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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krisenmodus beim DFB Ende des "Erfolgsformats"?
Bei der WM ging es historisch früh nach Hause. Im Herbst sollen dennoch weitere Episoden über das DFB-Team folgen. Doch wie viele?
"Machen wir wieder Therapie-Couch hier?" Merle Frohms lacht, als sie sich auf das beige Sofa wirft, bereit, die Fragen des Filmteams zu beantworten. Die zweite Staffel der Dokumentation "Born for this" beginnt mit einem Rückblick auf die Europameisterschaft 2022. Beziehungsweise mit dem, was danach folgte. Die Vizeeuropameisterinnen als beliebte Gäste bei "Stern TV", im Sportstudio, beim mittlerweile zum einmaligen Jahresevent geschrumpften einstigen Erfolgsformat "Wetten, dass..?".
Alle sind sie gefragt. "Mein Telefon stand eigentlich gar nicht still", berichtet Innenverteidigerin Kathy Hendrich. Laura Freigang erzählt von vierfach gestiegenen Followerzahlen bei Instagram, Lina Magull davon, fast überall erkannt zu werden.
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Getrennte Heimreise nach Deutschland
Die Euphorie, sie war immens nach der EM 2022 in England. 17,9 Millionen Menschen schauten in der ARD das Endspiel gegen den Gastgeber. Die Nationalspielerinnen als gefeierte Heldinnen, die über sich hinauswuchsen. Sympathisch, nahbar, erfolgreich – und der Fußball der Frauen endlich angekommen in der Mitte der Gesellschaft.
374 Tage ist das Finale von Wembley nun her. Und die Stimmung um die Nationalmannschaft hat sich einmal um 180 Grad gedreht. Nichts scheint mehr da zu sein vom "Teamgeist" der DFB-Frauen, der sie auf der Insel noch ausgezeichnet hatte. Der Verband hatte nicht mit einem Ausscheiden bei der WM in der Vorrunde gerechnet, sodass die Spielerinnen nach und nach getrennt die Heimreise nach Deutschland antreten mussten.
Berichte über Risse zwischen Mannschaft und Trainerteam, ein in der Pampa gelegenes Quartier, ein taktisch und spielerisch überfordertes Sammelsurium an Spielerinnen, das von seiner Trainerin kein taktisches Konzept vorgelegt bekam: Das historisch frühe Aus der deutschen Frauen-Nationalmannschaft stellt die gut ein Jahr fast nur positiv erzählte Geschichte in ein anderes Licht. War doch nicht alles so toll, wie alle behauptet haben? Der Finaleinzug 2022 nur ein Strohfeuer?
DFB-Team wird Erwartungsdruck nicht gerecht
Das Vorrundenaus in der mehr als machbaren Gruppe mit den Gegnern aus Marokko, Kolumbien und Südkorea wirft viele Fragen auf, auch sechs Tage nach der Blamage von Brisbane. Doch wer einen Blick auf die Wochen und Monate vor dem Turnier in Australien und Neuseeland wirft, der kann gleich mehrere Baustellen in einem jungen Team ausmachen, das dem enormen Erwartungsdruck in Australien nicht standhalten konnte.
Das liest sich auch in den schwachen Ergebnissen, die die Mannschaft von Martina Voss-Tecklenburg 2023 einfuhr. Einem wackligen 1:0-Sieg gegen die Niederlande stehen ein holpriges 0:0 gegen Schweden sowie eine verdiente 1:2-Heimpleite gegen Brasilien gegenüber. Hinzu kommen der schmeichelhafte 2:1-Testspielsieg gegen Vietnam und die blamable 2:3-Niederlage gegen Sambia unmittelbar vor Turnierbeginn.
Es wäre zu einfach, das desaströse Abschneiden bei der WM auf die unzureichenden Ergebnisse zu schieben. Schließlich hatte man sich auch vor der EM 2022 in den vorangegangenen Partien nicht mit Ruhm bekleckert. Und doch gaben die gezeigten Leistungen einen Eindruck davon, in welche Richtung es in Australien gehen könnte.
Wie in England wurden die DFB-Spielerinnen auch am anderen Ende der Welt wieder von einem Kamerateam begleitet, das die Geschichte rund um die Europameisterinnen mit weiteren Einblicken in das Leben der Mannschaft dokumentieren sollte.
Neue Folgen ab Herbst
"Der Wunsch zur Fortsetzung ging von den Spielerinnen aus, die ihre Geschichten weitererzählen wollten. Die Stimmung ist aus unserer Sicht weiterhin gut", hatte Martina Hänsel, Regisseurin bei Warner Bros. International Television, die Atmosphäre vor dem Turnier beschrieben. Mitte Juli veröffentlichte das ZDF, das sich die Rechte an der zweiten Staffel gesichert hatte, die erste Folge mit dem Titel "Licht und Schatten".
Nun braucht es nicht viel Fantasie, um vorherzusagen, dass die desaströse WM weitaus mehr Bilder der Trauer und Niedergeschlagenheit beinhalten wird als noch das "Erfolgsformat" (O-Ton DFB) im vergangenen Jahr. "Die Folgen 2 bis 4 werden nach der Fußballweltmeisterschaft der Frauen in der ZDF-Mediathek zur Verfügung stehen", teilte der öffentlich-rechtliche Sender bereits Wochen vor Turnierbeginn mit. Ab Herbst soll die erste von drei neuen Folgen dann zu sehen sein.
Dabei darf angezweifelt werden, ob es überhaupt zu drei weiteren Episoden kommen wird. Schließlich endete die Reise der DFB-Frauen deutlich früher als erwartet. Die von einer anderen Firma produzierte Amazon-Doku über die WM der DFB-Männer in Katar wurde von ursprünglich vorgesehenen sechs Folgen auf lediglich vier gekürzt. Diese Dokumentation wird ebenfalls im Herbst veröffentlicht.
"Für 'Born for this' wird derzeit noch bei der WM in Australien und Neuseeland gedreht. Nach der Rückkehr des Teams wird es Gespräche zwischen dem ZDF und der Produktionsfirma Warner Bros. geben", richtet das ZDF t-online einen Tag nach dem Aus auf Nachfrage aus. Es bleibt also offen, ob die Ereignisse rund um das trostlose Teamquartier im knapp 90 Kilometer nördlich von Sydney gelegenen Wyong genügend Stoff für drei weitere Folgen bietet.
DFB erhofft sich Plattform zur "Steigerung der Sichtbarkeit"
Im Scheitern könnte jedoch die Stärke der zweiten Staffel liegen, deren erste im Juli veröffentlichte Folge eine ZDF-Mitarbeiterin im Gespräch mit t-online als "komplett belanglos" beschreibt. Fraglich ist allerdings, ob der DFB gerade in den Momenten des historischen Misserfolgs jene Einblicke zulässt und -ließ, die einen Mehrwert für die Zuschauerinnen und Zuschauer darstellen. So bat der DFB die Macher der Männer-Doku, eine Diskussion des Trainerteams über die Verfassung verschiedener Spieler herauszunehmen.
Der DFB sieht in der Dokumentation in erster Linie eine Plattform zur "Steigerung der Sichtbarkeit" der Spielerinnen, wie er selbst auf seiner Website mitteilt. Sie sei ein "zentraler Meilenstein der Strategie 'Frauen im Fußball 2027'", laut DFB eines der "wichtigsten Zukunftsprojekte" des Verbands, bei dem unter anderem die mediale Reichweite des Frauenfußballs "über alle Plattformen hinweg" bis in vier Jahren verdoppelt werden soll. Zu einem der weiteren Ziele gehört der Gewinn internationaler Titel von Vereinen und Nationalmannschaften.
"Ich glaube, dass wir erst mal die Leistung bestätigen wollen, die wir bei der EM gezeigt haben", sagt Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf in den letzten Sekunden der ersten Folge der zweiten Staffel. "Die größte Aufgabe ist es, diesen Teamspirit aufrechtzuerhalten", pflichtet ihr Kapitänin Popp bei. Nun sei es so, "dass man bei dem Turnier mit uns rechnet", befindet Innenverteidigerin Sara Doorsoun, während Torhüterin Merle Frohms selbstbewusst ankündigt: "Wenn wir bei uns bleiben, wenn wir uns treu bleiben, wenn wir mit Selbstvertrauen spielen – wer soll uns dann schlagen?"
Die Antwort auf diese Frage lässt sich nun retrospektiv natürlich leicht beantworten. Ob die zweite Staffel von "Born for this" auch in Kolumbien gezeigt wird, ist allerdings nicht bekannt.
- Mitteilung des DFB: ""BORN FOR THIS": ERFOLGSDOKU WIRD FORTGESETZT"
- dwdl.de: ""All or Nothing"-Doku: Szenen auf DFB-Wunsch entfernt"
- Pressemappe des ZDF
- Born for this: Licht und Schatten (Staffel 2, Folge 1)
- Eigene Recherche
- Anfrage an das ZDF