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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tote Hose im Stadion Frankreich zieht ins Finale ein – (fast) keinen interessiert’s
Es war das heiß ersehnte "Derby des Jahrhunderts": Belgien gegen Frankreich. Doch auf den Rängen war davon nichts zu spüren. Sogar Brasilianer waren teilweise lauter.
Für die meisten Zuschauer im Stadion von St. Petersburg fiel das Tor zum 1:0 aus dem Nichts. Jedenfalls war das dem eher ruhigen Geräuschpegel zu entnehmen. Vielleicht waren einige gedanklich noch in der Halbzeit. Die absolute Stimmungsexplosion fand jedenfalls nicht statt. Dabei war das Nachbarschaftsduell zwischen Frankreich und Belgien doch als "Derby des Jahrhunderts" (L’Équipe) angekündigt worden. Für die richtige Derby-Stimmung waren jedoch nicht genug Belgier und Franzosen anwesend.
Erste Halbzeit
Schon vor dem Anpfiff des ersten Halbfinals machte sich auf der Pressetribüne Skepsis breit, ob das Spiel wirklich ausverkauft sei. 20 Minuten vor dem Anpfiff war circa ein Drittel der Plätze leer. Zum Anstoß waren es dann nicht mehr ganz so viele Sitze, aber von einem so großen Spiel hatte man mehr erwartet. Die Fan-Gruppen aus Belgien und Frankreich waren ohnehin klar in der Unterzahl. Die meisten Besucher waren neutral – oder Brasilianer.
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Denn mit Brasiliens Aus im Viertelfinale hatten viele Fans der "Selecao" nicht gerechnet. Das Ticket zu verkaufen kam nicht in Frage. Frankreich oder Belgien anzufeuern, ebenfalls nicht. Also wurden Lieder über Brasilien gesungen. Und die waren in der ersten Halbzeit lauter als das, was aus dem französischen oder belgischen Block kam. Zwischenzeitlich wurde auch noch Gastgeber Russland bejubelt. Größtenteils war es jedoch schlichtweg ruhig in St. Petersburg. Es sei denn, ein Team kam gefährlich vor das Tor. Dann war so etwas wie Stimmung wahrnehmbar.
Zweite Halbzeit
Nach dem 1:0 durch Samuel Umtiti kam aus dem belgischen Block erstmal wenig. Zu groß war der Schock über den Gegentreffer. Die Franzosen auf der anderen Seite waren jedoch aufgewacht und riefen im Chor "Allez les bleus". Allzu lange hielt das jedoch nicht an. 80 Dezibel zeigte die Smartphone-App an. Auf der Stadion-Skala würde man "mucksmäuschenstill" sagen.
Gut, das Spiel bot auch nicht mehr allzu viele Highlights, die die Arena zum Kochen bringen konnten. Dafür war Frankreich zu souverän und abgeklärt, erstickte die Chancen der Belgier im Keim. Laut wurde es gegen Ende nur, wenn die "Équipe Tricolore" für ihr Zeitspiel ausgepfiffen wurde. Dann meldeten sich vor allem die neutralen Zuschauer zu Wort. Erst nach Abpfiff ging die französische Party los. Tanzend und singend feierten sie den Finaleinzug.
Vorbild Südamerika
Wie es sein kann, zeigten bei der WM vor allem die Südamerikaner und Afrikaner. Letztere waren zwar nicht zahlreich vertreten, feuerten ihr Team aber unermüdlich an. Die Südamerikaner hingegen waren fast immer in der Überzahl auf den Rängen. Vor allem bei Spielen von Argentinien und Kolumbien sorgten die Fans für Gänsehaut-Momente in den Stadien.
Bei Europäern ist das jedoch schwierig. Schon bei der EM mangelte es, abgesehen von Spielen der Isländer, Briten und Iren, an lautstarker Unterstützung von den Rängen. Bei der WM bestätigt sich diese Beobachtung. Auch wenn die Spieler bei Frankreich gegen Belgien angesichts der Bedeutung des Spiels bis in die Haarspitzen motiviert sind, hätten größere Fangruppen auf den Rängen in einzelnen Situationen das Team antreiben können. Doch Länderspiele sind nicht mit einem Vereinsspiel vergleichbar. Maue Stimmung ist nicht nur ein Problem bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft.
Diese Situation ist sinnbildlich für das große Problem einer Weltmeisterschaft: Es gibt zu viele Zuschauer und zu wenig Fans. Eine Folge der horrenden Ticketpreise. Dass sich daran etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Denn solange immer noch ein paar Fans für die TV-Kameras da sind, ist die Fifa zufrieden.
- Eigene Recherche