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EM 2021: Ungarn-Experte geht von Pleite gegen Deutschland aus


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Gruppen-Finale
Experte vor DFB-Spiel: "Ungarn fehlt es an individueller Klasse"


Aktualisiert am 22.06.2021Lesedauer: 5 Min.
Willi Orban: Der in Kaiserslautern geborene Sohn eines Ungarn ist der Abwehrchef der Nationalmannschaft.Vergrößern des Bildes
Willi Orban: Der in Kaiserslautern geborene Sohn eines Ungarn ist der Abwehrchef der Nationalmannschaft. (Quelle: Buzzi/imago-images-bilder)
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Zum Abschluss der EM-Gruppenphase trifft Deutschland auf Ungarn. Der Außenseiter will in München die Sensation schaffen, doch selbst den heimischen Experten fehlt der Glaube daran.

Das, was für Deutschland die WM im eigenen Land 2006 war, war die EM 2016 für Ungarn: ein Sommermärchen. Als ungeschlagener Gruppensieger zog die Mannschaft des damaligen Nationaltrainers Bernd Storck völlig überraschend ins Achtelfinals des Turniers ein, die Euphorie im Land kannte keine Grenzen.

"Als es im ersten Spiel gegen Österreich direkt einen Sieg gab, gingen Tausende Menschen im ganzen Land auf die Straßen und feierten. Diese Szenen wiederholten sich auch nach dem Unentschieden gegen Island, als Ungarn in der letzten Minute noch den Ausgleich erzielte, und nach dem 3:3 gegen Portugal", erinnert sich Peter Bernau, Sportchef der ungarischen Tageszeitung Népszava, im Gespräch mit t-online. Auch die saftige 0:4-Niederlage in der Runde der letzten 16 gegen Belgien konnte der Freude der Ungarn über das Erreichte nichts anhaben.

Mainz-Stürmer Szalai Ungarns Schlüsselspieler

Fünf Jahre nach den Erfolgen bei der EM in Frankreich scheint Ungarn weit entfernt zu sein von der Euphoriewelle eines neuerlichen Sommermärchens. "Die meisten ungarischen Anhänger blicken wesentlich pessimistischer auf diese EM", erklärt Bernau. Dabei hat die Mannschaft vor dem letzten Gruppenspiel gegen Deutschland (Mittwoch, ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online) sogar noch alle Chancen, das Achtelfinale zu erreichen. Zwar endete das Auftaktspiel gegen Titelverteidiger Portugal nach einem Dreierpack innerhalb von nur sechs Minuten mit 0:3, gegen Weltmeister Frankreich erkämpfte man sich jedoch sensationell ein 1:1-Unentschieden. Ein Sieg gegen die DFB-Elf und die Magyaren könnte ziemlich sicher mit der Runde der letzten 16 planen.

Trotz der offenen Ausgangslage sieht Bernau fürs letzte Gruppenspiel schwarz für Ungarn. "Gegen die DFB-Elf gehe ich von einer Pleite aus", sagt der Sportjournalist, "Deutschland ist, wie wir alle wissen, eine Turniermannschaft und dürfte jetzt, wo es auf Ungarn trifft, bereits als Mannschaft zusammengefunden haben."

Dabei gibt es Punkte, die Ungarn durchaus optimistischer stimmen dürften. Einer davon heißt Adam Szalai. Der 33-jährige Stürmer ist seit nunmehr elf Jahren ununterbrochen in der Bundesliga aktiv und hat sich in dieser Zeit insbesondere als charakterliche Stütze in seinen Teams bewährt. Bei seinem aktuellen Arbeitgeber Mainz 05 mussten 2020 sogar Trainer und Manager gehen, nachdem sich die Mannschaft geschlossen gegen ihre Entscheidung stellte, Szalai aus dem Profikader zu streichen.

"Szalai ist die absolute Schlüsselfigur der ungarischen Nationalmannschaft", befindet auch Bernau. Dabei hatte es der Angreifer, der die Magyaren seit einigen Jahren auch als Kapitän anführt, auch in seiner Heimat nicht immer leicht. "Vor der EM 2016 wurde er von den Fans ausgepfiffen", erinnert sich Bernau, "in dieser Zeit leistete er sich viele schlechte Leistungen und kritisierte obendrein auf einer Pressekonferenz seine Mitspieler und den ungarischen Fußballverband für vermeintlich fehlende Professionalität. Das hat viele Ungarn verletzt." Doch es war ausgerechnet Szalai, der beim EM-Auftakt gegen Österreich das erste Tor erzielte. "Seitdem lieben ihn die Menschen in Ungarn wieder und er hat sich zu einer Führungsfigur innerhalb der Mannschaft entwickelt", erklärt Bernau.

Dabei ist Szalai insbesondere als Motivator nicht mehr aus dem Kreise der Nationalmannschaft wegzudenken. Bernau: "Vor dem entscheidenden EM-Qualifikationsspiel gegen Island im November 2020 hielt er eine Rede, in der er die komplette Mannschaft in die Pflicht nahm: Er erinnerte seine Teamkollegen daran, dass das ganze Land auf sie blickt, dass viele Menschen wegen der Corona-Pandemie ihre Arbeit verloren haben und die Spiele der Nationalmannschaft ihnen Freude in diesen schwierigen Zeiten schenken. Es gab keinen Spieler, der nach der Partie und der damit verbundenen Qualifikation für die Europameisterschaft nicht betonte, wie viel diese Rede Szalais in ihm ausgelöst habe."

Leipzigs Willi Orban? "Sein Ungarisch ist ausbaufähig"

Ein weiterer Bundesliga-Legionär, der eine entscheidende Stütze der ungarischen Nationalmannschaft ist, ist Willi Orban. Dabei war die Entscheidung des in Kaiserslautern geborenen Sohnes eines Ungarn und einer Polin für viele Fußballfans eine Überraschung – so auch für Sportjournalist Bernau. "Sein Ungarisch ist ausbaufähig", erklärt er auf Nachfrage und lacht. "Man kann ihn schon verstehen, wenn er Ungarisch spricht, aber er zieht es vor, auch im Kreise der Nationalmannschaft auf Englisch oder Deutsch zu kommunizieren, sowohl bei Interviews als auch auf dem Trainingsplatz." Trotz der Sprachbarriere hat sich der 28-Jährige durch seine starken Leistungen und als immanenter Stabilisator der Abwehrkette schnell zu einem Sympathieträger der Anhänger entwickelt.

Auch dank Orban und seinem Leipziger Teamkollegen, Torwart Peter Gulacsi, sieht Bernau in der Defensive Ungarns Prunkstück. "Die Mannschaft verfügt über eine sehr stabile Abwehr, die – abgesehen von individuellen Fehlern, die Top-Gegner wie etwa Deutschland ausnutzen dürften – recht wenig zulässt", so der Experte.

Diese kompakte Verteidigung komme der grundsätzlichen Ausrichtung des Teams von Nationaltrainer Marco Rossi entgegen: "Es lässt eher den Gegner das Spiel machen. In der Regel liegt das Ballbesitzverhältnis bei ihren Spielen bei 30:70 Prozent." Dies sei eine bewusste Entscheidung: "Die Mannschaft steht tief, zerstört so das Offensivspiel des Gegners und lauert auf Fehler, um durch Tempogegenstöße direkt zu Treffern oder zumindest Standards in aussichtsreicher Position zu kommen." Tatsächlich gelinge es Ungarn unter Rossi mehr Tore aus Standards als aus dem Spiel heraus zu erzielen, merkt Bernau an. Dabei nicht selten der Zielspieler der Flanken und Chip-Bälle: der 1,93 Meter große Adam Szalai.

Die Standardstärke allein dürfte Ungarns offensichtlichen Schwächen im Vergleich zu Deutschland nicht aufwiegen. Das ist auch dem Fußballexperten Bernau klar, der sagt: "Ungarn fehlt es an individueller Klasse. Wir haben keinen Cristiano Ronaldo, keinen Kylian Mbappé, keinen Kai Havertz, Serge Gnabry und Thomas Müller. Überlässt der Gegner uns den Ball, fehlt es uns oftmals an Spielwitz und -ideen."

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Ex-Bundesligaprofi könnte Ausfall von Top-Talent auffangen

Einer, der diese fehlende Spielfreude hätte einbringen können, fehlt jedoch verletzungsbedingt bei der EM: Top-Talent Dominik Szoboszlai von RB Leipzig. "Szoboszlai kann man nicht ersetzen", unterstreicht Bernau, fügt jedoch auch an: "Das hat auch Nationaltrainer Rossi betont. Die gesamte Mannschaft wird seine Rolle übernehmen und ausfüllen müssen." Einer, der neben Szalai und Orban das Team anführen und obendrein vom kreativen Freiraum durch den Ausfall Szoboszlais profitieren könnte, ist laut Bernau der frühere Bremer und Darmstädter Bundesliga-Profi Laszlo Kleinheisler: "Er bringt viel Erfahrung mit und kennt sich mit Drucksituationen aus, schließlich war er es, der Ungarn mit seinem Tor im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Norwegen erst zur EM 2016 geschossen hat."

Doch auch diese positiven Ansatzpunkte ändern nichts an Bernaus pessimistischer Prognose zu Beginn. Dementsprechend klar fällt sein Tipp für das Duell in der Münchner Allianz Arena aus: "Deutschland gewinnt 3:1."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Peter Bernau
  • Eigene Recherche und Beobachtungen
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