Diskus-Star Harting "Früher war ich ein anderer Mensch: mehr Testosteron, weniger Gehirn"
Dreimal Weltmeister, zweimal Europameister, dazu Olympia-Gold – Diskuswerfer Robert Harting hat in seiner Karriere alle wichtigen Titel gewonnen. Mit 32 Jahren guckt er trotzdem teilweise kritisch auf seine Karriere zurück.
Im Gespräch mit "Sport Bild" sagte Harting über die Anfänge seiner Medaillenjagd: "Ich habe mich völlig unverstanden gefühlt und den Sport gemacht, um meine inneren Traumata zu bekämpfen. Fehlenden Respekt, soziale Enttäuschungen, mangelnde Anerkennung gegenüber meiner Sportart. Es ging mir gar nicht darum, Olympiasieger zu werden – aber die Goldmedaille war mein Hebel, um all das zu bekämpfen."
Und weiter: "Ich habe all meine Kämpfe emotional gelebt, und daher waren sie alle exzessiv. Die Emotionen haben mir oft auch geschadet. Ich war besessen – aber man braucht diese Besessenheit auch, sonst wird man nicht der Beste."
Harting fährt mit gedämpften Erwartungen zur WM nach London
Mittlerweile hat sich der 2,01 Meter große Modellathlet stark verändert, ist ausgeglichener geworden. Früher habe das allerdings anders ausgesehen: "Ich war ein anderer Mensch: mehr Testosteron, weniger Gehirn. Energie war das einzige Mittel, das ich hatte. Mein Horizont war längst nicht so weit."
In die am Freitag beginnende WM in London startet Harting mit realistischen Erwartungen: "Ich bin nach wie vor besessen von Perfektion. Aber ich weiß, dass ich unter normalen Umständen nicht gewinnen kann." Der Grund: ein vor einigen Jahren erlittener Kreuzbandriss.
Harting dazu: "Für mich ist der Fuß so wichtig wie die Finger für einen Klavierspieler. Im vorderen Kreuzband, das mir gerissen ist, stecken ganz viele Sensoren, die den Informationsfluss des Fußes zum Gehirn weitertragen. Durch die Verletzung kommen die Informationen jetzt aber zu spät an. Mir fehlen ca. 25 Prozent Geschwindigkeit, 20 Prozent Kraft."