Film Neu auf DVD: Gesellschaftssatire "The Square"
Berlin (dpa) - Christian (Claes Bang, "Soko Köln") ist in seinen besten Jahren, er sieht gut aus, er ist erfolgreich, trägt Designeranzüge, lebt in einem Design-Haus, fährt Tesla und hat einen tollen Job: Als Kurator kümmert er sich um moderne Kunst.
Sein neuestes Projekt ist "The Square", ein Quadrat aus Leuchtband im Hof seines Museums eingelassen. Das Quadrat ist ein Raum für die Schutzbedürftigen dieser Welt: Sie stellen sich hinein und können Vorbeigehende um Hilfe bitten. "The Square" ist ein soziales Projekt, es mahnt Solidarität an "'The Square' ist eine Zufluchtsstätte, in der Vertrauen und Achtsamkeit herrschen. Hier haben alle die gleichen Rechte und Pflichten."
Als Christian das Handy gestohlen wird, verlässt er seinen Schutzraum, das Museum. Er hat Bedarf nach richtigem Leben, fährt zum Wohnblock am Stadtrand, in dem er sein Telefon geortet hat - und wirft einen Drohbrief ein: wegen der GPS-Ungenauigkeit gleich einen in jeden Briefkasten. Mit der pauschalen Anschuldigung aller Bewohner beginnt für Christian eine unangenehme Entwicklung: Seine Kinder, sein Liebesleben und am Ende sein Verhältnis zu Kunst und Gesellschaft, nichts unterliegt mehr seinem Einfluss, wir sehen nichts weniger als die totale Auflösung seines bisherigen Lebens.
Um die Ausstellung in den sozialen Medien zu pushen engagiert das Museum zwei herrlich inkompetente Influencer im weißen Businesshemd: Zwar kennen sie die Ice-Bucket-Challenge nicht, aber mit viralen Geschichten, da kennen sie sich aus, denn sie haben ja eine Marktanalyse darüber gemacht, was steil geht: "Da geht es oft um Randgruppen: Die Menschen schreiben über Frauen, Behinderte (...), doch es gibt eine Gruppe die die Menschen noch ein klein wenig mehr berührt, die Bettler."
Was hier als Provokation gemeint ist, wird auch zu einer: Als Bettler in der Zufluchtsstätte des Quadrates wird ein kleines, blondes Kind ausgewählt, dem ein bitteres Ende bevorsteht. Der Werbetrailer geht viral und einiges mehr ebenfalls: Der Kurator lernt das Leben kennen, das richtige Leben.
Szenenwechsel: Die Kunstjournalistin Anne (Elisabeth Moss, "Mad Men") verlangt nach dem gemeinsamen One-Night-Stand Aufklärung über Christians Gefühle. Die Aussprache findet mitten in einer Audioinstallation statt. Der Hammerschlag des Kunstwerks gibt den Takt des Gespräches vor, stakkatoartig, wie zuvor schon der Sex der beiden, bricht auch der Versuch gegenseitiger Annäherung in einer wiederkehrenden Klangkaskade zusammen, zum Scheitern verurteilt schon mit dem ersten Wort. Wie ein Firnis liegt nicht die Kunst, sondern Christians Vorstellung von der Kunst als trennende Schicht über seinem Leben.
Und dann wird der Film ganz aktuell: "Ich kapiere langsam wie du tickst. Ich glaube, du benutzt deine Position, die eine Machtposition ist, um Frauen anzuziehen und zu erobern." Ein #MeToo für den Kurator, der nicht einmal ihren Namen kennt: nur peinliche Ohnmacht, kein Hauch von Macht.
Ruben Östlund hat seine Satire szenisch angelegt und auch wenn "The Square" (Goldene Palme von Cannes, Europäischer Filmpreis) mit 145 Minuten etwas ausdauernd daherkommt, es lohnt sich jede einzelne Einstellung. Mit zahlreichen schönen Details leuchtet Östlund einen Kunstbetrieb aus, der jede moralische Haltung verliert, sobald die Kunst die Brücke zur Realität schlägt oder die Realität die Brücke zum Kunstbetrieb.
Östlund zeigt: Nur ein Kuratieren, die bloße Sorge um die Kunst, ist manchmal nicht genug und er stellt damit nicht weniger als die Frage nach der Echtheit von Kunst, nach ihrer ganz eigenen viralen Lebenskraft mitten in einer erstarrten Gesellschaft. Deren Vorführung hier ist gelungen.
The Square, Schweden/Deutschland/Frankreich/Dänemark 2017, von Ruben Österlund, mit Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominik West, Extras: Making-of, Interviews, Castings, Audiodeskription