Tennis Pilic: "Petkovic sollte beim Masters nicht antreten"
Das Interview führte Nils Tittizer
Niki Pilic ist das, was man einen Erfolgstrainer nennt. Der 72-Jährige blickt auf eine lange Tenniskarriere als Weltklassespieler und Trainer zurück. Zu seinen bekanntesten Schützlingen zählten die Grand-Slam-Turniersieger Boris Becker, Michael Stich und Goran Ivanisevic. Und auch der derzeit alles dominierende Novak Djokovic durchlief seine Talentschmiede. In die Geschichtsbücher trug er sich ein, weil er als erster Teamchef überhaupt mit drei Nationen den Davis-Cup insgesamt fünfmal gewinnen konnte. Dreimal davon mit dem deutschen Team.
Im Interview mit t-online.de spricht die Tennislegende über die Verletzung des Weltranglistenersten Novak Djokovic, die Kritik der Spieler am Turnierplan und den Einsatz von Andreas Petkovic beim bevorstehenden Masters in Istanbul.
t-online.de: Herr Pilic, die derzeitige Nummer eins, Novak Djokovic, kämpfte bereits beim vergangenen US-Open-Finale mit Rückenschmerzen. Im Davis-Cup-Halbfinale gegen Argentinien gab er schließlich gegen Juan Martin Del Potro verletzungsbedingt auf. War es ein Fehler anzutreten?
Niki Pilic: Novak kam nach dem US-Open-Finale Donnerstagabend in Belgrad an. Da war er ja bereits leicht verletzt. Im Vergleich zu New York herrschten in Serbien ganz andere Konditionen. Glauben Sie mir, wenn ich dort gewesen wäre, hätte ich ihn nie spielen lassen. Zudem war er nach dem Grand-Slam-Turnier mental völlig leer. Del Potro ist kein schlechter Spieler. Novak hätte dieses Spiel niemals gewinnen können. Und durch den Einsatz hat er die Verletzung noch verschlimmert. Es war ein Fehler ihn spielen zu lassen.
Daraufhin hat Djokovic seine Teilnahme am Masters in Shanghai abgesagt. Roger Federer ebenfalls. Der Schweizer klagte über Müdigkeit und wollte sich Zeit zur Regeneration gönnen. Ist die Belastung der Spieler durch den vollen Turnierkalender einfach zu hoch?
Der Druck ist enorm. Erinnern Sie sich an das sensationelle Halbfinale zwischen Federer und Djokovic bei den US Open. Das ist schon eine sehr hohe Belastung auf diesem Niveau über fünf Sätze zu gehen. Deshalb denke ich, dass die Spieler von Zeit zu Zeit Ruhe und Regeneration brauchen. Auf das ganze Jahr hin gesehen, finde ich allerdings nicht, dass der Turnierkalender eine zu hohe Belastung an die Spieler darstellt. Die Anzahl der Turniere ist mit 20 bis 22 pro Jahr nicht zu hoch. Zu meiner Zeit, als wir noch unter viel schlechteren Bedingungen gereist sind, haben wir 30 Turniere gespielt. Zudem muss man anmerken, dass ein Rafael Nadal zwischendurch noch Zeit findet, Schaukämpfe in Asien zu spielen. So hoch kann die Belastung also nicht sein.
Nadal und Andy Roddick hatten bereits während den US Open Kritik geäußert, sie würden sich nicht genug geschützt fühlen. Sie mussten auf nassen Plätzen spielen und hatten Angst vor einer Verletzung. Steht den Veranstaltern die Show über allem und vernachlässigen sie darüber hinaus die Gesundheit der Spieler?
Ja, "the show must go on" (lacht). Das ist das System in Amerika. Die Veranstalter der US Open verdienen Hunderte von Millionen. Da sehe ich es als zwingend notwendig an, dass mindestens ein Platz überdacht werden muss und es somit zu keiner Verletzung aufgrund nasser, rutschiger Plätze kommen kann. Sie sollten sich ein Beispiel an Wimbledon oder den Australian Open nehmen. Die haben auch bereits Dächer. Obwohl die Verantwortlichen in Wimbledon 15 Jahre zu spät reagiert haben.
Und trotzdem werden die Spieler aktiv: Nach den US Open hatten Spieler wie Nadal und Andy Murray mit Streik gedroht, sollte der Turnierkalender nicht entschlackt werden. Denken Sie, Streik wäre eine Lösung?
Nein! Welchen Grund hätten sie zu streiken? Ich hatte 1973 in Wimbledon einen Grund zu streiken. (Pilic, damals Jugoslawiens Nummer eins, wurde von seinem Landesverband mit dem Vorwurf, einen Davis-Cup-Einsatz verweigert zu haben, gesperrt. Die Sperre betraf alle großen Turniere – u.a. Wimbledon. In seinem Streik unterstützten ihn 81 Spieler, Anm. der Redaktion) Am Ende würde es sowieso zu keinem Streik kommen. Bei den Grand-Slam-Turnieren ist so viel Geld im Spiel, dass sich die Spieler das nicht nehmen lassen würden. Natürlich würden viele Spieler davon profitieren, wenn Nadal oder Murray nicht antreten würden, denn dann hätten sie eine realistische Chance bis ins Viertelfinale einziehen zu können. Aber ich denke, dass die Topleute es nicht nötig hätten zu streiken.
Die ehemalige Nummer zwei der Welt, Michael Stich, sagte jüngst, dass die Profis von heute nicht mehr spielen würden als sie damals. Darüber hinaus würden die Spieler oftmals vergessen, dass ihnen all diese Turniere den Job garantieren. Teilen Sie seine Meinung?
Ich denke, Michael hat Recht. 1973 habe ich nach meiner Finalteilnahme bei den French Open, nach Abzug aller Steuern und der Hotelkosten, 400 Dollar übrig gehabt. Heutzutage bekommt man für die Finalteilnahme 900.000 Dollar. Zudem habe ich damals mit einem Holzschläger spielen müssen. Mit allem Respekt vor den Topspielern: Diese Leute sind Multimillionäre. Sie dürfen sich wirklich nicht beschweren.
Andrea Petkovic kämpfte sich in diesem Jahr verletzt durch die US Open. Kam angeschlagen sogar ins Viertelfinale. Als Ersatzspielerin möchte sie nun zum kommenden Masters nach Istanbul reisen. Sollte sie die Chance bekommen zu spielen, sagte sie, würde sie es tun. Würden Sie ihr raten zu spielen, oder eher davon abraten?
Tja, das Masters ist schon etwas ganz Besonderes. Da spielen die acht besten Tennisprofis der Welt gegeneinander. Natürlich ist es eine ganz besondere Ehre, beim Saisonfinale zu spielen. Zudem ist es eine ganz besondere Möglichkeit, Punkte zu sammeln – eben weil nur acht Spielerinnen dabei sind. Aber letzten Endes muss sie es selbst entscheiden, ob sie antritt oder nicht. Doch wenn sie mich fragen: Aus meiner Erfahrung heraus sollte sie nicht spielen, wenn sie nicht 100 Prozent fit ist. Die Gefahr, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert, ist einfach zu hoch.
Das Tennisgeschäft ist knallhart. Der Kampf um wichtige Weltranglistenpunkte zwingt die Spieler mehr Turniere zu spielen. Welcher Spielertyp hat ihrer Meinung nach das Potenzial, der Belastung standzuhalten?
Der Spieler muss sehr bewusst leben. Er sollte sich an ein ausgewogenes Trainingsprogramm halten. Dazu gehören Massagen, Stretching und die richtige Ernährung. Und schließlich sollte er sich einen sinnvollen Turnierplan zusammenstellen. In der Jahresplanung sollte genau überlegt werden, welche Turniere man spielt und welche nicht. Dann hat man gute Chancen das Jahr verletzungsfrei zu überstehen.
Wäre es eine Alternative, die Beläge schneller zu machen, um somit die Ballwechsel und schließlich das gesamte Spiel zu verkürzen?
Nein, im Gegenteil. Die langsamen Böden sind die besten Beläge für attraktives Tennis im Fernsehen. Zu meiner Zeit habe ich auf Belägen gespielt, da war der Ballwechsel meist nach dem Return oder dem ersten Flugball nach dem Return schon vorbei. Das war eine Katastrophe. Jetzt ist der Rasen langsamer und die Bälle ebenfalls. Wenn ein Aufschlag mit 230 Stundenkilometer gespielt wird, kann man nichts mehr machen. Ich denke die Leute haben den meisten Spaß bei den French Open. Die Ballwechsel sind dort besonders spektakulär, weil der Ball auf Sand am langsamsten ist. Eine Beschleunigung würde nur die Attraktivität des Spiels zerstören. Und diesen Spaß sollte man nicht nehmen.
Mitte November endet die Saison, die Spieler haben ein paar Tage Zeit zur Regeneration. Danach beginnt bereits die Vorbereitung. Hat ein Spieler überhaupt die Möglichkeit seinem Körper Ruhe zu gönnen?
Natürlich ist für die Spieler, die das Masters spielen, die Zeit der Regeneration extrem kurz. Den anderen bleibt etwas mehr Zeit. Aber ich denke, dass sie in ihrer Vorbereitung auf die neue Saison genug Zeit zur Erholung finden. Jeder Spieler hat da seine eigenen Methoden.
Durch den strammen Turnierkalender bleiben immer mehr Top-Spieler den kleineren Turnieren fern. Leiden Davis Cup und Fed Cup auch darunter?
Der Davis-Cup-Termin nach den US Open ist sicherlich nicht gut gewählt. Die Spieler reisen von einem Kontinent zum nächsten. Dabei haben sie oftmals nur zwei Tage Zeit, sich auf die neuen klimatischen Bedingungen einzustellen. Dazu kommen andere Bälle und andere Beläge. Aber trotzdem haben sowohl Nadal, als auch Federer und Djokovic nach den US Open im Davis Cup gespielt. Ich denke, dass es etwas ganz Besonderes ist, für sein Land im Davis Cup anzutreten. Schauen sie sich nur Boris Becker zu seiner aktiven Zeit an. Er hat sich mit seinen Siegen für Deutschland unsterblich gemacht. Für einen Spieler ist es die Gelegenheit unmenschliche Popularität zu erlangen.