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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rote Linie überschritten Eklat bei der Berlinale – Filmfestspiele reagieren

Die Internationalen Filmfestspiele in Berlin sind für ihre politischen Beiträge bekannt. Nun aber könnte eine umstrittene Rede sogar strafrechtliche Konsequenzen haben. Die Berlinale bemüht sich um Schadensbegrenzung – und wird gleichzeitig ungewöhnlich deutlich.
Eigentlich wollte die Berlinale in diesem Jahr nur mit ihren Stars und den Filmen Schlagzeilen machen. Nun aber kam es bei dem Filmfest doch wieder zu einem politischen Eklat – und wieder geht es um den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Die Berlinale versucht zu vermitteln, grenzt sich aber zugleich klar gegen bestimmte Beiträge ab.
Der Vorfall, um den es geht, sorgt schon seit dem Wochenende für Wirbel: Bei der Vorstellung seines Films "Queerpanorama" in einer Berlinale-Nebenreihe las Regisseur Jun Li eine Rede seines nicht anwesenden Schauspielers Erfan Shekarriz vor. Der wirft Israel in dem Text Völkermord an den Palästinensern vor. Teile dieser Rede wurden später in den sozialen Netzwerken hochgeladen. In dem Beitrag ist auch die umstrittene pro-palästinensische Formulierung "From the river to the sea, palestine will be free" zu hören, die ein freies Palästina fordert vom Jordan-Fluss bis zum Mittelmeer – dort, wo sich Israel befindet.
Festivalleitung zeigt sich "enttäuscht"
Für die Berlinale ist diese Situation eine Zwickmühle. Einerseits ist sie seit Jahren als politisches Festival bekannt, das kritische Werke genauso zeigt, wie es politisch unterdrückte Filmschaffende aus der ganzen Welt unterstützt. Andererseits können Ereignisse wie das aktuelle die Werke selbst in den Schatten stellen und dazu führen, dass Menschen nur über Kontroversen diskutieren.
"Wir respektieren das Recht auf freie Meinungsäußerung", erklärte die Berlinale nun auch in einem Statement. Man habe "viel in die frühzeitige Kommunikation investiert, um sicherzustellen, dass unsere Gäste die Werte des Festivals und die Art eines offenen, aber respektvollen Umfelds kennen, das wir schaffen wollen". Man sei "daher enttäuscht, wenn einzelne Filmemacher*innen dem Festival und auch den Menschen im Saal gegenüber mangelnde Sorgfalt und Respekt zeigen".
Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten aber in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie.
Berlinale-Leitung
In dem Statement wird das Festival aber auch noch deutlicher: "Die Berlinale wendet sich klar gegen Antisemitismus und jede andere Form der Diskriminierung". Man verstehe die Sensibilität und den Schmerz, den so viele Menschen in diesen Tagen erleben, und man wisse, wie wichtig es sei, Raum zu haben, um dies zum Ausdruck zu bringen. "Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten aber in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie. "
Für die Berlinale sind das ungewöhnlich klare Worte, selbst wenn sie vorsichtig verpackt wurden. Das liegt vermutlich mit daran, dass das Festival schon im letzten Jahr von einem sehr ähnlichen Eklat überrollt wurde und sich seitdem intensiv mit solchen Vorfällen beschäftigt hat. Oder: beschäftigen musste. Bei der Abschlussgala kritisierten damals einige Preisträger massiv Israels Vorgehen im Gazastreifen und erwähnten dabei nicht den Terrorangriff der islamistischen Hamas vom Oktober 2023. Der Aufschrei war groß, auch weil anwesende deutsche Politikerinnen und Politiker mit applaudiert hatten. Der aktuelle Fall könnte jetzt sogar strafrechtliche Konsequenzen haben: Nach der Rede ermittelt der polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts und prüft, ob eine politische Straftat vorliegt.
Genau das hatte die Berlinale offenbar verhindern wollen. Die Rede habe eine Formulierung enthalten, "die von Berliner Gerichten als strafbar eingestuft wurde", heißt es dazu in dem Statement. "Es handelte sich um eine Ausdrucksweise, die das Festival zuvor für alle Besucher*innen als äußerst sensibel gekennzeichnet hatte".
Mehr als dieses Statement gibt es bislang allerdings nicht von dem Festival. Festivalchefin Tricia Tuttle, die erst mit diesem Jahrgang die Leitung übernahm, steht hierzu nicht für Interviews zur Verfügung, hieß es auf Nachfrage von t-online. Möglicherweise hofft man, dass sich das Thema schnell erledigt und dann wieder die Filme im Mittelpunkt stehen. "Wir hoffen, dass dieser Einzelfall nicht die bislang großartige 75. Berlinale überschatten wird, in die das gesamte Team so viel gute Arbeit und so viel Empathie gesteckt hat."
- Eigene Recherchen
- Anfrage bei der Berlinale