Deutsche Durststrecke hält an Rad-WM: Sagan gewinnt Wüstenrennen in Katar
John Degenkolb war dem Kollaps nahe, Marcel Kittel hechelte und suchte Schutz im Schatten, auch "Gorilla" André Greipel hatte keine Kraft mehr: Der Traum vom ersten WM-Titel im Straßenrennen seit 50 Jahren fand für die deutschen Rad-Stars in der Hitze des Wüstenstaats Katar ein schmerzhaftes und enttäuschendes Ende.
Im zermürbenden und kräftezehrenden Abschluss der Titelkämpfe in Doha rieben sich die deutschen Fahrer an starken Seitenwinden, technischen Defekten und den hohen Temperaturen auf - und standen am Ende wie seit nunmehr einem halben Jahrhundert wieder ohne das begehrte Regenbogentrikot da.
Für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hatte nur der Sieg gezählt, die Chancen auf den Titel waren so groß wie lange nicht mehr. Doch einmal mehr jubelten andere: Nach einem teils chaotischen Rennen bei bedenklich hohen Temperaturen siegte nach 257,5 km Titelverteidiger Peter Sagan. Der Slowake, der ab dem kommenden Jahr für das deutsche Team Bora-hansgrohe fährt, verwies im Finale den Briten Mark Cavendish und Tom Boonen aus Belgien auf die Plätze.
"Wir können trotzdem stolz sein"
Der mit Siegambitionen gestartete Greipel war zu diesem Zeitpunkt bereits lange abgehängt und erreichte das Ziel mit einem Rückstand von 5:26 Minuten auf dem 42. Rang. Das Warten auf den Weltmeister geht weiter.
"Wir haben bewiesen, dass wir es wollten. Ich bin enttäuscht, dass ich im Sprint nicht vorne dabei war", sagte Greipel. Klassiker-Spezialist John Degenkolb, als Helfer für Greipel ins Rennen gegangen, sagte: "Wir können trotz allem stolz auf das sein, was wir geleistet haben." Der 34-jährige Greipel hatte in der Kapitänsfrage vom BDR den Vorzug vor Marcel Kittel erhalten und das Rennen im Vorfeld als "Wundertüte" bezeichnet - er sollte Recht behalten
"Hat uns ein bisschen zerfetzt"
Auf dem gefürchteten Wüstenabschnitt geriet die nur sechsköpfige deutsche Mannschaft frühzeitig schwer unter Druck. Lange bevor die Fahrer den Rundkurs über die Insel The Pearl in Doha erreichten, trat das unbedingt zu verhindernde Worst-Case-Szenario ein: Die Belgier um Boonen und Olympiasieger Greg Van Avermaet nutzten starke Seitenwinde in der kargen Umgebung für eine Tempoverschärfung und rissen das Feld auseinander. "Es hat uns ein bisschen zerfetzt", sagte Kittel: "Das war ein bisschen unglücklich."
Mit nahezu 70 km/h rasten die Fahrer über den Asphalt - und während Mitfavoriten wie Sagan, Cavendish oder Alexander Kristoff (Norwegen) sich an der Spitze halten konnten, ließen sich Greipel und Co. überrumpeln und verloren den Anschluss. Einzig Degenkolb war zunächst vorne vertreten, fiel nach einem Defekt aber ebenfalls zurück.
Keine Hilfe anderer Nationen
Das deutsche Team - mit nur sechs Fahrern taktisch ohnehin im Nachteil - musste in der Verfolgung viele Kräfte investieren. Auch Greipel engagierte sich immer wieder an der Spitze der Gruppe, doch der Rückstand schrumpfte nicht - im Gegenteil. "Wir haben gezeigt, dass wir den Mannschaftsgeist hatten. Ich hatte Fahrer an meiner Seite, die versucht haben, die Lücke zu schließen. Leider hat uns hinten keine andere Nation geholfen", sagte Greipel.
Dies sorgte beim BDR-Sextett zunehmend für Frustration. Rund 85 km vor dem Ziel stiegen Zeitfahrweltmeister Tony Martin und Nils Politt entkräftet und entnervt aus, Degenkolb ließ sich später zu einem Scharmützel mit dem Belgier Jens Debusschere hinreißen. Augenscheinlich verärgert über die Fahrweise der belgischen Kontrahenten in der Verfolgergruppe, spritzte Degenkolb Greipels Teamkollegen bei Lotto-Soudal den Inhalt seiner Getränkeflasche ins Gesicht, dann schimpfte er wild gestikulierend auf ihn ein.
"Titel ist ein Traum"
Rund 40 km vor dem Ziel gaben sich die BDR-Athleten der Konkurrenz und der Hitze geschlagen. Degenkolb stieg mit schmerzverzerrtem Gesicht vom Rad und ließ sich Eisbeutel zur Kühlung reichen, auch Kittel nahm das Tempo raus und rollte erschöpft aus. "Ich habe alles gegeben, um hier in Top-Verfassung am Start zu stehen, und auf viel verzichtet. Für mich ist der Titel ein Traum", hatte Greipel im Vorfeld gesagt. Er sollte nicht in Erfüllung gehen.