir auch. Ich habe versucht zu zeigen, wie Berlin aussieht, dass Berlin Straße und hart ist, gleichzeitig aber auch modern und einzigartig.
- Persönliches Interview mit Tim Raue