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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Jordan Pickford Aus der 2. Liga zum WM-Held: Das ist Englands neuer Torwart-Star
Harry Kane schießt für England die Tore bei der WM 2018 – aber der Torwart verdient genauso viel Anerkennung. Die "Three Lions" haben endlich wieder einen guten Torwart – und der hat ausgerechnet ein deutsches Vorbild.
Ob Gary Davison heute Abend wieder vor dem Fernseher ausrastet, wenn er sich das WM-Halbfinale seiner geliebten Engländer gegen Kroatien anschaut? Beim knappen 5:4-Viertelfinalsieg nach Elfmeterschießen über Kolumbien noch explodierte der ältere Herr: "Mein Junge ist ein verdammter Held" schrie Davison, aufgenommen von seiner Tochter und über Facebook zum Renner geworden.
Davison ist der künftige Schwiegervater von Englands Torwart Jordan Pickford – und staunt wie fast die gesamte Fußballwelt über den 24-Jährigen. Denn Pickford ist einer der Shooting Stars der WM 2018 in Russland. Erst schied Erzrivale Deutschland blamabel nach der Vorrunde aus, dann der erste englische Sieg bei einer WM nach einem Elfmeterschießen – und nun die Erkenntnis: England hat wieder einen richtig guten Torwart. Die Fußballwelt steht Kopf!
Belgiens Courtois lästerte über Pickford
Bei der WM kassierte er bisher vier Gegentore, war allerdings bei allen Toren machtlos. Im Achtelfinale gegen Kolumbien war Pickford eine Ewigkeit beschäftigungslos – und rettete sein Team in der letzten Spielminute mit irren Paraden in die Verlängerung, wurde dann endgültig zum Matchwinner, als er im Elfmeterschießen den Strafstoß von Carlos Bacca parierte.
"Es war eine fantastische Parade," sagte Englands Nationaltrainer Gareth Southgate nach der Partie, "ich war überrascht, dass er bei seiner Größe den Ball noch erreichen konnte." Im Vorfeld der WM hatte Belgiens Torwartriese Thibaut Courtois (1,99 Meter) noch über Pickford gelästert: "Er ist zu klein." Doch bei der WM nun zeigt der "nur" 1,85 Meter lange Pickford: Er kann ein ganz Großer sein. Denn auch im Viertelfinale gegen Schweden überragte der Keeper, ließ die "Tre-Kronor"-Stürmer gleich mehrfach verzweifeln. Englands Fans entwickelten schon einen eigenen Song für ihren Helden zwischen den Pfosten – zum 90er-Klassiker "Rhythym is a Dancer" von Snap. Und Pickford genießt die Anerkennung:
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Es ist der vorläufige Höhepunkt eines unfassbaren Aufstiegs. Denn vor etwas über zwei Jahren noch stand Pickford in der 2. englischen Liga für das kleine Preston North End zwischen den Pfosten, ausgeliehen vom AFC Sunderland. Zur Winterpause 15/16 holte ihn der Premier-League-Klub aber zu den Profis. Ein halbes Jahr später war er schon Stammkeeper, beendete die Spielzeit 2016/17 mit 50 Gegentoren in 29 Spielen – gemessen an den defensiven Möglichkeiten seiner Mannschaft ein starker Wert.
"Ich bewundere Manuel Neuer"
Grund genug für den FC Everton, im vergangenen Sommer 28,5 Millionen Euro für Pickford zu zahlen – und der stand plötzlich im Rampenlicht. 28,5 Mio. für einen 23-jährigen Nobody? Pickford zeigte, was er drauf hat: Er stand in allen 38 Saisonspielen auf dem Platz, kassierte zwar 58 Gegentore – hatte aber ligaweit die viertmeisten Paraden pro Spiel, insgesamt 121. Vor Weltklasse-Keepern wie David De Gea (Manchester United), Petr Cech (Arsenal) oder Courtois (Chelsea). Der Lohn: Die Auszeichnung zu Evertons "Spieler der Saison".
Kein Wunder bei Pickfords großem Vorbild: "Ich bewundere Manuel Neuer", sagte Pickford einmal. "Er interpretiert das Torwartspiel auf seine Weise. Er hat das Torwartspiel auf ein neues Level gehoben." Und sagte selbstbewusst: "De Gea war die letzten zwei, drei Saisons unglaublich und ist momentan vielleicht der Beste der Welt. Aber er hat dafür eine Weile gebraucht, und ich denke, ich habe nicht so lange gebracht, um auf mein aktuelles Level zu kommen."
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Pickford weiß, was er kann: "Ich war schon immer selbstbewusst, aber niemals arrogant. Ich gehe keine unnötigen Risiken ein und würde niemals meine Mitspieler in brenzlige Situationen bringen." Vor der WM hatte der Schlussmann gerade einmal drei Länderspiele auf dem Konto, stand dazu acht Mal ohne Einsatz im Kader. Southgate entschied sich erst kurz vor Englands WM-Auftakt gegen Tunesien für Pickford als Stammkeeper – und hat es bislang nicht bereut.
Legende Southall: "Pickford macht den Unterschied"
Mit Grausen werden die Fans der "Three Lions" zurückdenken an Keeper wie David Seaman oder zuletzt Joe Hart: eigentlich solide Schlussmänner – aber mit einem fatalen Hang zu haarsträubenden Patzern. Ausgerechnet das Land, das Legenden wie Gordon Banks oder Peter Shilton hervorbrachte, hatte seit Jahrzehnten keinen Torwart mehr von Weltformat.
"Ich hatte lange gedacht, England hätte dank Harry Kane Chancen auf den WM-Titel", schrieb Neville Southall, eine weitere britische Torhüter-Ikone, vor ein paar Tagen im "Guardian". "Aber es ist Jordan Pickford, der den Unterschied ausmacht. Er geht mit dem Druck wirklich gut um, und man vertraut ihm." Southall ging noch weiter: "Er hat bei dieser WM gezeigt, dass er ein Klasse-Keeper sein kann." Und Schwiegerpapa Gary Davison könnte noch zwei Mal Grund zum Jubeln haben.
- eigene Recherche
- Artikel von Neville Southall im "Guardian"
- Statistiken auf premierleague.com