Schlagerstar Michelle "Ich wurde nur als Produkt wahrgenommen"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Streit mit der eigenen Tochter hat kürzlich für Aufsehen gesorgt. Jetzt spricht Michelle im t-online-Interview über diese Auseinandersetzung, Rückschläge, Konkurrenzdenken und zu hohe Erwartungen.
War Michelle durch Hits wie "Wer Liebe lebt" so etwas wie die Helene Fischer der Neunzigerjahre? Der Druck auf die Schlagersängerin war jedenfalls seit ihrem Debüt 1992 enorm – und endete um die Jahrtausendwende in einem Zusammenbruch. Wie sie diese Zeit verändert hat und welche Lehren Michelle daraus zog, erzählt sie im Interview mit t-online.
Dass es privat auch zuletzt nicht immer gut lief bei der 50-Jährigen, zeigte der Streit mit ihrer Tochter Marie Reim. Jetzt haben sich die beiden Frauen wieder versöhnt und singen auf Michelles neuem Album "30 Jahre Michelle: Das war's ... noch nicht" sogar zusammen über die Probleme der Vergangenheit.
t-online: Ihre Tochter Marie Reim startet gerade ihre eigene Gesangskarriere. Sie erleben also, wie es ist, wenn man heute Newcomer ist. War es damals einfacher durchzustarten?
Michelle: Ich glaube, das kann man nicht direkt vergleichen. Aber damals wie heute muss man einfach anders sein als die anderen und herausstechen. Man muss etwas mitbringen, was die Menschen interessiert, und man braucht einen Hit. Marie wird ihren Weg gehen, weil sie sehr einzigartig ist und meinen Kopf hat.
Was heißt das?
Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann wird sie es auch schaffen. Sie ist gut, sieht toll aus, bringt alles mit, was man in diesem Geschäft braucht. Sie wird keine leise Künstlerin werden, sondern ihren Weg gehen. Das wird ein bisschen dauern und wird nicht von heute auf morgen klappen. Das war früher vielleicht wirklich anders: Früher wurden Stars über Nacht geboren. Damals war man in der "ZDF-Hitparade" und dann gehörte man dazu.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Instagram-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Instagram-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Mit Marie haben Sie auf Ihrem neuen Album auch einen gemeinsamen Song aufgenommen – "Vier Hände, zwei Herzen".
Marie hat dieses Lied geschrieben und das kann sie auch wirklich gut. Das ist etwas, was ich nicht kann, sie kann wirklich tolle Songs und Texte schreiben.
Dass Sie und Ihre Tochter sich wieder versöhnt haben. Ist das vielleicht das eigentliche Highlight aus 30 Jahren Michelle?
Natürlich haben wir auch eine schwere Zeit hinter uns, aber jetzt haben wir eine gute Zeit vor uns; und das ist einfach das Leben, das hat manchmal viele Facetten. Wir wollen einfach zeigen, dass wir zusammen stark sind und dass, ganz egal, was im Leben passiert, uns nichts mehr auseinanderbringen kann.
Blicken wir mal auf Ihre Karriere zurück. Wann wurde Ihnen klar, dass das Singen mal zur Lebensaufgabe werden würde?
Bevor ich die Bühnen dieser Welt bestiegen habe, war mir schon bewusst, dass ich auf jeden Fall etwas mit meiner Stimme machen werde. Ich wusste schon immer, dass ich anders klinge. Im Kindesalter hatte ich eine Sprechstimme, die eher an Mickey Maus erinnerte (lacht).
Wie schafft man es, so lange in diesem Geschäft durchzuhalten?
Ich glaube, dafür gibt es kein allgemeingültiges Geheimnis. Mir war immer wichtig, dass ich mir selbst treu bleibe und mich nicht verbiegen lasse. Ich höre stets auf meine Gefühle. Ich habe immer versucht, den Mittelweg zwischen meinen Vorlieben und denen der Hörer zu finden. Man kann nicht komplett machen, was man will, weil das nicht immer den Geschmack der Öffentlichkeit trifft.
Verbiegt man sich dann nicht doch bis zu einem gewissen Grad?
Nicht unbedingt. Ich bin mein größter Kritiker. Ich versuche stets, darauf zu schauen, wie ich etwas interpretiere, darstelle und wie das am Ende auf andere wirkt.
Blicken wir auf Ihre Anfänge zurück. Was waren Ihre Erwartungen, als Sie Ihre erste Single "Und heut' Nacht will ich tanzen" veröffentlichten? Träumte man sofort von der großen Karriere?
Nein, überhaupt nicht. Ich hatte absolut keine Erwartungen, weil ich damals nicht wusste, was mich erwarten könnte. Ich war neu in der Branche und wurde ins kalte Wasser geworfen. Es war eine ganz spannende Reise mit ganz vielen Menschen, die man kennengelernt hat, man war überflutet von Eindrücken. Auf einmal waren da so viele Leute, die einen interessant fanden.
Wie gingen Sie mit dem Rummel um?
Ich war sehr überrascht von dieser Flut an Aufmerksamkeit, die mich umgehauen hat. Man hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken, wo man eventuell mal landen könnte. Für mich war das wie in Disneyland, man steht davor als kleines Kind und denkt sich: "Wow".
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Youtube-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Youtube-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Sie kamen schnell in die "ZDF Hitparade". Das war damals ja die Show, wenn es um Schlager ging. Wie erinnern Sie sich daran?
Ich bekomme direkt große Sehnsucht, weil ich finde, dass so ein Format heute einfach fehlt. Die "ZDF-Hitparade" war einfach angesagt und das, was die Leute gehört und geliebt haben; und wenn man dann zu den Gewinnern zählte, war man natürlich ein Hit. Ich bin damals in die "ZDF-Hitparade" eingeladen worden und habe so viele Kollegen getroffen, die ich als Fan kannte, aber mir persönlich waren sie natürlich fremd.
Wie wurden Sie von denen aufgenommen?
Einige haben mir auf die Schulter geklopft und gesagt: "Hauptsache, du warst dabei" oder "Mach dir nichts draus, wenn es nicht klappt".
Das klingt wenig ermutigend.
Ich war halt die Neue. Ich hatte den Eindruck, dass keiner von denen an mich glaubt. Und dann habe ich die "ZDF-Hitparade" gewonnen. Alle haben gedacht, ich sei eine Eintagsfliege und morgen wieder weg vom Fenster. Aber es ging mit anderen Singles weiter und wir haben wieder gewonnen. Irgendwann war ich nicht mehr die "Neue" oder die "Eintagsfliege", sondern die Konkurrenz.
"Konkurrenz". So fühlte sich die "Hitparade" hinter den Kulissen an?
Nicht bei mir zumindest. Ich hatte dieses Konkurrenzdenken nie. Ich habe wahnsinnig viele Menschen und viele Freunde in dieser Branche kennengelernt, gerade zur "Hitparaden"-Zeit. Dar war damals einfach noch eine ganz andere Branche als heute.
Ab Ende der Neunzigerjahre waren Sie im Schlager ganz oben, konnten mehrere goldene Schallplatten einheimsen, beim ESC waren Sie sehr erfolgreich, das mediale Interesse war enorm. Sie brachen zusammen, legten eine Pause ein. Wie blicken Sie heute auf diese Phase zurück?
Ich habe das wie eine Überflutung wahrgenommen. Die Zeit rannte einfach nur. Man hatte Fernsehauftritte, die Menschen wollten was von einem, man musste abliefern. Es gab so viele Erwartungen an mich. Das große Problem war, dass ich damals gemerkt habe, dass ich manchmal nur als ein Produkt wahrgenommen wurde.
Inwiefern "Produkt"?
Es kam mir so vor, dass sich die Leute nicht für einen als Mensch interessieren, sondern für das, was sie präsentiert bekommen. Dass das in der Branche manchmal so ist, musste ich erst lernen zu akzeptieren. Natürlich singt man mit Herz und Seele und möchte authentisch sein. Aber es kann auch sein, dass da nicht jede Single erfolgreich ist. Diese Rückschläge hatte ich auch.
Der Untertitel Ihres Albums ist "Das war's … noch nicht". Was soll denn noch kommen? Was ist der große Traum von Michelle?
Ich habe nichts Bestimmtes, das ich in dieser Karriere noch schaffen will. Ich freue mich einfach auf die nächsten 30 Jahre, mit allem, was das Leben mitbringt, mit allen Höhen und Tiefen. Das Schönste für mich aus den letzten 30 Jahren ist, dass so viele Leute mir treu geblieben sind, dass noch immer Menschen meine Musik hören und sich für mich interessieren. Ich bin so dankbar, dass ich 30 Jahre lang so viel erleben durfte.
- Eigenes Interview mit Michelle
- Instagram-Profil von Marie Reim