Generation Sommermärchen Ein Quintett steht vor dem Happy End
Aus Rio de Janeiro (Brasilien) berichtet Thomas Tamberg
Vor langer Zeit sind sie ausgezogen und wollten das Sommermärchen schreiben. Bei der Heim-WM 2006 haben sie ihr Herz in die Hand genommen. Am Ende reichte es zu einem sehr respektablen dritten Platz. Damals waren sie 21, 22 Jahre alt, groß gewordene Jungs gerade einmal. Heute, acht Jahre später, sind sie gestandene Männer kurz vor ihrem Dreißigsten. Die Rede ist von Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski und Per Mertesacker. Wieder mal sind sie ausgezogen, sind um die halbe Welt gereist und nachdem es beim ersten Mal nicht geklappt hat, wollen sie nun ein anderes Märchen schreiben.
Das Quartett war 2006 das erste zarte Ergebnis der veränderten Nachwuchsförderung im deutschen Fußball. Sie sind die letzten, die noch die Brücke schlagen zwischen dem Fußball von gestern und dem modernen Spitzensport. Dazu kommt noch Miroslav Klose, doch der bildet natürlich eine große Ausnahme. Der 36-Jährige war bereits bei der WM 2002 dabei und ist nun wirklich einer, der aus der Zeit gefallen ist. Allesamt haben sie längst über 100 Länderspiele absolviert. Sie sind die einzigen, die aktuell von damals noch übrig geblieben sind.
Erfahrung macht den Unterscheid
Nach dem Desaster bei der EM 2000 und mit der Weltmeisterschaft im eigenen Land vor Augen war der DFB zum Handeln gezwungen und baute erstmals in seiner Geschichte eine professionelle Jugendförderung auf. Spieler wie Mesut Özil, Sami Khedira, Mario Götze, Julian Draxler, Erik Durm sind nur die Spitze einer großen Menge hochtalentierter deutscher Kicker.
Doch nur mit jungen Wilden geht es nicht. Was die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 2014 so erfolgreich macht, ist vor allem auch ihre Erfahrung. Und die bringt neben dem Phänomen Klose vor allem die Generation Sommermärchen mit Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker und Podolski mit. Sie haben einen Weg hinter sich und jede Menge Schlachten bei Welt-, Europameisterschaften und natürlich auf Klubebene geschlagen. "Ich weiß mittlerweile wie man so ein Turnier auf hohem Niveau spielt und gewinnt", sagte Schweinsteiger.
Die letzte Chance auf den großen Wurf?
Im letzten Drittel ihrer erfolgreichen Karriere könnte nun ausgerechnet im südamerikanischen Winter die ganz große Nummer gelingen. "Ich bin mir bewusst, dass es meine letzte WM sein könnte", sagte Lahm. Und Schweinsteiger gab zu, mittlerweile alle Momente aufzusaugen und zu genießen. Er weiß ebenfalls, dass die Wahrscheinlichkeit eher gering ist, dass er noch einmal ein WM-Finale bestreiten wird.
Daher ist das Spiel gegen Argentinien im ruhmreichen Maracana von Rio de Janeiro so bedeutend für die Abteilung Sommermärchen. Für diese Akteure ist es das Spiel ihres Lebens, im Zenit ihrer Schaffenskraft. Die jüngeren Kollegen könnten noch eine weitere Final-Chance erhalten.
Löw ist ständiger Begleiter
Nach zwei dritten WM-Plätzen 2006 und 2010 in Südafrika, nach verpassten EM-Titeln, scheint die Zeit reif. Der Kreis soll sich schließen. Sie mussten viele Widerstände aus dem Weg räumen, sind immer aufgestanden und haben es immer wieder aufs Neue versucht. "Man muss einfach unsere letzten Jahre sehen. Dann hat sich die Mannschaft das einfach auch erarbeitet, wieder im Finale zu stehen", sagte Lahm kurz vor dem Showdown.
Begleitet wurden sie auf ihrem Weg von Bundestrainer Joachim Löw. Von 2004 bis 2006 noch als Assistenz-Coach von Jürgen Klinsmann dabei, übernahm der heute 54-Jährige nach der Heim-WM die Chefrolle. Mit ihm zusammen entwickelten sie den Spielstil der deutschen Mannschaft immer weiter. Vom schnellen Umschalt- und Konterspiel, das in Südafrika die Fußball-Welt verzückte, bis zum heutigen Ballbesitz-Spiel, mit dem man sich die Favoritenrolle im Finale erspielt hat.
Zukunft des Quartetts noch offen
Wie es nach der WM für diese Generation weitergeht, steht noch nicht fest. Sogar Klose hat angekündigt, noch ein paar Jahre spielen zu wollen. Auch Äußerungen von Schweinsteiger und Lahm lassen den Schluss zu, dass für sie noch nicht das Ende in der Nationalmannschaft erreicht ist. Mertesacker dürfte es indes schwer haben, nochmal nominiert zu werden. Es rücken einfach zu viele Talente nach. Ähnlich könnte es Podolski ergehen, doch der Arsenal-Star ist immer für ein Comeback gut.
Doch was nach dem 13. Juli 2014 kommt, daran denkt jetzt noch niemand. Das mit dem Sommermärchen hat damals nicht geklappt. Zuhause Weltmeister zu werden, wäre auch ein bisschen zu einfach gewesen. Außerdem gab es das ja schon. Wenn, dann soll schon die ganz große Nummer her. In Südamerika hat es noch nie ein europäisches Team geschafft. Was wäre das für eine Geschichte. Ein echtes Wintermärchen.