Runde zwei in Wimbledon Plötzlich Nummer eins: Der steile Aufstieg von Oscar Otte
Mit 28 Jahren erlebt Oscar Otte seinen Durchbruch als Tennisprofi. In Wimbledon ist er plötzlich die deutsche Nummer eins – und weckt nach starkem Start Hoffnungen.
Er machte am Montag einfach da weiter, wo er bei seinen letzten Turnieren aufgehört hatte. Oscar Otte setzte zum Auftakt in Wimbledon gegen seinen Landsmann Peter Gojowczyk auf Court 7 ein starkes Zeichen. Und das in gänzlich ungewohnter Rolle.
Mit 6:1, 6:2, 6:1 zog Otte in Runde zwei beim prestigeträchtigsten Tennisturnier der Welt ein. Da brachte ihn auch der Verlust seines Glücksbringers bei der Anreise nicht aus der Fassung (mehr dazu lesen Sie hier).
Alexander Zverev ist verletzt, Philipp Kohlschreiber schied in der Qualifikation aus und beendete seine Karriere. Jan-Lennard Struff steckt im Formtief und verlor trotz starkem Auftritt in fünf Sätzen gegen Mitfavorit Carlos Alcaraz.
Ottes neue Privilegien
So war zum Turnierstart der 28-jährige Otte plötzlich Deutschlands Nummer eins im Tennis-Mekka. Und genau so trat er auch auf, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Kompromissloses, offensives Rasentennis. In der Manier, in der er schon bei den Habfinal-Einzügen bei den Heimspielen in Stuttgart und Halle für mächtig Begeisterung gesorgt hatte.
Dabei ist für den schlaksigen 1,93-Meter diesmal vieles neu. Durch die Absage von Gael Monfils rutschte Otte sogar unter die 32 Gesetzten an der Church Road.
Die äußeren Begleiterscheinungen sind damit spürbar anders als in all den Jahren zuvor. Als Gesetzter darf er nun die Kabine der Stars betreten. "Das ist schon nett, wie ein Wohnzimmer, mit kleiner Minigolfanlage. Alles ist privater, schicker", erzählt Otte über den Luxus.
Sportlich geht er durch die Setzung den ganz dicken Brocken in den ersten Runden aus dem Weg. In Runde zwei wartet entweder Wildcard-Starter Jay Clarke oder Qualifikant Christian Harrison. Für Otte machbar. Erst danach würde potentiell mit Alcaraz ein erster Kracher warten.
Otte: "Damit hätte ich nicht gerechnet"
Kurz vor seinem 29. Geburtstag am 16. Juli hat Otte den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Rang 37 in der Weltrangliste – solche Sphären kannte er bis dato nur aus der Ferne. Zu Jahresbeginn rangierte der Kölner noch auf Position 100, im Mai 2021 sogar nur auf Platz 161.
Der Aufstieg begann im Spätsommer des vergangenen Jahres. Aus der Qualifikation spielte sich Otte bis ins Achtelfinale der US Open 2021. Sein mit Abstand größter Erfolg, mit dem er erstmals den Niederungen der Tennistour entkam. Es folgten einige Turniersiege auf der zweitklassigen Challenger-Tour, mit denen er sich im Ranking immer weiter nach vorne arbeitete.
In diesem Jahr startete Otte dann auf der "großen" ATP-Tour richtig durch. Im Mai erreichte er in München erstmals ein Halbfinale. Dass das kein "Ausrutscher" war, zeigte er dann auf Rasen eindrucksvoll. Die Fans erleben den besten Otte, den es bislang gab.
Woher das im gesetzteren Tennisalter von 28 kommt? Otte sagt im "Kölner Stadtanzeiger": "Diese Leistungen kommen nicht aus dem Nichts. Ich habe die letzten Jahre immer gutes Tennis gespielt. Es hat nur ein wenig die Kontinuität gefehlt". Aber: "Damit, dass es so schnell geht, hätte ich doch nicht gerechnet.“
Die Belohnung für seine enorm gesteigerte Kontinuität folgte im März dieses Jahres: Teamchef Michael Kohlmann berief ihn erstmals ins Davis-Cup-Team.
"Jahrelang war ich unten, jetzt bin ich oben"
Seine neu gewonnenen Privilegien und die Zweiklassengesellschaft im All England Club findet er trotzdem noch immer etwas schräg. "Jahrelang war ich unten, jetzt bin ich oben", sagte Otte, als könne er das alles kaum glauben.
Doch die neuen Umstände veränderten ihn nicht. Er sagte zuletzt: "Ich bin immer noch der gleiche Junge aus Köln." Seinen freundlichen, offenen Umgang mit Kollegen, Fans und Medien hat er beibehalten.
Vielmehr genießt der 28-Jährige die Situation, auf die er "jahrelang gewartet" und für die er immer hart gearbeitet hat. Seit einigen Jahren trainiert er in Essen, im Tenniszentrum der Familie Moraing.
Peter Moraing ist sein Trainer, dessen Tochter Emma seine Freundin. Die Kombination passt, auch wenn er dafür sein geliebtes Rheinland verlassen musste. Im Ruhrpott hat Otte aber nicht nur die Liebe und den Erfolg gefunden, sondern auch eine zweite Heimat.
Es passt bei Otte aktuell vieles zusammen. Sein guter Aufschlag, der Return und die soliden Volleys lassen ihn speziell auf Rasen zu einem unangenehmen Gegner werden – auch für die Stars der Szene. In Runde drei könnte es zum Duell mit Alcaraz kommen. Der Spanier, selbst ein Shootingstar der Szene, dürfte über das drohende Los Otte nicht sonderlich begeistert sein.
- ATP-Profil von Oscar Otte
- Mit Material der Nachrichtenagentur SID
- Kölner Stadtanzeiger: Interview mit Oscar Otte