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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschlands Weitsprung-Heldin Was macht eigentlich Heike Drechsler?
Heike Drechsler ist zweifache Olympiasiegerin und Weltmeisterin, eine der ersten gesamtdeutschen Spitzenathletinnen. Dem Sport ist sie bis heute verbunden – allerdings anders als früher.
Es ist der 7. August 1992, der vorletzte Tag der Olympischen Spiele in Barcelona. Heike Drechsler trägt einen weiß-roten Body, die blonden Haare sind hochgebunden. Sie atmet tief ein, schaut konzentriert auf die Bahn, die Sprunggrube und setzt zum Sprint an. Mit großen Schritten rennt sie nach vorn, springt, schwebt über der Sandgrube. Kaum gelandet, steht sie schon wieder. Wenige Sekunden später wird die Weite angezeigt: 7,14 Meter. Das Publikum jubelt, Heike Drechsler reckt den rechten Arm in die Höhe: Sie hat es geschafft. Rang eins der Wertung, die deutsche Weitspringerin hat sich in Barcelona die Goldmedaille gesichert.
Vier Jahre später verpasst sie die Spiele in Atlanta wegen einer Sehnenverletzung. Doch im Jahr 2000 in Sydney ist sie wieder dabei. 35 Jahre alt ist die 1,81 Meter große Athletin da. Mit einem Sprung von 6,99 Metern holt sie erneut den Olympiasieg.
Mehr als 20 Jahre sind seitdem vergangen. Bis heute gilt Heike Drechsler als eine der erfolgreichsten deutschen Athletinnen – und zwar der gesamtdeutschen. Denn sie hat sich schon zu DDR-Zeiten einen Namen gemacht. Diesen Erfolg im wiedervereinigten Deutschland fortzuführen, ist nicht vielen gelungen. Für Drechsler drehte sich das Leben jahrelang nur um Sport, in gewisser Weise tut es das noch immer – allerdings sehr anders als früher.
In Gera geboren, kam sie dort bereits mit zehn Jahren zur Leichtathletik. Ob ihres Talents wurde Heike Daute, wie sie zu dem Zeitpunkt noch hieß, wenig später an der Kinder- und Jugendsportschule in Jena aufgenommen. Olympia sei schon damals ihr Traum gewesen, erzählt sie im Gespräch mit t-online: "Den so zu verwirklichen, dass ich dann auch oben auf dem Podium stehe, das war für mich etwas ganz Besonderes." Die Olympischen Spiele seien "das Maß der Dinge" für sie gewesen. Ihr Ziel damals: die Spiele 1984 in Atlanta.
1983 schien das zum Greifen nah. Drechsler holte bei der Weltmeisterschaft in Helsinki Gold im Weitsprung. Doch als sich die DDR dem russischen Boykott der Sommerspiele anschloss, war der Traum ausgeträumt: "Es wären damals meine ersten Spiele gewesen. Das tat sehr weh. Da hatte ich wirkliche Motivationsprobleme", erinnert sie sich heute an die Zeit.
"Wollte nicht in einer DDR-Schublade verschwinden"
In der DDR war Drechsler allerdings auch so ein Star: 1986 wurde sie Europameisterin im Weitsprung und holte zudem Gold im 200-Meter-Lauf, bei den Weltmeisterschaften 1987 Silber über 100 Meter. Erst ein Jahr später in Seoul durfte sie dann tatsächlich an den Olympischen Spielen teilnehmen und gewann Bronze im 100- und 200-Meter-Lauf. Die Mauer fiel und für Drechsler wurde die Wende zur großen Bewährungsprobe.
"Ich wollte nicht in einer DDR-Schublade verschwinden. Deswegen habe ich mich stark unter Druck gesetzt", sagt sie. Kurz zuvor war sie zudem Mutter geworden. "Ich war völlig durch den Wind. Viele Dinge waren neu. Es war eine neue Herausforderung." Doch irgendwann habe sie sich entschieden, da weiterzumachen, wo sie 1988 aufgehört hatte. "So bin ich noch mal durchgestartet, und es hat funktioniert."
Tatsächlich: 1990 in Split, 1994 in Helsinki und 1998 in Budapest wurde sie jeweils Europameisterin im Weitsprung. Drei Jahre später gewann sie in Tokio nach einem spannenden Wettkampf WM-Silber. Drechsler führte bis zum letzten Sprung, wurde dann von der US-Amerikanerin Jackie Joyner noch überholt.
"Habe die Hoffnung nie aufgegeben"
All diese Erfolge weiß Drechsler bis heute zu schätzen. Doch den dann folgenden Olympischen Spielen misst sie den größten Wert bei: "1992 in Barcelona hatte ich die Einstellung: Ich zeige es euch allen. Es war die Wendezeit, und es war ein Kampf, mir selbst zu zeigen, dass ich aus der DDR komme, aber ein Talent habe."
Dass sie das hatte, zeigte sie tatsächlich allen, als sie die Goldmedaille im Weitsprung holte. Aber es gab auch Rückschläge: An den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta konnte sie wegen einer Sehnenverletzung nicht teilnehmen. Die Spiele 2000 in Sydney sollten dann für sie zu "Genussspielen" werden, wie sie sagt. Und das, obwohl sie auch damals noch mit den Folgen einer Verletzung zu kämpfen hatte. "Ich wusste, es wird nicht leicht, oben auf dem Treppchen zu stehen. Aber ich habe die Hoffnung nie aufgegeben." Überglücklich sei sie gewesen, als sie dann unerwartet die zweite Goldmedaille im Weitsprung holte. "Ich kriege immer noch Gänsehaut. Dieser Moment hat mich sehr beflügelt", sagt Drechsler:
Verletzungszeit 1996 war für Drechsler entscheidend
Rückblickend sei die Zeit der vielen Verletzungen jedoch wichtig gewesen: "Ich bin durch sie aus dem Hamsterrad gekommen und konnte sehen, wie ich all die Jahre funktioniert hatte. Das war wichtig und hat mir die Kraft gegeben, weiterzumachen." Sie habe endlich mehr Zeit für die Familie gehabt und sei zur Ruhe gekommen.
Schon damals, Mitte der 90er-Jahre, begann sie, Pläne zu schmieden für die Zeit nach dem Leistungssport. Mit der Barmer Gesundheitskasse ging sie eine Kooperation ein, war nebenbei als Referentin tätig. Für die Barmer arbeitet sie noch heute, unterstützt Firmen im Betriebs- und Gesundheitsmanagement bei Themen wie Bewegung, Entspannung, Ernährung und mentalem Training. "Ich kann das weitergeben, was ich während meiner Karriere gelernt habe. Wenn ich andere anstupsen kann, was zu tun, freut mich das sehr", sagt sie.
Mihambo? "Traue ihr den Weltmeistertitel zu"
Drechsler lebt in Berlin und geht oft joggen. Sie liebe den Ausdauersport, erzählt sie. Auch ihr Hund halte sie aktiv. "Ich brenne noch immer für meinen Sport", sagt Drechsler. Die Olympischen Spiele verfolgt sie deshalb ebenso wie die Meisterschaften. Zu der Weltmeisterschaft in diesem Jahr wird sie sogar nach Budapest reisen. Vor allem die Karriere der deutschen Olympiasiegerin Malaika Mihambo verfolgt sie intensiv: "Ihre Entwicklung ist toll. Sie hat zwar Schwankungen vor dem Brett, an denen sie noch arbeiten muss. Aber ich traue ihr den Weltmeistertitel wieder zu."
Bis heute konnte keine deutsche Weitspringerin Drechslers Hallen-Europameisterschaftssieg von 1994 in Paris (7,06 Meter) nachmachen. Auch Mihambo scheiterte daran zuletzt im März in Istanbul. Durch sie sei die Faszination für den Weitsprung in Deutschland wieder gewachsen, der Sport werde auch wieder mehr im Fernsehen übertragen. "Das Interesse für die Disziplin ist plötzlich wieder da", sagt Drechsler.
Genauso wie damals bei ihr.
- Eigenes Gespräch mit Heike Drechsler
- youtube.com: "Barcelona 1992 Höhepunkte ARD Teil I Leichtathletik"
- spiegel.de: ""Das ist absoluter Wahnsinn""
- welt.de: "Weite Sprünge von Mißverständnis zu Mißverständnis"
- tagesspiegel.de: "Heike Drechsler: Sprung in ein neues Land"
- spiegel.de: "Es ist nicht alles Gold was glänzt"