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WM: Die überraschendsten Nominierungen der Geschichte


Petersen der Nächste?
WM-Debütanten: Die kuriosesten Nominierungen aller Zeiten

29.05.2018Lesedauer: 6 Min.
Norbert Eder, David Odonkor und Nils Petersen (v.l.): Die drei Fußballer wurden im Laufe der Geschichte überraschend in den WM-Kader gerufen.Vergrößern des Bildes
Norbert Eder, David Odonkor und Nils Petersen (v.l.): Die drei Fußballer wurden im Laufe der Geschichte überraschend in den WM-Kader gerufen. (Quelle: Benjamin Springstrow/t-online)

Sie wurden aus dem Bett geklingelt oder zufällig beim Testspiel-Gegner entdeckt: WM-Debütanten, die niemand auf der Rechnung hatte, die der Bundestrainer aber wollte.

In einer neuen Serie zur deutschen WM-Historie erzählt Autor Udo Muras die spektakulärsten Geschichten. In Teil eins geht es um WM-Debütanten, die vorher niemand auf der Rechnung hatte.

Sein Name stand auf keiner Expertenliste, nur auf der Passagierliste eines Ferienfliegers. Wie Hunderte andere Fußballprofis auch hatte der Freiburger Nils Petersen (29) seinen Sommerurlaub 2018 schon längst gebucht.

Doch das Reiseziel des Freiburgers könnte sich noch ändern, völlig überraschend kam er ohne Länderspielerfahrung ins vorläufige WM-Aufgebot des Titelverteidigers. Das hat Tradition im deutschen Fußball. So mancher musste seinen Urlaub schon stornieren, aber jeder brachte das Opfer gerne. Wir schauen zurück.

Der Anruf kam zur Schlafenszeit. Norbert Eder wollte an jenem 27. April 1986 eigentlich in die Federn. Es war nötig nach der rauschenden Meisterfeier mit seinem FC Bayern vom Vortag. Da klingelte abends um zehn das Telefon und es meldete sich kein Geringerer als seine Majestät, der Kaiser.

Franz Beckenbauer, damals Teamchef der Nationalmannschaft, sagte: „Servus Norbert, ich möchte Dich zum WM-Lehrgang nach Malente einladen!“ Der defensive Mittelfeldspieler war perplex. Runde 30 Jahre war er im vergangenen Herbst geworden, zehn Jahre war er nun Profi und nie hatte er etwas mit der Nationalmannschaft zu tun gehabt, von einem B-Länderspiel abgesehen.

Vom Nobody zum Vize-Weltmeister

Und so wollte auch er in diesem WM-Sommer wieder auf Reisen gehen – aber nur in den Urlaub nach Italien, der bereits fest gebucht gewesen war. Mit Frau Elisabeth und den beiden Söhnen. Nun aber folgte der Ruf des „Kaisers“ im Moment der nationalen Bewährungsprobe bei der WM in Mexiko. Das war zu viel für Eder: „Körperlich und geistig konnte ich das alles gar nicht aufnehmen.“

So begann eine der bemerkenswertesten deutschen Länderspiel-Karrieren. Sie währte nur acht Wochen und war voller Abenteuer. Sie enthielt immerhin neun Spiele – davon sieben bei einer WM-Endrunde auf einem fremden Kontinent. Schon nach dem Debüt im Bochumer Testspiel gegen Jugoslawien sagte Beckenbauer zu Eder: „Du kannst Deinen Urlaub buchen – aber in Mexiko.“

Der „Urlaub“ unter sengender mittelamerikanischer Sonne war zwar mit schweißtreibender Arbeit verbunden, aber am 29. Juni 1986 stand Norbert Eder unversehens im Finale von Mexiko City und spielte gegen Weltstars wie Diego Maradona oder Jorge Valdano. Dass es mit 2:3 verloren wurde, ändert nichts daran, dass der Last-Minute-Fahrer Eder einen ganz besonderen Platz in der DFB-Historie verdient. In acht Wochen vom Nobody zum Vize-Weltmeister.

Die vielleicht kurioseste WM-Nominierung

In der DFB-Geschichte standen schließlich schon 22 Debütanten in WM-Aufgeboten, zwei davon auf Abruf. In der Anfangszeit war der Überraschungsspieler geradezu die Regel. Helmut Schön war 1970 der erste Bundestrainer, der vor einer WM ausschließlich auf bewährte Kräfte vertraute.

Sein allererster Amtsvorgänger Prof. Otto Nerz dagegen nominierte 1934 bei der deutschen WM-Premiere gleich drei Spieler, die niemand auf dem Zettel hatte, weil sie ja noch nie für Deutschland gespielt hatten. Der Hamburger Hans Schwartz, der Mannheimer Otto Siffling und ein gewisser Paul Zielinski aus Hamborn, der für die vielleicht kurioseste WM-Nominierung aller Zeiten steht.

Zielinski spielte nicht mal beim stärksten örtlichen Klub Hamborn 07, sondern bei Union. Der Zufall wollte es nun, dass Reichstrainer Nerz im April 1934 in der Sportschule Wedau ein Testspiel seines vorläufigen Kaders gegen eine Hamborner Auswahl ansetzte. Prompt schlug „Hamborn United“ Deutschland A mit 4:3 und aus der Siegerelf stach besonders der flinke Mittelläufer Paul Zielinski hervor. Die Zuschauer skandierten „Paule nach Italien!“ und Nerz gehorchte.

Er kam in die Kabine der Hamborner und fragte Zielinski noch im Duschraum: „Können Sie sich für Montag zum Kursus frei machen?“ Er konnte und schaffte auch den Sprung in den Kader, nutzte die Chance des Lebens und wurde vom Sparringspartner zum WM-Teilnehmer. In Italien kam er in allen vier Begegnungen zum Einsatz, wurde mit Deutschland Dritter und kam auf 15 Länderspiele.

Eine derartige Karriere ist heute natürlich unvorstellbar. Häufiger geschieht es aber, dass Spieler vom Aufschwung ihres Vereins profitieren und im Rahmen einer Blockbildung in den Kader rutschen. So reiste schon ein Werner Liebrich mit der Erfahrung von nur drei Länderspielen zur WM 1954 in die Schweiz, davon nur eines in der Qualifikation. Er profitierte auch vom Ausfall des Stuttgarters Erich Retter. Als einer von fünf Kaiserslauterern, damals Vize-Meister, wurde er am 4. Juli 1954 Weltmeister und gar zum besten Stopper des Turniers gewählt.

Kurzlebige Erfolgsgeschichten

Ganz ohne Länderspiel-Erfahrung durfte der Augsburger Stürmer Uli Biesinger das Wunder von Bern miterleben, er debütierte erst nach der WM. 1966 nahm Helmut Schön angesichts des Hypes um den ersten deutschen Europa-Pokalsieger Borussia Dortmund den spielerisch unausgereiften Torjäger Lothar Emmerich mit, der nur einmal getestet wurde und vier seiner fünf Länderspiele bei der WM in England bestritt. Meist enttäuschte er, Schön hat es bereut und ihn nie mehr geholt.

Als der 1. FC Köln 1978 das Double von Meisterschaft und Pokal gewann, bediente sich Schön ausgiebig aus dessen Kader und nominierte fünf Spieler für die WM in Argentinien. Darunter der Verteidiger Harald Konopka, der erst im Turnier als Einwechselspieler gegen Italien sein Länderspiel-Debüt gab. Dabei blieb es für Konopka.

1982 profitierte der damals 27-jährige Bremer Uwe Reinders von der starken Saison, die der in den UEFA-Cup durchmarschierte Aufsteiger SV Werder gespielt hatte. Reinders waren 18 Tore gelungen und so nominierte ihn Bundestrainer Jupp Derwall im letzten Testspiel vor der WM gegen Norwegen. Reinders nutzte seine Chance, fuhr mit nach Spanien und schoss in einem seiner drei Einsätze sogar ein Tor – beim 4:1 gegen Chile. Nach der WM kam er aber nie mehr in den Kreis der Nationalmannschaft.

"Wenn ich morgen wach werde, hoffe ich, dass es kein Traum ist"

Für die vielleicht größte Überraschung sorgte am 15. Mai 2006 Bundestrainer Jürgen Klinsmann, als er im Rahmen einer Video-Präsentation in Berlin den Namen David Odonkor aus dem Hut zauberte. Der wieselflinke Außenstürmer, damals bei Borussia Dortmund, gehörte eigentlich zur U21 und musste an diesem Morgen zunächst mal einen Schreck verarbeiten. Denn der damalige U21-Trainer Dieter Eilts rief ihn in aller Frühe an, um ihm zu sagen, dass er bei der anstehenden U21-EM nicht dabei sei.

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Der Trost folgte sogleich: „Du bist im WM-Kader.“ Morgens um neun bestätigte ihm Klinsmann die Nominierung, wie einst Norbert Eder war Odonkor vom Donner gerührt. Kein Wunder, erstmals den Bundestrainer am Ohr zu haben und dann eine solche Botschaft zu bekommen – wer soll das verkraften? „Ich bin aus allen Wolken gefallen. Einfach toll, ich kann es nicht fassen. Ich werde heute Abend schlafen gehen, und wenn ich morgen wach werde, hoffe ich, dass es kein Traum war.“

War es nicht. Dafür erlebte er in den folgenden Wochen einige traumhafte Momente. Seine Flanke zum entscheidenden 1:0 durch Oliver Neuville in der letzten Minute des Polen-Spiels bei seiner WM-Premiere war der Höhepunkt und bestätigte Klinsmanns Bauchgefühl. 2008 nahm er noch an der EM teil, viele Verletzungen verhinderten eine große Karriere.

Oft bleibt es bei Debüts

Auf dem Weg zum Titel 2014 zauberte Joachim Löw mit Italien-Legionär Shkodran Mustafi (von Sampdoria Genua) einen Spieler aus dem Hut, den nicht mal seine Kollegen kannten.

Kapitän Philipp Lahm musste sich erstmal informieren, wo der Verteidiger gerade spielte und er selbst stellte sich so vor: „Ich bin Mister Unbekannt.“ Als solcher wurde er mit drei Einsätzen Weltmeister. An der Seite von Mönchengladbachs Christoph Kramer, der nicht mal im vorläufigen Aufgebot stand, dem Trainerstab aber wegen der besten Laufleistung aller Bundesligaprofis auffiel, und dem Dortmunder Erik Durm, der 2014 einer der wenigen echten Linksverteidiger war.

Kramer kam sogar im Finale zum Einsatz, Durm spielte keine Sekunde. 2018 sind sie nicht mehr dabei, auch Mustafi nicht. Denn die meisten Last-Minute-Fahrer eint: sie tanzten nur einen WM-Sommer.

Verwendete Quellen
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