Nach Sieg der Dragqueen Tolerante ESC-Botschaft setzt sich auch im Medienecho durch
Nachdem Conchita Wurst am Sonntag auf dem Wiener Flughafen vor ihre jubelnden Fans trat, ausgestattet mit ESC-Trophäe und einem nicht zu verhehlenden Triumphgefühl, klangen ihre Dankesworte wie ein politisches Statement: "Es war nicht nur ein Sieg für mich, sondern ein Sieg für die Menschen, die an eine Zukunft glauben, die ohne Ausgrenzung und Diskriminierung funktionieren kann." Diesen Punkt griffen mehrere Medien auf, gaben jedoch auch zu bedenken, dass diese Toleranz sich keinesfalls gesamteuropäisch durchgesetzt habe.
So schreibt der "Kölner Stadtanzeiger": "Die Höchstwertung für "Rise Like A Phoenix" gab es in 13 von 37 Ländern. Ehemalige Sowjetrepubliken oder Ostblockstaaten waren - mit Ausnahme Sloweniens - nicht darunter. Ohnehin nahm die große Idee vom völkerverbindenden ESC Samstagnacht Schaden: Mit feindseligen Reaktionen auf die russischen Tolmachevy-Schwestern, erkennbar gegen die Politik Wladimir Putins gerichtet, traf das Kopenhagener Saalpublikum die Falschen. Toleranz geht anders."
Quittung für schwulenfeindliche Kommentare
Die "Ostsee-Zeitung" aus Rostock sieht in der Krönung der Dragqueen dagegen die Quittung, die Fans und Publikum Ländern wie Russland und Weißrussland ausstellten, die im Vorfeld gegen "schwule Propaganda" beim ESC gewettert hatten: "Beeindruckend ist nicht nur, dass selbst erzkatholische Länder wie Irland und Italien der schrillen Diva ebenso die vollen zwölf Punkte gaben wie etwa Israel. Millionen Menschen haben für die alpenländische Andersartige abgestimmt und damit für einen überwältigenden Triumph der Toleranz gesorgt."
Im nächsten Jahr Olivia Jones?
Die Koblenzer "Rhein-Zeitung" erinnert daran, dass der Musik-Geschmack Europas mindestens so wechselhaft sei wie das Wetter und lässt es deshalb dahingestellt, ob Conchitas Sieg tatsächlich ein Zeichen der Toleranz und Freiheit gesetzt hat. Tatsache sei jedoch: "Ebenso wie holländische Feinkost und ein blonder Schwedenhappen hat Wurst dem Kopenhagener Menü einen unverkennbar balladesken Beigeschmack verliehen."
Dennoch würde es nicht reichen, dass Deutschland nächstes Jahr nur Dragqueen Olivia Jones auftischen muss, um zu gewinnen.
Politische Botschaft in Kopenhagen
Obwohl der Eurovision Song Contest eigentlich eine musikalische Glamourveranstaltung sei, sieht der "Mannheimer Morgen" in der ESC-Ausgabe 2014 ganz eindeutig auch die politische Botschaft: "In Kopenhagen gingen die Grand-Prix-Uhren ein wenig anders: Punkte für Putins Russland wurden mit Pfiffen und Buhs abgestraft. Nur gut, dass die Zuschauer in der Halle die Sensibilität hatten, ihre Wut wegen der Krim-Krise nicht wie im Halbfinale an den russischen Tolmachevy-Teenagern auszulassen."
Presse: Toleranz kommt im Alltag nicht an
Das "Delmenhorster Kreisblatt" greift in seinem ESC-Kommentar den Aspekt auf, inwiefern die beschriebene Toleranz wohl Einzug in den deutschen Alltag hält: Gar nicht, so die Überzeugung: "Der ESC-Sieg sollte uns nicht glauben lassen, dass das, was in der Welt des Glamours erlaubt ist, im Alltag ebenfalls geduldet wird. Die vielen kleinen Bosheiten und Witzchen über die bärtige Dragqueen - auf der Straße, in der Eckkneipe und im Büro - sprechen eine eigene Sprache. All dies ist vielleicht nicht als homophob zu bezeichnen. Mit Toleranz und vor allem mit Akzeptanz und Respekt hat das aber auch nicht viel zu tun."
Conchita Wurst tritt beim ESC 2015 nicht noch einmal an
Für Siegerin Conchita Wurst steht jedenfalls fest, dass sie im kommenden Jahr beim ESC in ihrem Heimatland nicht erneut am Wettbewerb teilnehme möchte: "Ich hatte meine Chance“, sagte sie gegenüber dem österreichischen Onlineportal "oe24.at." "Ich bin mir sicher, da findet sich jemand, der Österreich zumindest genauso gut wie ich vertreten kann. Aber vielleicht moderiere ich ja den Song Contest. Das würde mir gefallen.“