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Olympia 2021| Timo Boll: "Hoffe nicht, dass ich mit über 50 noch dabei sein werde"


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Tischtennis-Star Boll
"Ich musste mich beim Training erst letztens übergeben"

  • T-Online
InterviewVon Alexander Kohne

Aktualisiert am 26.07.2021Lesedauer: 8 Min.
Timo Boll: Der 40-Jährige nimmt in Tokio an seinen sechsten Olympischen Spielen teil.Vergrößern des Bildes
Timo Boll: Der 40-Jährige nimmt in Tokio an seinen sechsten Olympischen Spielen teil. (Quelle: Christian Schroedter/imago-images-bilder)

In Asien kennt ihn jedes Kind, hierzulande genießt

Wenn Timo Boll über Tischtennis spricht, ist seine Passion für das Rückschlagspiel mit kleinen Schlägern förmlich greifbar. Auch mit 40 Jahren und 20 EM-Titeln verbindet den Odenwälder mit seinem Sport eine fast schon kindliche Begeisterung. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht und startet in Tokio bei seinen sechsten Olympischen Spielen. Nach einer Silber- und zwei Bronzemedaillen mit dem Team hat er dort einen ganz großen Traum.

t-online: Herr Boll, der Präsident des internationalen Tischtennisverbandes, Thomas Weikert, hat gesagt: "Wir haben wenige Superstars im Ausland. Nowitzki, Graf und natürlich Boll." Bundestrainer Jörg Roskopf hat Sie zudem als "Federer des Tischtennis" bezeichnet. Sind Sie ein Weltstar des Sports?

Timo Boll: Puh, das ist schwierig zu sagen über sich selbst. Ich war natürlich sehr lange an der Weltspitze, das ist vielleicht eine meiner größten Leistungen – dass ich immer vorne dabei war und über mehrere Generationen fast der Hauptkonkurrent der Chinesen war.

Als Weltstar sehen Sie sich also eher nicht?

Ich sage so etwas sehr ungern über mich. Unser Markt ist in Asien und da bin ich vielleicht schon ein Star, aber auch nicht so wie Roger Federer, den wirklich jeder auf der Welt kennt. Und darüber bin ich auch froh, weil ich mich außerhalb Chinas noch relativ gut bewegen und ein normales Leben führen kann.

In Peking können Sie nicht über die Straße gehen, ohne nach einem Autogramm gefragt zu werden. Wie ist es in Tokio?

Japan ist auch ein großes Tischtennis-Land. Natürlich nicht so wie China, aber weltweit schon einer der größten Märkte. Es ist vor allem sehr populär bei Hausfrauen (lacht). Kein Spaß, das ist wirklich so. Die Ausrüsterfirmen machen dort in diesem Segment das größte Geschäft.

Was kaufen die Damen denn?

Alles Mögliche. Vereinfacht gesagt sind die Männer den ganzen Tag arbeiten und die Frauen spielen Tischtennis. Das ist in Japan wirklich extrem groß. Bei Turnieren sind meist mindestens 60 Prozent der Zuschauer ein bisschen ältere Damen. Dazu kommen 30 Prozent Kinder und 10 Prozent Männer. So ist in etwa die Verteilung. Wenn man in die Halle kommt, warten immer schon ein paar ältere Damen in der Einlaufzone und stecken mir Geschenkepäckchen, beispielsweise mit Schokolade, zu. Das ist total süß – und das werde ich bei den Olympischen Spielen natürlich vermissen.

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In Tokio sind aufgrund der Corona-Lage keine Zuschauer zugelassen. Wie stehen Sie dazu?

Das ist sehr schade. Ich kenne die Halle, in der wir spielen, sehr gut. Eine sehr große Arena mit über 10.000 Plätzen – sowas haben wir im Tischtennis selten bei Olympischen Spielen. Dort habe ich großartige Spiele erlebt, beispielsweise bei der WM vor einigen Jahren im Halbfinale gegen die Japaner. Das war eine beeindruckende Stimmung und eines der Highlights meiner Karriere. Es ist schon sehr, sehr schade, das in einem Tischtennis-Land wie Japan nicht nochmal erleben zu können.

Haben Sie Verständnis für den Zuschauerausschluss?

Natürlich. Ich kann es aufgrund der steigenden Infektionszahlen absolut verstehen. Wir sind letztlich nur Entertainer und nicht lebensnotwendig. Von daher ist es auf jeden Fall nachvollziehbar. Wir als Sportler müssen jetzt damit leben.

Trotz zahlreicher Titel und Erfolge fehlt ihnen bei Olympia noch eine Einzelmedaille. Sie haben gesagt, dass sie immer noch "gierig" sind, diese zu gewinnen. Wie stehen die Chancen?

Die prozentuale Chance war früher natürlich höher, aber solange es auch nur eine einprozentige Chance gibt, werde ich versuchen, diese zu nutzen. Ich bin immer noch unglaublich heiß. Und da ist mir komplett egal, wie hoch die Chance ist. Ich sehe sie vor mir und deshalb strebe ich weiterhin danach. Nach meiner Hüftverletzung vor einigen Tagen bin ich wieder fit und bereit für die Spiele.

Träumen Sie nachts noch vom Olympiasieg oder visualisieren, wie Ihnen auf dem Treppchen die Goldmedaille umgehängt wird?

Nein, ich träume nachts nicht mehr vom Olympiasieg. Früher habe ich auch mal gedanklich durchspielt, wie sich das anfühlen könnte. Aber mittlerweile habe ich so viele schöne Erlebnisse im Sport gehabt. Deshalb weiß ich ungefähr, wie sich so ein besonderer, unbeschreiblicher Glücksmoment anfühlt. Davon kann man nie genug bekommen und deshalb arbeite ich hart für dieses Momentum – dafür lohnt es sich, auch mal ein bisschen zu leiden.

Beenden Sie Ihre Karriere, wenn es wirklich eine Medaille werden sollte?

Nein, mit 40 doch noch nicht (lacht). Ich glaube eher, dass mein Körper meine Karriere beenden wird. Wenn ich spüre, dass es körperlich keinen Sinn mehr macht und die Schmerzen so groß sind oder die Abnutzung so enorm ist, dass ich später in meinem normalen Leben Probleme bekommen könnte – davor habe ich viel mehr Angst. Aber die Motivation und der Spaß am Spiel werden nie aufhören. Und deshalb mache ich mein Karriereende nicht von irgendeinem Titel oder irgendeinem Zeitpunkt abhängig. Ich muss einfach spüren, wann der Zeitpunkt gekommen ist. Mein Körper wird mir da nichts vormachen.

Claudia Pechstein wird im Februar mit 50 Jahren noch an den Olympischen Winterspielen teilnehmen. Könnten Sie sich vorstellen, in zehn, elf Jahren bei den Spielen 2032 immer noch dabei zu sein?

Ich hoffe nicht, dass ich mit über 50 noch bei Olympia dabei sein werde, dass ich in Deutschland immer noch zu dem Kreis gehöre, der um die Olympia-Tickets kämpft. Das sollen die jüngeren Spieler bitte verhindern (lacht). Sie sollen bitte so gut sein, dass sie mich irgendwann ablösen – das sollte nicht mehr zu lange dauern. Kampflos gebe ich meinen Platz aber nicht her.

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Sie hatten eingangs China angesprochen. Dort gelten sie als populärster Deutscher überhaupt. Warum eigentlich?

In China ist Tischtennis Volkssport Nummer eins. 2002 habe ich dort erstmals den World Cup gewonnen und damals ihren Star Kong Linghui im Finale geschlagen. Danach war ich immer wieder vorne dabei und habe die Chinesen geärgert. Dabei habe ich mich aber sehr fair verhalten, immer Schiedsrichter-Fehlurteile zugegeben. Auch wenn ich über Jahre der ärgste Konkurrent der chinesischen Spieler war, gab es nie irgendwelche Anfeindungen, sondern eher das Gegenteil. Teilweise habe ich bei Weltmeisterschaften in China gegen Chinesen gespielt und drei Viertel der Leute warten auf meiner Seite. Das war schon sehr emotional, weil man mit so etwas eigentlich nicht rechnet.

Sie wurden in China vor David Beckham zum Sportler mit dem größten Sexappeal gewählt worden. Wie kam das?

Das ist aber schon sehr lange her (lacht). Es gab in einem großen Magazin eine Umfrage dazu. Das Ergebnis hat mich überrascht und im Nachhinein war mir das auch etwas unangenehm. Wie gesagt, Tischtennis ist in China eine ähnlich große Nummer wie Fußball bei uns und von daher stand ich medial sehr im Mittelpunkt. Dadurch bekommt man andere Abstimmungswerte, als wenn man in Deutschland in einer Randsportart aktiv ist.

Es gibt sogar chinesische Fans, die rund um die Welt reisen, um Sie zu sehen. Muss man sich das so vorstellen wie bei den Ultras im Fußball oder eher wie bei den Beckham-Groupies?

In China gibt es schon Hardcore-Fans, die einem rund um die Welt hinterherfliegen – so eine Art Tischtennis-Ultras, wobei die nicht mit den Ultras im Fußball vergleichbar sind. Das sind keine Fangruppen, die gerne mal einen trinken und Party machen, sondern eher Mädels, die gemeinsam um die Welt fliegen, anfeuern und Plakate hochhalten. Schlechte Erfahrungen habe ich damit noch nicht gemacht. Die sind alle superfreundlich und höflich.

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Wie bei vielen anderen Sportlern war auch bei Ihnen aufgrund der Corona-Pandemie kein normales Training möglich. Dennoch sind Sie vor einigen Wochen noch Europameister gewonnen. Wie machen Sie das?

In der Pandemie habe ich oft mit einem Tischtennis-Roboter trainiert. Immerhin habe ich ja mit KUKA einen der führenden Roboter-Hersteller als Partner. Den muss man sich in etwa so vorstellen wie eine Ballmaschine im Tennis. Man kann den Roboter mit dem iPad einstellen und die Flugkurve genau programmieren – ob Überschnitt, Seitschnitt oder Seitunterschnitt – da ist fast alles möglich. Und da ich ein Technikfreak bin, macht es mir großen Spaß, auf diese Weise meine beiden Leidenschaften zu kombinieren. Ich schlage etwa einen Ball pro Sekunde und das in 30-60 Sekunden-Intervallen. Danach sind 30 Sekunden Pause. Am Anfang war ich nach zwei Blöcken schon kaputt und habe auf dem Boden gelegen und kaum noch Luft bekommen. Und die Beine haben gebrannt. Aber mittlerweile geht es schon ganz gut und ich kann mehrere Intervalle machen. Ein Training dauert etwa eine bis eineinhalb Stunden, also komme ich schon auf mehrere Tausend Bälle pro Training.

Sie gelten selbst mit 40 Jahren noch als einer der fittesten Spieler der Tour. Was machen Sie genau?

Ich habe früh erkannt, dass Fitness im Tischtennis fast so wichtig ist wie die Technik. Technisch war ich schon immer ganz gut, aber gerade im Vergleich zu manchem Chinesen, habe ich gespürt, dass mir Athletik und Schlaghärte fehlen. Und irgendwann hat mich der Ehrgeiz gepackt und ich habe mich zu einem der fittesten und schnellsten Spieler entwickelt. Mit 40 ist das natürlich nicht mehr so einfach. Früher habe ich sehr viel mit einem Coach trainiert, mittlerweile möchte ich mehr Zeit mit der Familie verbringen und da helfen mir Gadgets. Ich habe beispielsweise einen Fitnessspiegel, den mir Manuel Neuer empfohlen hat, über den ich per Anleitung Übungen für Kraft und Stabilisation mache und messe mich über die Rad-Plattform Zwift auf der Rolle mit Konkurrenten in aller Welt. Da habe ich mich beim Training erst letztens wieder übergeben müssen beim Zielsprint (lacht). Es ging um den dritten Platz und ein Japaner hat mich ein bisschen gereizt, weil der nur im Windschatten gefahren ist. Deshalb wollte ich im Zielsprint auf keinen Fall verlieren – was funktioniert hat.

Apropos übergeben beim Training: Sie haben bei Shandong Luneng Taishan in China gespielt, als Felix Magath parallel die Fußballer des Klubs betreut hat. Haben Sie mal zum Training bei ihm vorbeigeschaut?

Nein. Die Fußballer hatten ihr Trainingszentrum zwar auf der anderen Straßenseite, aber es hat irgendwie nie hingehauen, weil wir jeden zweiten oder dritten Tag ein Spiel hatten. Schade eigentlich, dass ich nie beim ihm mittrainiert habe. Er kommt aus der gleichen Region wie ich. Aber zu mehr als telefonischem Kontakt hat es leider nie gereicht. Meine Kollegen sind aber mal rübergegangen, um zu kicken. Mir war das allerdings viel zu anstrengend und zusätzlich kam die Verletzungsgefahr dazu, die beim Fußball natürlich nicht zu unterschätzen ist…

…und weil Magath, der als "harter Hund" gilt, vielleicht ein bisschen zu groß ist?

(lacht) Keine Ahnung, was er für Übungen gemacht hat. Unser Programm war aber auch ziemlich heftig – bei 30 bis 40 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in China im gleichen Umfang trainieren lassen hat wie in Deutschland.

Sie haben vor einiger Zeit den "Timo Boll Webcoach" gelauncht. Was hat es damit auf sich?

Andreas Ball, mein bester Kumpel, der auch mal Nationalspieler war, hat während seines Studiums in Amerika gesehen, dass ein paar Hobbyspieler dort ihren Lebensunterhalt mit Online-Coaching verdienen. Da es in Deutschland kaum jemanden gibt, der sowas macht, haben wir zusammen damit angefangen. Einerseits gibt es YouTube-Videos mit Tipps und Tricks, die frei zugänglich sind. Zusätzlich haben wir eine eigene Plattform, auf der es vertiefende, teilweise detaillierte Videos gibt, die man als Abonnement abrufen kann – und zwar für jedes Leistungsniveau. Vom Amateur bis zum Profi. So kann ich mein ganzes Know-how online weitergeben, muss dazu aber nicht den ganzen Tag in der Halle stehen.

Man kann auch Einzelstunden mit Ihnen buchen – zur individuellen Videoanalyse. Wie funktioniert das?

Man schickt einfach ein Video zur Analyse ein, ich analysiere es und wir besprechen das dann entweder über einen Skype-Call oder in einem Video. Man kann aber auch einfach nur Skype-Calls buchen – das machen manche chinesische Fans. Die haben mich dann – flapsig gesagt – eine Dreiviertelstunde zum Quatschen gebucht. (lacht)

Verwendete Quellen
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