Löws Geheimplan mit Götze Für Deutschland geht es gegen Italien um Nuancen
Aus Bordeaux berichtet Thomas Tamberg
So unterschiedlich Italiener und Deutsche in allen möglichen Dingen des Lebens auch sein mögen, in ihrer Mentalität wie sie Fußball spielen, sind sie Brüder im Geiste. Es gibt genau zwei Nationalmannschaften auf dieser Welt, die sich über Jahrzehnte die Bezeichnung "Turniermannschaft" ehrlich erworben haben: die Squadra Azzurra und die deutsche Mannschaft. Bei der EM 2016 in Frankreich treffen sie bereits im Viertelfinale aufeinander (ab 20.45 Uhr im Live-Ticker bei t-online.de).
Andere Nationen wie Spanien oder Frankreich bringen zuweilen eine goldene Generation hervor und holen einen Titel. Oder sie sind mit unendlich vielen Talenten gesegnet wie Brasilien und gehören daher stets zum Favoritenkreis. Doch bei Italien und Deutschland ist es anders: Egal ob mit einer Graupentruppe oder einem Star-Ensemble zum Turnier angereist: Man muss sie immer auf dem Zettel haben.
Welche Spieler nun konkret auflaufen werden, wird bis kurz vor Anpfiff die spannende Frage bleiben. Eine besonders brisante Personalie ist dabei Mario Götze, der bereits Ende März äußerst gute Erfahrungen mit diesen Italienern gemacht hatte.
Triste Turnier-Bilanz gegen Italien
In Bordeaux treffen sie nun wieder einmal aufeinander. Für Fußball- Nostalgiker ist es wohl das größte Spiel bei dieser EM. Bisher konnte Deutschland immer nur dann einen Titel gewinnen, wenn die Italiener zuvor an irgendeiner anderen Mannschaft gescheitert waren.
Kam es in einem Alles-oder-Nichts-Spiel zum direkten Duell, war für Deutschland stets Schluss mit lustig. Ob bei den Weltmeisterschaften 1970, 1982 und 2006 oder bei der EM 2012: Am Ende hatte Italien die Nase vorn.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Dem Team von Bundestrainer Joachim Löw steht also die Königsaufgabe bevor. Es gilt, einem fast 50 Jahre währenden Trauma ein Ende zu setzen. "Es ist Zeit, mit dieser Mannschaft eine neue Geschichte zu schreiben", sagte Oliver Bierhoff vor wenigen Tagen am 20. Jahrestag seines Golden Goals, mit dem er 1996 Deutschland letztmals zum Europameister schoss. Und man fragt sich tatsächlich: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Schon lange nicht mehr standen die Vorzeichen so gut. Deutschland geht mit dem Selbstbewusstsein des amtierenden Weltmeisters in die Partie, aber auch mit der Lust auf Revanche für die Halbfinale-Niederlage bei der EM 2012.
"Gibt schlimmere Sachen" als diesen "kalten Kaffee"
Eine Mischung, die viel Energie freisetzen kann. Zumal man Ende März in einem Test-Länderspiel mit 4:1 gewinnen konnte. Von einem Italien-Trauma will man im deutschen Team daher nichts wissen. "Warum sollte ich eines haben", fragte Toni Kroos einen Reporter, der ihn auf dieses Thema angesprochen hatte: "Wie oft habe ich gegen Italien gespielt?"
Genauso sah es Jerome Boateng. "Ich mache ich mir nicht Tag und Nacht Gedanken über Italien. Da gibt es schlimmere Sachen." Die beiden standen ebenso wie Mats Hummels nur 2012 in einem DFB-Pflichtspiel gegen Italien auf dem Feld. "Was 1982 war, hat für uns keine Bedeutung", sagte der ehemalige Dortmunder und Neu-Bayer. Für Löw ist diese Diskussion ohnehin nur "kalter Kaffee".
Wer kann wen überraschen?
Seit Tagen tüftelt der Bundestrainer am Masterplan. Große Geheimnisse gibt es ohnehin nicht mehr. Viele Spieler kennen sich aus unzähligen Europapokalduellen. Die restlichen Informationen haben die Scouts beider Nationalmannschaften längst zusammengetragen. "Alle haben schon gegen die Italiener gespielt. Es ist also nichts komplett Unbekanntes", sagte Kroos. "Am Ende werden Nuancen entscheiden", meinte Torwarttrainer Andreas Köpcke.
Mario Gomez erwartet ein "sehr intensives Spiel". Boateng weiß zu berichten, dass die Italiener "sehr unangenehm" zu spielen sein werden. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass es wohl ein Abnutzungskampf wird, bei dem am Ende Kleinigkeiten entscheiden werden. Es bleibt also die Frage: Wer kann den anderen doch noch irgendwie überraschen?
Löws Rendezvous mit der Geschichte
"Wie machen uns intern Gedanken, wie würden die Italiener gegen uns spielen. Was hätte Italien für einen Plan, mit dem sie uns schlagen wollen", gab Löw Einblick in seine Überlegungen. Ähnliche Gedankengänge dürfte wohl auch Antonio Conte haben. Italiens Nationalcoach hat aus einer mittelmäßigen Mannschaft einen Titelfavoriten geformt, der bereits Spanien aus dem Turnier geworfen hat. Der zukünftige Trainer des FC Chelsea sei der beste bei dieser EM, sagte Bayerns neuer Coach Carlo Ancelotti. "Er hat es geschafft, der Mannschaft nicht nur eine Spielidee zu vermitteln, sondern seine klare Handschrift."
Für Löw ist das Duell mit Italien auch ein Rendezvous mit der Geschichte. Ebenso wie bei dieser EM ging er auch vor vier Jahren als Favorit ins Spiel gegen Italien. Doch der 56-Jährige vercoachte sich und musste sich hinterher viel Kritik gefallen lassen. "Im Nachhinein hat uns das mit Blick auf 2014 geholfen und auch mir in meiner persönlichen Entwicklung", sagt Löw heute. Dennoch will er natürlich nicht noch einmal taktisch das Nachsehen haben.
Was plant Löw mit Götze?
Und so dürfte er bis kurz vor dem Anpfiff grübeln, mit welcher Marschroute dem Gegner am besten beizukommen sei. "Vielleicht überlässt uns Italien mehr Ballbesitz. Das machen sie ganz bewusst. Sie können aber auch früh pressen. Auch das machen sie gerne", sinniert der Bundestrainer, der wohl auf die gleiche Aufstellung wie gegen die Slowakei setzen dürfte. Obwohl er Modifizierungen nicht ausschließen wollte. Doch das dürfte eher zum Pokerspiel dazugehören.
Vielleicht ändere er die eine oder andere Personalie, weil es gegen die Italiener besser wäre, sagte er. Ob er da an Götze gedacht hat? Der Bayern-Spieler machte im Test-Länderspiel gegen Italien im März ein hervorragendes Spiel. Ist er der Mann, der die Lücken in der italienischen Abwehr am besten offenlegen kann? Rutscht er doch wieder in die Startformation? Löw vielsagend: "Es gibt immer gewisse Situationen, wo der Gegner Schwächen hat." Die Frage sei dann: "Wie können wir diese ausnutzen?"