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Vor dem Play-off-Halbfinale: Die Odyssee der ukrainischen Nationalmannschaft


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Ukraine-Elf will zur WM
Die Kämpfer am Ball


01.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Spieler der ukrainischen Nationalmannschaft: Eine Qualifikation für die WM hätte für ihr Land große Bedeutung.Vergrößern des Bildes
Spieler der ukrainischen Nationalmannschaft: Eine Qualifikation für die WM hätte für ihr Land große Bedeutung. (Quelle: Moritz Müller/imago-images-bilder)

In der Ukraine tobt der Krieg. Dennoch muss sich die Nationalmannschaft heute im WM-Play-off-Spiel auf den Sport konzentrieren. Das Land steht geschlossen hinter den Fußballern.

Die ukrainische Fußball-Nationalmannschaft hat eine immense Bedeutung für das gesamte Land. Sie steht als Symbol für die Einheit des Landes – und dies ist in Zeiten des Krieges wichtiger als je zuvor.

Und so ist es für die Auswahlspieler der Ukraine eine besondere Ehre, heute Abend im WM-Playoff-Spiel gegen Schottland (ab 20.45 Uhr im t-online-Liveticker) für ihre Nation aufzulaufen. Denn sie besitzen ein Privileg. Sie dürfen auf dem Fußballplatz stehen – während ihre Altersgenossen, und alle weiteren männlichen Ukrainer zwischen 18 und 65 Jahren, nicht ausreisen dürfen, weil sie zum Militärdienst berufen werden könnten. Doch auch die Fußballer "kämpfen" für ihr Land. Um ein WM-Ticket, aber auch um vieles mehr.

"Jeder Ukrainer will nur eines"

Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, weshalb die Nationalmannschaft so bedeutsam für die Ukraine ist. Zu Sowjetzeiten war Russisch die Pflichtsprache, auch in den ukrainischen Gebieten. Es war verboten, in der Öffentlichkeit Ukrainisch zu sprechen. So nutzten die Ukrainer das Stadion als eine Art Ventil – es war ein Zufluchtsort, an dem sie ihre eigene Sprache sprechen konnten. Die Stadien des Landes wurden so zu Zentren der ukrainischen Kultur, die anderswo nicht ausgelebt werden durfte.

Ursprünglich hätte das WM-Playoff-Halbfinale zwischen den Schotten und der Ukraine schon am 24. März stattfinden sollen. Doch das Spiel wurde verlegt, weil Russland nur einen Monat vor dem Termin den Angriffskrieg gegen die Ukraine startete.

"Jeder Ukrainer will nur eines: diesen Krieg beenden (...) Ich habe auch mit ukrainischen Kindern gesprochen, die einfach nicht verstehen, was in der Ukraine passiert. Sie wollen nur, dass der Krieg aufhört, und sie haben nur einen Traum: den Krieg zu beenden."

Diese Worte richtete Oleksandr Zinchenko, ukrainischer Nationalspieler und Star von Manchester City, auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Schottland an die Welt.

Ukrainische Nationalmannschaft hat einen eigenen Traum

Auch gut drei Monate nach Kriegsbeginn kann der Fokus der ukrainischen Nationalmannschaft nicht ausschließlich auf dem Sportlichen liegen. Schließlich tobt der Krieg im eigenen Land noch immer. Dennoch sagt Zinchenko: "Was den Fußball betrifft, so haben wir, die ukrainische Mannschaft, einen eigenen Traum. Wir wollen zur Weltmeisterschaft fahren." Und damit im eigenen Land dafür sorgen, dass der Krieg zumindest für einige Momente in den Hintergrund rückt. Sie wollen zwischen den Kriegsmeldungen ausnahmsweise für positive Schlagzeilen sorgen, der Bevölkerung Abwechslung geben, "ein Lächeln schenken", wie es Zinchenko formuliert.

Der ARD-Kriegsreporter Robert Kempe sagt, es gehe der Ukraine darum, ein "Spotlight" herzustellen. Natürlich wünschten sich viele Ukrainer, dass ihre Mannschaft bei der Weltmeisterschaft antritt. Viel bedeutsamer aber sei, die Situation des Landes auf der Weltbühne präsentieren zu können. Und genau dafür biete der Fußball eine hervorragende Bühne.

"Wir bekommen ständig Nachrichten von unseren Soldaten. Sie haben nur einen Auftrag für uns: bitte macht alles, um zur WM zu kommen", so Mittelfeldakteur Taras Stepanenko zur BBC, sein Nationalmannschaftskollege Zinchenko fügt hinzu: "Das Spiel ist eines der wichtigsten meines Lebens."

Seit Beginn des Angriffskrieges ist die erste ukrainische Liga unterbrochen, die Spielzeit 2021/2022 wurde sogar abgebrochen. Den Trainingsbetrieb haben einige ukrainische Teams zwar nach einem Monat wieder aufgenommen. Die letzten Spiele unter Wettkampfbedingungen fanden jedoch im Dezember statt, also vor Beginn der Winterpause. Das hat auch Folgen für die Nationalmannschaft, denn viele Spieler sind in der Heimat aktiv.

So ergeht es auch Stepanenko, der bei Shakhtar Donetsk unter Vertrag steht. Der ukrainische Rekordmeister hat Ende März den Trainingsbetrieb wieder aufgenommen. Weil Trainingseinheiten in der Heimat undenkbar sind, trainiert er mit seinen Teamkollegen nahe der slowenischen Hauptstadt Ljubljana.

Auch die ukrainische Nationalmannschaft hat sich seit Kriegsbeginn vorwiegend mit Training fit gehalten. Einzig Freundschaftsspiele konnte das Team von Trainer Oleksandr Petrakov absolvieren, etwa ein Benefizspiel bei Borussia Mönchengladbach, das mit 2:1 gewonnen wurde.

Laut Buchmachern ist die Ukraine im schottischen Glasgow leichter Außenseiter. Zwar sind die Ukrainer von den Einzelspielern her etwas besser als Schottland einzuschätzen. Zwei Faktoren sprechen jedoch für die Schotten. Erstens: Sie haben ein Heimspiel. Zu Hause sind schottische Mannschaften traditionell deutlich stärker als in der Fremde. Im Hampden Park in Glasgow wird es für die Ukraine schwierig, der stimmungsvollen Atmosphäre zu widerstehen. Zweitens: Anders als viele Ukrainer stehen die schottischen Fußballer voll im Saft und haben gerade ihre Vereinssaison beendet.

Ukraine will EM-Coup wiederholen

Dass die Ukraine jedoch nicht zu unterschätzen ist, bewies sie bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr. Während Schottland mehr oder weniger sang- und klanglos in der Vorrunde scheiterte, stürmte die Ukraine bis ins Viertelfinale – und flog erst gegen den späteren Finalisten England (0:4) aus dem Turnier.

Der Gewinner aus dem Duell wird am Sonntag (ab 18 Uhr im t-online-Liveticker) in Cardiff gegen Wales spielen. Dort geht es im finalen Playoff-Duell um den letzten europäischen Platz zur Winter-WM in Katar. Der Sieger des Finales trifft im Wüstenstaat in Gruppe B auf England, die USA sowie den Iran.

Erst einmal wird am Mittwochabend das ganze Land hinter den "Blau-Gelben" stehen. Der Überzeugung ist auch Roman Jaremtschuk, Offensivspieler vom portugiesischen Klub Benfica Lissabon: "Es gibt jetzt einen Klub: die Nationalmannschaft."

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