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Literatur: Peter Lindbergh blickt hinter die Fassaden


Literatur
Peter Lindbergh blickt hinter die Fassaden

Von dpa
10.01.2017Lesedauer: 3 Min.
Peter Lindbergh setzt nicht auf Perfektion.Vergrößern des Bildes
Peter Lindbergh setzt nicht auf Perfektion. (Quelle: Caroline Seidel./dpa)

Köln (dpa) - Der Titel ist gut gewählt für Lindberghs Monografie: "A Different Vision on Fashion Photography". Der 1944 im ehemals deutschen Wartheland (Polen) geborene und im Ruhrgebiet aufgewachsenen Peter Brodbeck hat seine eigene, besondere Art, Mode zu sehen.

Und nicht nur das. Der später als Peter Lindbergh weltweit bekannt gewordene Fotograf schaut hinter die Fassade - seiner abzulichtenden Models ebenso wie seiner anderen Motive.

Davon kann man sich in dem über 520 Seiten starken, mehrsprachigen Band mit mehr als 400 Fotos aus vier Jahrzehnten künstlerischen Schaffens ein Bild machen. Das monströse Buch entstand parallel zu einer Retrospektive, die seit September und noch bis zum 12. Februar 2017 in der Kunsthal Rotterdam zu sehen ist. Danach wird sie international auf Wanderschaft gehen.

Lindbergh wird heute zugerechnet, dass er wegen seines anderen Blickwinkels Models zu Superstars machte. Und das begann 1988 mit der Übernahme der US-amerikanischen Ausgabe der Modezeitschrift "Vogue" durch die inzwischen ebenso legendäre Anna Wintour, die mit bisherigen Standards brach und den bis dahin von "Vogue" eher verschmähten Lindbergh selbst ins Rampenlicht rückte.

Mit seinem Foto von fünf jungen Frauen (Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford) in der New Yorker Innenstadt läutete er 1990 ein neues Zeitalter der Modefotografie ein. Denn ihre Konterfeis spiegelten eine neue Weiblichkeit und ein anderes Verständnis von Schönheit wider. "Frauen wird heutzutage durch die Modefotografie vieles angetan, mit dem ich nicht einverstanden bin", sagte Lindbergh im Gespräch mit dem kanadischen Kurator und Autor Thierry-Maxime Loriot. "Es herrscht diese verheerende Religion vor, in der absolute Perfektion und Jugend die Maßstäbe sind, an denen Frauen gemessen werden. Ich halte es für inakzeptabel, dass in unserer heutigen Zeit Schönheit von kommerziellen Interessen bestimmt wird oder auf exzessiven Photoshop-Manipulationen basiert."

Loriot, der neben Emily Ansenk, der Direktorin der Rotterdam Kunsthal, den Text zur Lindbergh-Monografie schrieb, kommentiert dessen Eigenwilligkeit folgendermaßen: "Dies war ein gewandeltes Schönheitsbild, dem man politische und gesellschaftliche Aussagekraft zuschrieb." Das Rüstzeug für seinen Wandel vom Schaufensterdekorateur zum Kult-Mode-Fotografen holte sich Lindbergh in der Kunst, wie Loriot schreibt: "Lindberghs Erweckung als Künstler vollzog sich größtenteils in Kursen an der Berliner Kunstakademie, die er ab 1962 besuchte." Er entdeckte die Film- und Kunstavantgarde, von Fritz Lang und Josef von Sternberg über Bertolt Brecht, Kurt Weill und Malern wie Max Beckmann oder Otto Dix. Auch der italienische Neorealismus der Regisseure Pasoloni, Fellini oder Visconti prägten ihn.

Sein Faible für die Kunstszene neben der Fotografie findet sich auch in manchen Motiven seiner Bilder wieder. So sind sowohl in der Ausstellung als auch im vorliegenden Band neben den Fotos bekannter Models einzigartige Ablichtungen von Stars wie Charlotte Rampling, Cate Blanchett und Keith Richards oder auch bekannte Couture-Schöpfer zu sehen.

Warum Lindberghs Kunst nicht nur die Sinne, sondern auch Geist und Seele anspricht, versuchen seine Wegbegleiter zu erklären, darunter die "Vogue"-Chefin Anna Wintour, die Schauspielerin Nicole Kidman, das Model Cindy Crawford oder der Mode-Zar Jean Paul Gaultier. "A Different Vision on Fashion Photography" ist demnach eine informative und hochwertige Bilderschau, deren Cover mit dem britischen Model Kate Moss schon ein besonderer Hingucker ist: Das Foto von 2014 zeigt eine gereifte Frau ohne Schminke, mit Fältchen auf der Stirn und Kippe in der Hand - brutal ehrlich und schön. Vor allem auch im Vergleich zur jungen Moss, die mehrfach auf den Innenseiten zu sehen ist.

Was macht also ein gutes Bild aus? Lindbergh selbst sieht es so: "Es ist nicht die Außenhülle des Knochengerüsts, nicht die Physiognomie eines Gesichts, sondern der unsichtbare Teil eines Menschen, den man einfängt, wenn er oder sie gewillt ist, ihn preiszugeben..."

Peter Lindbergh: A Different Vision on Fashion Photography, Taschen Verlag Köln, 524 Seite, 59,99 Euro, ISBN 978-3-8365-5282-0

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