Rückblick Umbruch und Aufbruch - Das war das Kulturjahr 2018
Berlin (dpa) - Der Skandal in der Jury des Literaturnobelpreises, die weltweite #MeToo-Debatte und das Ende des Musikpreises Echo - die Kultur hat ein eher düsteres Jahr hinter sich. Ein Rückblick auf wichtige Ereignisse.
ZOFF IM LITERATURHIMMEL: Erstmals seit fast 70 Jahren sagt die Schwedische Akademie die Vergabe des wichtigsten Literaturpreises der Welt ab. Das Nobelkomitee ist heillos zerstritten, seit dem Mann eines Jurymitglieds sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch vorgeworfen werden. Aus Protest gegen den Umgang mit dem Skandal treten Jurymitglieder zurück, das Gremium wird handlungsunfähig.
Inzwischen ist der Mann in erster Instanz wegen Vergewaltigung verurteilt. In den kommenden zwei Jahren sollen fünf externe Juroren über die Preisvergabe mitentscheiden. "Da muss einfach mal ausgemistet werden, einmal mit dem Besen durch, dann machen wir weiter", kommentierte Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff.
MISSTÖNE BEIM ECHO: Die Vergabe des Musikpreises Echo an die Gangster-Rapper Kollegah und Farid Bang sorgt für einen beispiellosen Eklat. Den beiden wird wegen ihres inzwischen indizierten Albums "Jung, brutal, gutaussehend 3" Antisemitismus vorgeworfen. Aus Protest gegen die Auszeichnung geben zahlreiche renommierte Preisträger ihre Echos zurück, darunter Sänger Marius Müller-Westernhagen und Stardirigent Daniel Barenboim.
Der Bundesverband Musikindustrie zieht schließlich die Notbremse und schafft den Preis für Jazz, Pop und Klassik ab - in allen drei Sparten. Die beiden Rapper geben sich nach einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz geläutert. "In meiner Welt sind Rassismus und Antisemitismus sowas von absurd. Das geht komplett gegen mein Verständnis von der Welt", versichert Kollegah im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Ein neu geschaffener Opus Klassik geht an die Sopranistin Diana Damrau und den Tenor Juan Diego Flórez.
BAUHAUS IM GLASHAUS: Das Bauhaus Dessau löst mit der Absage eines Konzerts der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet eine heftige Debatte um die Freiheit der Kunst aus. Weil rechte Gruppierungen gegen das Konzert mobil machen, fürchten die Verantwortlichen Demonstrationen vor ihrem unter Unesco-Schutz stehenden Haus. Gegen die Entscheidung hagelt es Kritik. Gerade das Bauhaus dürfe nach seiner Verfolgung durch die Nazis nicht vor Rechten einknicken, heißt es fast einhellig in der Kulturwelt. Die Band spielt schließlich im Brauhaus statt im Bauhaus in Dessau. Die Diskussion dürfte das Jubiläum zum hundertjährigen Bestehen der weltberühmten Kunst- und Designschule 2019 überschatten.
TELLKAMP IM KREUZFEUER: Bestsellerautor Uwe Tellkamp ("Der Turm") löst mit Äußerungen über Flüchtlinge einen Sturm der Empörung aus. "Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent", sagt der 50-Jährige in einem Diskurs mit dem Lyriker Durs Grünbein. In einer ungewöhnlichen Reaktion distanziert sich der Suhrkamp Verlag von seinem Autor. Der folgende Zulauf zu einer Petition gegen "illegale Masseneinwanderung" und eine "Antwort für Demokratie und Menschenrechte" zeigen, wie sehr das Thema Flüchtlinge auch die Intellektuellen spaltet. Im November schließen sich bundesweit fast vierhundert Kulturinstitutionen zu regionalen Bündnissen für Solidarität und Toleranz zusammen ("Erklärung der Vielen").
BELÄSTIGUNG UND MACHTMISSBRAUCH: Die #MeToo-Debatte um sexuelle Belästigung, im vergangenen Jahr durch Missbrauchsvorwürfe gegen Hollywoodmogul Harvey Weinstein ausgelöst, zieht weitere Kreise. Die Metropolitan Opera in New York entlässt nach "glaubhaften Beweisen" ihren Star-Dirigenten James Levine (75). Beim Amsterdamer Concertgebouw-Orchester muss Chefdirigent Daniele Gatti (57) fristlos gehen. In Deutschland erheben mehrere Schauspielerinnen schwere Vorwürfe gegen Regisseur Dieter Wedel - bis hin zur Vergewaltigung. Der 77-Jährige bestreitet alles, gibt aber gleichwohl die Führung der Bad Hersfelder Festspiele ab. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt. Künftig soll eine unabhängige "Vertrauensstelle" Kulturschaffende gegen sexuelle Belästigung schützen.
KOMMEN UND GEHEN: Nach einem erbitterten Ringen um die Zukunft der traditionsreichen Berliner Volksbühne gibt der neue Intendant Chris Dercon (60) schon nach wenigen Monaten auf. Dem Nachfolger der langjährigen Regie-Legende Frank Castorf (67) war mit heftigen verbalen Angriffen, Fäkalien vor der Bürotür und der Besetzung des Theaters das Leben schwer gemacht worden. Ein Übergangschef soll für Ruhe sorgen, eine langfristige Lösung gibt es noch nicht.
Beim berühmten Tanztheater Wuppertal Pina Bausch wird Intendantin Adolphe Binder (49) wegen Kritik an ihrer Arbeit fristlos entlassen, nach langer Hängepartie übernimmt die Tanzmanagerin Bettina Wagner-Bergelt (60) die künstlerische Leitung. Auch am finanziell gebeutelten Haus der Kunst in München knirscht's: Museumschef Okwui Enwezor (55) tritt aus "gesundheitlichen Gründen" zurück. Später beklagt der gebürtige Nigerianer, er habe sich "nicht mehr erwünscht" gefühlt.
Als Glücksgriff wird dagegen allgemein die Berufung des früheren Berlin-Brandenburgischen Schlösserchefs Hartmut Dorgerloh an die Spitze des künftigen Humboldt Forums im Berliner Schloss gewertet. Nach einem farblosen Triumvirat unter dem britischen Museumsliebling Neil MacGregor trauen viele dem 56-jährigen Kunsthistoriker zu, von Ende 2019 an einen geordneten Start für Deutschlands ehrgeizigstes Museumsprojekt zu organisieren.
Auch für die Internationalen Filmfestspiele Berlin ist ab dem kommenden Jahr eine Lösung gefunden. Nach dem Abschied von "Mr. Berlinale" Dieter Kosslick (70) im Februar sollen der bisherige Locarno-Chef Carlo Chatrian und Filmmanagerin Mariette Rissenbeek das weltgrößte Publikumsfestival übernehmen.
TOPS UND FLOPS: Größter deutscher Erfolg im internationalen Kinojahr ist der Golden Globe für das NSU-Drama "Aus dem Nichts" von Fatih Akin (45). Eine Oscar-Nominierung bleibt ihm dagegen verwehrt. Im kommenden Jahr hat Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck (45) mit seiner Künstlerporträt "Werk ohne Autor" noch einmal die Chance, den Auslands-Oscar zu holen - elf Jahre nach seinem Sensationserfolg mit "Das Leben der Anderen". Beim Deutschen Filmpreis holt die Romy-Schneider-Biografie "3 Tage in Quiberon" von Emily Atef mit der grandiosen Hauptdarstellerin Marie Bäumer (49) gleich sieben Lolas.
Die wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland, der Georg-Büchner-Preis, geht an die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora ("Das Ungeheuer"). Den Deutschen Buchpreis erhält die Berliner Schriftstellerin Inger-Maria Mahlke mit ihrem Familienroman "Archipel". Ihre Dankesrede wird eine Solidaritätsadresse an die gefeuerte Rowohlt-Verlegerin Barbara Laugwitz.
"Theater des Jahres" wird in der alljährlichen Umfrage bei Kritikern Basel, zur "Oper des Jahres" küren sie bereits zum vierten Mal Frankfurt. Zur wichtigsten Persönlichkeit der Kunstwelt werden je nach Ranking wahlweise der Maler Gerhard Richter ("Kunstkompass"), der Fotograf Wolfgang Tillmans ("Monopol") und der in New York ansässige deutsche Mega-Galerist David Zwirner ("ArtReview") gekürt.
Musikfreunde freuen sich über eine letzte, bis 2021 dauernde Welttournee von Superstar Elton John - danach will sich der 71-Jährige mehr seinem Mann und den beiden Kindern widmen. Patentante Lady Gaga ("Just Dance") rockt nach abgesagten Konzerten vom Jahresbeginn das Filmfest in Venedig mit ihrem Schauspieldebüt "A Star Is Born". Auch die angekündigte Wiedervereinigung der Spice Girls versetzt Fans in Verzückung - die Konzerte sind innerhalb von Minuten ausverkauft.
ABSCHIED UND TRAUER: Der Tod von Soul-Legende Aretha Franklin mit 76 Jahren in Detroit löst weltweit tiefe Betroffenheit aus. "In ihrer Stimme konnten wir unsere Geschichte fühlen", erklärt der frühere US-Präsident Barack Obama, bei dessen Amtseinführung sie unter den Tränen von Millionen die Hymne "My Country, 'Tis of Thee" gesungen hatte ("Mein Land, von Dir ist's").
Auch mit der Operndiva Montserrat Caballé (85), dem französischen Sänger Charles Aznavour (94) und dem israelischen Musiker Abi Ofarim (80) verliert die Musikwelt prägende Stimmen. Der deutsche Liedermacher Ingo Insterburg ("Ich liebte ein Mädchen") stirbt mit 84 Jahren, Schlagersänger Jürgen Marcus ("Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben") mit 69 Jahren.
Freunde der großen amerikanischen Gegenwartsliteratur trauern um Philip Roth (85, "Der menschliche Makel") und Tom Wolfe (88, "Fegefeuer der Eitelkeiten"). Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger (81) bleibt als österreichische Astrid Lindgren in Erinnerung.
Von der großen Leinwand verabschieden sich US-Schauspieler Burt Reynolds (82), Oscar-Preisträger Milos Forman (86, "Einer flog über das Kuckucksnest") und "Shoah"-Regisseur Claude Lanzmann (92). Die deutsche Filmwelt verliert mit Rolf Hoppe (87, "Mephisto") einen der bekanntesten DDR-Schauspieler.
UND NICHT ZU VERGESSEN: Karl Marx bekommt trotz heftiger Kritik zu seinem 200. Geburtstag eine Riesen-Statue in seiner Heimatstadt Tier - ein 2,3 Tonnen schweres Geschenk der Volksrepublik China. Zum 75. Geburtstag des lettischen Stardirigenten Mariss Jansons ist eine neue Tulpensorte nach ihm benannt. Und bei den New Yorker Philharmonikern dürfen jetzt auch Frauen Hosen tragen.