"Ein furchtbares Gefühl" Selecao entschuldigt sich für WM-Desaster
Die Wiedergutmachung misslang gründlich, für Brasilien endet die WM im eigenen Land in einem Desaster. Nach einer 0:3 (0:2)-Pleite vor 68.000 Zuschauern im kleinen Finale gegen die Niederlande schlichen die Spieler der Selecao unter Pfiffen und Buhrufen wie geprügelte Hunde vom Platz. Und das zum zweiten Mal in Folge. Zu groß scheint die Wunde zu sein, die das historische 1:7-Debakel im Halbfinale gegen Deutschland ins brasilianische Selbstverständnis gerissen hat.
"Das ist Frust pur", verlieh Kapitän Thiago Silva seiner Enttäuschung nach einer erneut blutleeren Vorstellung seines Teams Ausdruck. "Wir entschuldigen uns beim brasilianischen Volk." Mittelfeldspieler Oscar zeigte sich ratlos: "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist ein furchtbares Gefühl." Außenverteidiger Maicon nannte die Weltmeisterschaft nach dem Halbfinale bereits "eine Schande, ein Desaster."
"Maskottchen" Neymar muss tatenlos zusehen
Ganz furchtbar müssen sich auch die brasilianischen Fans im Stadion, auf den Fanmeilen und vor den Fernsehgeräten gefühlt haben. Von der versprochenen Trotzreaktion war nichts zu sehen. Das Team von Trainer Felipe Scolari kann sogar von Glück sagen, dass es nicht noch höher verloren hat.
Das lag daran, dass die Niederländer nach der schnellen 2:0-Führung im Gegensatz zur DFB-Elf einen Gang zurückgeschaltet hatten. Vor allem aber an den erschreckend beschränkten Mitteln der Gastgeber. Daran konnte auch "Maskottchen" Neymar nichts ändern, der zur Unterstützung auf der Bank Platz genommen hatte.
Kahn rechnet mit Brasilien ab
Dementsprechend gnadenlos rechnete auch die Öffentlichkeit mit den Brasilianern ab. "Erneut ein Fiasko", schrieb die Zeitung "Folha", während "Correio Braziliense" titelte: "Die Fußball-Armut des Teams von Scolari wurde einmal mehr deutlich." Auch Oliver Kahn setzte zum Abgesang auf die Selecao an: "Es fehlt bei Brasilien ganz einfach an Qualität. Da mangelt es an allen Ecken und Enden. Wenn man Hulk oder Oscar sieht: Das sind alles gute Spieler, aber keine Weltklassespieler", sagte Deutschlands ehemalige Nummer eins.
Auch Ex-Bayern-Spieler Luiz Gustavo bekam sein Fett weg. "Warum hat Bayern München einen Luiz Gustavo ziehen lassen?", fragte der 45-Jährige beim ZDF und hatte die Antwort gleich parat: "Weil er zwar ein guter Spieler ist, aber nicht das absolut höchste Niveau verkörpert. Das brauchst du aber bei einer Weltmeisterschaft."
Scolari lässt Zukunft offen
Der Vater des Misserfolgs scheint auch längst ausgemacht. Nach dem Fiasko gegen die DFB-Elf nahm Coach Scolari die Schuld von ganz alleine auf sich und auch nach der Pleite gegen Oranje wird die Schuld beim 65-Jährigen gesucht, dessen Vertrag nach der WM endet.
Insgesamt 14 Gegentore hat die Selecao kassiert - so viele wie noch kein WM-Gastgeber zuvor. Die Offensive präsentierte sich nach Neymars Ausfall hilf- und harmlos. Zwei WM-Pleiten in Folge hatte es zudem zuletzt vor 40 Jahren in Deutschland gegeben. Angesichts dieser ernüchternden Bilanz scheint eine Trennung von Scolari die logische Konsequenz.
Ob Scolari weitermacht, ist noch offen. Von sich aus ist er jedoch nicht bereit, Konsequenzen aus dem enttäuschenden Abschneiden bei der Heim-WM zu ziehen. "Der Präsident muss die Entscheidung treffen", sagte der Coach und legte damit sein Schicksal in die Hände des Verbandes.
Rührende Abschiedsgeste
Zuspruch, zumindest körperlich, bekam Scolari nach dem Match von Neymar. Scolari hatte bereits mehr als zehn Minuten über die Niederlage doziert, als der 22-Jährige seinen Überraschungsauftritt hatte. Gegen Ende der Pressekonferenz humpelte der verletzte Superstar im schwarzen Shirt mit schwarzer, falsch herumgedrehter Kappe auf die Bühne in Brasilia. Lange und innig herzte Neymar seinen Coach, der ihm noch ein Küsschen auf die Wange drückte.
Eine Szene wie aus dem Bilderbuch und eine symbolträchtige noch dazu. Scolari, der für Rumpelfußball und Scheitern steht, wird von Neymar, Brasiliens Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf die für die Brasilianer bei dieser WM typisch emotionale Art verabschiedet.
Auch David Luiz klammerte sich in dieser schweren Stunde an die Zukunft. "Wir müssen weitermachen, denn es kommen andere Gelegenheiten für uns", sagte der Innenverteidiger. Doch die Gelegenheit, sich im eigenen Land bei der WM unsterblich zu machen, haben die Brasilianer kläglich verpasst.