"Es wird irgendwann Tote geben" Stillstand: Tour-Fahrer protestieren gegen Streckenführung
Die Tour de France wurde bisher von vielen Stürzen überschattet. Um für mehr Sicherheit zu protestieren, haben die Fahrer kurz nach dem Start der 4. Etappe das Rennen unterbrochen.
Bei Kilometer 1 war die Geduld am Ende: Ein geschundenes Fahrerfeld sah sich bereits am vierten Tag der Tour de France zum geschlossenen Protest gezwungen und hat nach der Sturzorgie von Pontivy kurzzeitig die Weiterfahrt verweigert. Angeführt von Sprint-Routinier Andre Greipel und Weltmeister Julian Alaphilippe hielt das Peloton am Dienstag kurz nach dem Start für kurze Zeit an. Klares Zeichen an Veranstalter und Weltverband: So machen wir nicht weiter.
"Wir sind alle gezeichnet"
"Ich fühle mich, als wäre ich schon zwei Wochen unterwegs – mental, körperlich", sagte der deutsche Routinier Tony Martin vor dem Start im Bretagne-Städtchen Redon, dem der Standstreik und danach eine Fortsetzung zunächst im Bummeltempo folgten: "Wir sind alle gezeichnet." Sein Teamkapitän Primoz Roglic, der als Folge eines Crashs vom Vortag mehr nach Mumie als nach Radprofi aussah, konnte ein Lied davon singen.
Prellungen und Schürfwunden für die Glücklicheren, reihenweise Knochenbrüche bei den Pechvögeln: Nach einem Tour-Auftakt zum Gruseln sind die Hauptdarsteller restlos bedient. Mehr noch: "Wenn wir nichts ändern, wird es irgendwann Tote geben", sagte der französische FDJ-Teamchef Marc Madiot drastisch.
Der Zorn entzündete sich an der Streckenführung der letzten 20 Kilometer der ersten Sprinteretappe nach Pontivy. "Wer auch immer dieses Finale entworfen hat, sollte mal mit 180 Fahrern um den Etappensieg fahren", schimpfte Greipel. Und Martin meinte: "Wenn eine Strecke wie gestern geboten wird, ist das Chaos eigentlich vorprogrammiert." In der ohnehin hektischen Vorbereitung auf den Sprint stellten sich dem rasenden Feldschmale, schlechte Straßen, heikle Kurven und scharfe Abfahrten in den Weg.
Weltverbands-Chef: Schuld an Stürzen haben die Fahrer
Die Kritik kam bei Weltverbands-Präsident David Lappartient an, doch der Franzose – sinnigerweise im Un- und Umfallort Pontivy geboren – wischte sie brüsk beiseite. Schuld an ihren Wunden und Brüchen seien die Fahrer selbst: "Der Großteil der Stürze ist auf fehlende Aufmerksamkeit zurückzuführen. Man sollte es nicht auf die Route schieben", sagte der 48-Jährige. Eine Äußerung, von der es bis zum ganz großen Knall nicht mehr weit ist.
Es knallte zumindest bei der umstrittenen Etappe am Montag in loser Folge: Zunächst flog Mitfavorit Roglic zehn Kilometer vor dem Ziel auf einer schottrigen Piste ab, sechs Kilometer weiter krachte es in einer Linkskurve massenhaft, der australische Gesamtsechste Jack Haig musste aufgeben. Schließlich rutschte 150 m vor dem Ziel Topsprinter Caleb Ewan in einem leichten Rechtsknick weg und riss Bora-Star Peter Sagan mit – für Ewan war die Tour mit Schlüsselbeinbruch beendet.
Fahrer fordern Regeländerung
"Wenn ich so etwas sehe, möchte ich nicht, dass mein Kind Radprofi wird. Ich möchte nicht die Familie eines meiner Fahrer anrufen müssen, um ihnen zu sagen, was passiert ist", sagte Madiot völlig aufgelöst, nachdem auch sein Topsprinter Arnaud Demare zu Fall gekommen war: "Wir müssen Lösungen finden."
Diese lagen allerdings auf der Hand. Die Fahrer fordern eine Ausweitung der Drei-Kilometer-Regelung, die Gewerkschaft CPA wiederholte die Forderung am Dienstag. Die Regel sieht vor, dass innerhalb der letzten drei Kilometer gestürzte Fahrer keine Zeit verlieren – normale Zeitabstände werden aber gemessen, die Gesamtklassementfahrer müssen sich deshalb unter die Sprinter mischen, es wird eng.
"Ich weiß von Fahrern, die vor der Etappe gefordert haben, dass die Zeit acht Kilometer vor dem Ziel genommen wird, damit es auf der engen Straße und der Abfahrt weniger Positionskämpfe gibt", sagte der Belgier Tim Declercq: "Der Antrag ist nicht einmal beantwortet worden."
- Nachrichtenagentur SID