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1860 München: Zu Besuch im NLZ – so schnappen die Löwen den Bayern die Talente weg


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Zu Besuch bei den Löwen
So schnappt 1860 München den Bayern die Talente weg


Aktualisiert am 27.12.2019Lesedauer: 5 Min.
Im 1860-Nachwuchsleistungszentrum sollen die nächsten Bundesliga-Stars ausgebildet werden.Vergrößern des Bildes
Im 1860-Nachwuchsleistungszentrum sollen die nächsten Bundesliga-Stars ausgebildet werden. (Quelle: Philippe Ruiz)

Die "Löwen" spielen aktuell zwar nur in der Dritten Liga, doch die Jugendarbeit des Vereins ist weiterhin erstklassig. t-online.de war zu Besuch im Nachwuchsleistungszentrum in München und hat sich dort umgeschaut.

Die Bayern-Fans schweben derzeit auf Wolke sieben: Mit Joshua Zirkzee hat der Rekordmeister anscheinend endlich wieder ein echtes Toptalent aus der eigenen Jugendförderung hervorgebracht. Der 18-Jährige traf in seinen ersten beiden Bundesliga-Einsätzen jeweils kurz nach der Einwechslung zu wichtigen Münchner Führungen. Was viele Beobachter jedoch im Blick durch die rosarote Brille nicht sehen: Der Teenager ist kein echter Bayer, wie es etwa ein Thomas Müller ist. Erst 2017 wechselte der Niederländer von Feyenoord Rotterdam in die U17 der Bayern, wo er sich den letzten Schliff für eine potenzielle Weltkarriere holen will.

Dass das Team von der Säbener Straße nach lokalen Toptalenten dürstet, liegt auch an einem Konkurrenten aus der eigenen Stadt: 1860 München mag in der nahen Vergangenheit eher durch die Chaos-Jahre unter Investor Hasan Ismaik samt Zwangsabstieg in den Amateurfußball Schlagzeilen gemacht haben. Die Jugendarbeit der Löwen gehört jedoch davon ungehindert zur besten, die Deutschland zu bieten hat.

Hohe Durchlässigkeit ist 1860s Faustpfand

Kevin Volland, die Bender-Zwillinge, Julian Weigl: Sie alle durchliefen die "Junglöwen"-Akademie, das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) im Münchner Stadtteil Giesing. Hier, in einem unscheinbaren grauen Trockenbau-Klotz tüfteln NLZ-Leiter Manfred Paula und Qualitätsmanager Wolfgang Bals daran, 1860 kontinuierlich mit frischen, herausragenden Talenten zu versorgen – und so auch das sportliche Überleben der zwischenzeitlich ausgemergelten Löwen zu sichern.

"Unsere hohe Durchlässigkeit ist unser Faustpfand", betont Paula auf den engen Fluren des NLZ. Die Wände sind voll mit Postern erfolgreicher Absolventen, besonders stolz ist Qualitätsmanager Bals aktuell auf zwei Ex-Löwen: "Mit Florian Neuhaus von Borussia Mönchengladbach und Felix Uduokhai, der in Augsburg aktiv ist, haben wir zwei aktuell extrem spannende Bundesliga-Profis ausgebildet – und da sprechen wir nur vom Jahrgang 1997", sagt er und hebt den Zeigefinger, um seiner Aussage noch mehr Gewicht zu verleihen.

Neben Bals und Paula stehen dem NLZ sechs weitere hauptamtliche Mitarbeiter zur Verfügung. Ob Hausaufgabenbetreuung, Kochunterricht, Ernährungsberatung – bei den Löwen sollen die jungen Heranwachsenden aufs Leben vorbereitet werden, und dazu gehört weit mehr als nur ein gepflegtes Passspiel.

Sportpsychologen? "Sollen nicht nur als Problemlöser gesehen werden"

Bals, für den es als Kicker nie über die Landesliga hinausging, kommt während des Rundgangs durch die Räumlichkeiten kaum zu Wort. Immer zieht irgendjemand an seinem Ärmelzipfel: Klappt es mit den Tickets? Hast du die Busfahrt organisiert? Wann findet die Englisch-Nachhilfe statt? Er ist hier viel mehr, als sein Titel Qualitätsmanager ausdrückt: Er ist U12-Cheftrainer, Vertrauensperson, gute Seele der Flure. Dem Mittdreißiger ist eine lebendige Stimmung in den weiß getünchten Gängen wichtig. Doch bei allen Neckereien und Witzen dürfe der Respekt vor dem Gegenüber nicht zu kurz kommen, betont er. Und tatsächlich ist es verblüffend, wie die Jugendspieler auf Fremde reagieren: Man begrüßt jeden in den Hallen, die für sie die Welt bedeuten, mit Handschlag und tiefem, festem Blick in die Augen.

Bals sagt, wichtiger als jede sportliche Entwicklung sei ihm die Charakterbildung seiner Schützlinge. Er erzählt von der engen Zusammenarbeit mit den Schulen, den wichtigen Gesprächen mit den Eltern und von einem Spieler, der ihm zeigte, dass all das Reden einen Zweck hat: "Wir hatten vor einiger Zeit einen U16-Spieler, der kurz vor dem Rausschmiss stand. Wir sprachen intensiv mit ihm, machten ihm klar, dass er unser Vertrauen hat, wenn er sich uns anvertraut", berichtet Bals. Heute sei dieser junge Mann "kaum wiederzuerkennen". "Er ist höflich, zuvorkommend und hält jetzt seinen Bundesfreiwiligendienst hier bei uns im NLZ ab."

Zur Charakterbildung und den wichtigen Gesprächen zählen sowohl Bals als auch Paula die Zusammenarbeit mit den Sportpsychologen des Vereins. Schließlich ist der Leistungsdruck gerade im Jugendbereich extrem hoch: Packt man es nicht, sich für den nächsten Jahrgang zu empfehlen, ist der Traum vom Profi-Fußball geplatzt. "Wir als NLZ sind in der Pflicht, diesen Jungs aufzuzeigen, wie sie mit dieser Branche umgehen müssen", sagt Paula, und Bals fügt hinzu: "Hier müssen wir präventiv auftreten. Die Jungs dürfen nicht erst zum Sportpsychologen gehen, wenn sie in ihm nur einen Problemlöser sehen."

Ihm sei wichtig, dass die Kinder früh ihre Persönlichkeit stärken, sich darüber bewusst werden, dass sie mehr als nur potenzielle Profi-Kicker seien, sagt Paula – nämlich Menschen, Individuen. "Da können unsere Sportpsychologen sehr positiv regulierend auf die Jungs einwirken."

"Wir müssen uns nicht vor den Bayern verstecken"

Doch eine gute sportpsychologische Betreuung wird wohl kaum das ausschlaggebende Argument für die Löwen sein, wenn ein junges Talent auch einen begehrten Ausbildungsplatz beim FC Bayern ergattern könnte. Also was hat 1860 zu bieten, was der große Stadtrivale nicht hat?

"Junglöwen"-Leiter Paula muss schmunzeln. "Wir müssen uns bei Sechzig, was die Ausbildung angeht, nicht vor den Bayern verstecken", antwortet er selbstbewusst, "da bewegen wir uns auf sehr, sehr hohem Niveau." Schluckt dann jedoch kurz, bevor er nachschiebt: "Auch wenn wir finanziell derzeit nicht auf Rosen gebettet sind." Was Paula damit meint, erläutert Bals später in einer ruhigen Minute in seinem Büro: Die Jugendarbeit sei kostenintensiv, 1860 auf die Spenden eines Sponsorenverbunds angewiesen, der allein in diesem Jahr über 100.000 Euro für Auswärtsreisen, Ausrüstung und außersportliche Betreuung zusammengetragen hat.

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Bals ist sich dennoch sicher: "1860 ist für Jugendspieler keine zweite Wahl. Wenn wir einen Jungen wirklich haben wollen, kämpfen wir um ihn. Dann tun wir fast alles, um ihn auch zu uns zu lotsen", unterstreicht er. Paula nickt zustimmend. Es seien vor allem zwei Aspekte, die 1860 von den Bayern unterscheiden: erstens die bereits angesprochene hohe Durchlässigkeit und zweitens die Emotionalität, die Sechzig wie keinen anderen Verein in Bayern umgibt. "Dieser Verein lebt und bebt", sagt Paula, "dafür haben sogar Zwölfjährige ein Gespür."

Plausch mit Profis im Kraftraum als Alleinstellungsmerkmal

Unruhe und Stammtischparolen aus dem angrenzenden Vereinslokal "Löwenstüberl" statt versnobbter Erfolgsverwöhntheit an der Säbener Straße? Es ist schwer vorzustellen, dass diese Aussicht einen ambitionierten Jungfußballer (und seine Eltern) wirklich vom Standort Giesing überzeugt. Bals fühlt, dass das Gespräch in die falsche Richtung läuft und ergreift die Initiative: "Ich hol’ eben meine Jacke, dann zeige ich euch die Trainingsplätze", vielleicht verstehe man dann besser, was man zu vermitteln versuche.

"Die Profis trainieren hier direkt neben der Jugend", sagt Bals und zeigt auf die beiden Fußballplätze vor ihm. Sechzig sei einer der wenigen Vereine, der seine Jugendabteilung nicht räumlich vom Profibereich separiere. "So entsteht eine unglaubliche Bindung, eine Nähe, die ich so von nirgends sonst kenne", argumentiert Bals. Tatsächlich ist die Kompaktheit des Trainingsgeländes verblüffend: Drei gut gepflegte Hybrid- und Kunstrasenplätze sowie ein Soccerkäfig und ein kleines Amateurstadion stehen dem Verein zur Verfügung. Zwischen den Anlagen: keine Absperrungen, keine geschlossenen Tore, nur Eltern, die sich gegenseitig Tee und Kaffee aus Thermoskannen einschenken. Diese Intimität ist es, die Paula und Bals zuvor recht umständlich versucht hatten zu umschreiben.

Kurz vor Schluss des Rundgangs findet Bals dann doch die richtigen Worte. Er zeigt auf den gläsernen Fitnessraum und sagt: "Und dann sitzt ein etablierter Profi wie Timo Gebhart eben neben einem 15-Jährigen auf dem Trimmrad und die zwei unterhalten sich angeregt über Fußball, aber auch das Leben."

Spätestens jetzt fällt der Groschen: Ja, 1860 hat seinen Reiz für Nachwuchstalente. So nah wie hier kommen sie dem Profidasein bei den Bayern nicht so schnell. Und ein Robert Lewandowski sitzt an der Säbener sicher auch nicht neben einem im Kraftraum.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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