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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Bayern-Profi warnt vor EM-Auftakt "Nur Jamal? Das wäre schwierig"
Nicolas Kühn hat schon in jungen Jahren eine bewegte Karriere hinter sich. Mittlerweile spielt er in Schottland – und weiß deshalb, vor wem sich die DFB-Elf beim EM-Auftakt in Acht nehmen sollte.
Der Countdown zum Start der Europameisterschaft in Deutschland läuft: Bereits am kommenden Freitag, den 14. Juni, empfängt das DFB-Team im Eröffnungsspiel die Nationalmannschaft von Schottland. Die Briten sind für die deutsche Elf auf dem Weg zum EM-Titel der erste Gradmesser – und ein durchaus unangenehmer Gegner.
Einer, der das bestätigen kann, ist Nicolas Kühn. Der 24-Jährige, der in seiner noch jungen Karriere schon für die Zweitvertretungen von Ajax Amsterdam und vom FC Bayern sowie für Erzgebirge Aue und Rapid Wien spielte, kennt sich mit der Spielweise des deutschen Auftaktgegners bestens aus. Denn: Seit Januar 2024 läuft Kühn für den Celtic FC auf – und sicherte sich mit dem schottischen Top-Klub aus Glasgow in seinem ersten halben Jahr direkt die Meisterschaft und den Pokal.
Mit t-online spricht Kühn deshalb exklusiv über einen seiner Mitspieler bei Celtic, der dem deutschen Team das Leben schwer machen könnte. Außerdem rekapituliert er nochmal seine ersten Monate auf der Insel, was er während seiner Zeit beim FC Bayern über Deutschlands Hoffnungsträger Jamal Musiala dachte und welchen Traum er sich noch einmal erfüllen möchte.
t-online: Nicolas Kühn, Deutschland trifft im ersten Spiel der EM auf Schottland. Das DFB-Team ist bereits dreimal Europameister geworden, Schottland ist in diesem Jahrtausend erst zum zweiten Mal bei einem großen Turnier dabei. Haben die "Bravehearts" gegen die deutsche Elf überhaupt eine Chance?
Nicolas Kühn: Deutschland ist auf jeden Fall in der Favoritenrolle. Aber: In einem einzigen Spiel ist alles möglich. Die Schotten werden hart in die Zweikämpfe gehen. Außerdem haben sie einige sehr gute Profis in ihren Reihen.
An wen denken Sie da?
Scott McTominay spielt zum Beispiel bei Manchester United. Ich denke aber vor allem an die vier Jungs, mit denen ich bei Celtic zusammenspiele: Greg Taylor, Anthony Ralston, James Forrest und unseren Kapitän Callum McGregor. Er ist ein echter Anführer.
McGregor läuft seit seiner Kindheit für Celtic auf, ist seit 2017 zudem wichtiger Bestandteil der schottischen Nationalmannschaft. Muss Deutschland im Eröffnungsspiel auf ihn besonders aufpassen?
Er kann den Deutschen wehtun. Callum ist ein Spieler, der einfach nicht aufhört zu laufen. Der hört nicht auf, bis der Schlusspfiff ertönt. Dazu hat er noch ein starkes Passspiel – und menschlich ist er sowieso ein super Typ. Eigentlich ist Callum ein eher ruhiger Mensch, aber bei Celtic spricht er in der Kabine klar an, wenn etwas schiefläuft. Dann geht er auch mal dazwischen. Er ist also der verlängerte Arm des Trainers. Über die Jahre hat er hier viel Erfahrung gesammelt und über 20 Titel mit diesem Klub geholt. Callum weiß, wie man große Spiele gewinnt.
Sie spielen jetzt seit rund einem halben Jahr in Glasgow. Was macht den schottischen Fußball aus?
Das Zweikampfverhalten ist einfach anders. Hier geht es deutlich ruppiger zur Sache als in Deutschland. Gegen das DFB-Team wird es deshalb auch das Ziel der Schotten sein, ein ekliges Spiel abzuliefern, auf ein, zwei Chancen zu hoffen und diese zu nutzen.
Die Fans in Schottland sind im positiven Sinne verrückt nach Fußball. Sie leben dieses Spiel.
Nicolas Kühn über die schottischen Anhänger
Ein großer Trumpf für Schottland sind die eigenen Fans. Zehntausende werden bei der EM hierzulande erwartet. Können sie eine Mannschaft wie Deutschland einschüchtern, obwohl die als spielerisch überlegen gilt?
Absolut. Da Deutschland aber im eigenen Land spielt, wird das bei dieser EM nicht so extrem sein, schätze ich. Trotzdem: Die Fans in Schottland sind im positiven Sinne verrückt nach Fußball. Sie leben dieses Spiel. Das ganze Land schaut jetzt auf dieses Turnier. Ich kann mir schwer vorstellen, dass irgendwer in Schottland die EM nicht verfolgen wird.
Die Macht der schottischen Fans haben Sie gerade erst im Pokalfinale gegen die Rangers, Celtics Erzfeinde, kennengelernt. Wie haben Sie den Sieg im schottischen FA Cup erlebt?
Es war der Wahnsinn. Man kann gar nicht richtig erklären, was da im Stadion passiert. Wenn du vor 50.000 Menschen den Pokal hochhebst: Das sind Erinnerungen, die für immer bleiben werden.
Das Finale war bereits Ihr drittes Derby gegen die Rangers. Wie ist es, bei einem sogenannten "Old Firm" auf dem Rasen zu stehen?
In meinem ersten Derby gegen die Rangers stand ich direkt in der Startelf. Wir haben auswärts im Ibrox Stadium gespielt. In den ersten zehn Minuten kriegst du bei so einem Spiel schon schwer Luft. Wir sind aber schnell mit 2:0 in Führung gegangen. Die Stimmung in dem Moment war unbeschreiblich. Man muss schon dabei gewesen sein, um das nachvollziehen zu können.
Die Partie endete aber 3:3. Die Rangers glichen in der Nachspielzeit aus.
Genau. Danach haben sie gefeiert, als wären sie schon Meister. Im Anschluss haben aber wir dann die Liga dominiert, super Spiele abgeliefert und alle Punkte geholt, die für uns möglich waren. Und dann war da das Derby bei uns im Celtic Park. Plötzlich spielst du mit 60.000 Fans im Rücken und nicht mit 50.000 gegen dich. Wir machten zwei Tore, die Rangers bekamen eine Rote Karte und wir brachten das Ergebnis über die Ziellinie. Das war der große Schritt zum Meistertitel.
Celtic ist nach Ajax Amsterdam und Rapid Wien Ihre dritte Station im Ausland. Was genau hat Sie bewegt, nach Schottland zu wechseln?
Als die Anfrage von Celtic kam, habe ich alles darangesetzt, dass dieser Wechsel zustande kommt. Das war für mich die Chance, Meister zu werden und mich bei einem riesigen Verein zu beweisen. Ich trage im Klub die Rückennummer zehn. Das ist auch ein Statement von meiner Seite – und natürlich auch wieder ein enormer Druck, der da auf mir lastet. Nächstes Jahr spiele ich dann das erste Mal in der Champions League: Das war immer das Ziel. Jetzt kann keiner mehr sagen, dass es bei mir an irgendwas fehlt. Es hat bei mir vielleicht alles ein bisschen länger gedauert, aber ich bin auf Top-Niveau angekommen.
Sie sprechen über Ihre Zeit in Deutschland und den Niederlanden. In der Jugend spielten Sie unter anderem auch für RB Leipzig, bei den Herren für die zweiten Mannschaften von Ajax Amsterdam und vom FC Bayern. Bedauern Sie, dass Sie es nicht gepackt haben, in München in die erste Mannschaft durchzubrechen?
Ich sage hinterher eigentlich nie gerne "Das bedaure ich" oder "Das hätte ich gerne anders gemacht". Als ich damals zum FC Bayern gewechselt bin, war das für mich die richtige Entscheidung. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, gibt es in meiner Karriere aber natürlich Situationen, in denen ich anders hätte entscheiden können. Ich weiß nicht, ob ich den Schritt zu Ajax nochmal machen würde. Es kann offenbar auch über andere Wege nach oben gehen. Brajan Gruda hat beispielsweise eine super Saison bei Mainz 05 gespielt. Wer weiß, wo es jetzt für ihn hingeht. Und wer weiß, was passiert wäre, wenn ich solche Leistungen in jungen Jahren bei einem kleineren Klub in der Bundesliga gezeigt hätte.
Beim FC Bayern spielten Sie in einigen Partien auch mit Jamal Musiala zusammen. Konnte man in jenen Tagen schon erahnen, dass aus ihm mal ein ganz großer Fußballer wird?
Natürlich hatte Jamal schon damals hervorragende Anlagen. Dass es bei ihm dann aber so schnell geht, hätten wohl die wenigsten gedacht. Da sieht man, was möglich ist, wenn man vom Verein das Vertrauen und die Chance zu spielen bekommt. Jamal hat es dann überragend gemacht, sich super weiterentwickelt. Er hat sich das alles auf jeden Fall verdient und ich gönne es ihm sehr. Er ist aber auch nicht der einzige Spieler aus dieser Zeit, der es gepackt hat.
Sondern?
Joshua Zirkzee hat es gerade mit Bologna in die Champions League geschafft. Derrick Köhn ist im Winter von Hannover 96 zu Galatasaray Istanbul gewechselt und dort Meister geworden. Chris Richards spielt bei Crystal Palace in der Premier League. Ziemlich viele aus meiner Zeit beim FC Bayern hatten also dieses hohe Niveau und die Anlagen, es auf das Top-Level zu schaffen. Bei Ajax war es ähnlich. Jurriën Timber spielt heute beim FC Arsenal, Ryan Gravenberch beim FC Liverpool. Michael Reiziger, mein Trainer in Amsterdam, hat mal gesagt: "Jeder von euch wird Profi. Es kommt nur darauf an, wie viel ihr dafür gebt und wo ihr am Ende landet."
Es ist gut, dass die Last auf mehrere Schultern verteilt wird. Nur Jamal? Das wäre schwierig.
Nicolas Kühn über Jamal Musialas Rolle bei der EM
Jamal Musiala ist in der ersten Mannschaft des FC Bayern gelandet – und in der DFB-Elf. Er gilt als Hoffnungsträger für eine erfolgreiche Europameisterschaft. Sehen Sie das auch so?
Er wird einer der deutschen Spieler sein, die den Unterschied machen. Es gibt aber auch andere. Florian Wirtz hat in Leverkusen eine überragende Saison hinter sich. Zudem ist Leroy Sané sehr gefährlich. Es ist gut, dass die Last auf mehrere Schultern verteilt wird. Nur Jamal? Das wäre schwierig.
Sie selbst waren jahrelang Jugendnationalspieler. Wie sieht es mit Ihrem eigenen Wunsch aus, irgendwann mal wieder das Deutschland-Trikot überzustreifen?
Der ist extrem groß. Meine Statistiken in den Jugend-Nationalmannschaften über die Jahre sprechen für sich. Ich habe es außerdem immer geliebt, das deutsche Trikot zu tragen. Als wir bei Aue in der 2. Liga gegen den Abstieg gespielt haben, meinte ich mal in einem Interview, das nächste Ziel sei es für mich, in der Champions League zu spielen und ins DFB-Team zurückzukehren. Den einen großen Traum werde ich mir in der nächsten Saison mit Celtic hoffentlich erfüllen. Das Ziel danach ist für mich klar: die deutsche Nationalmannschaft.
Planen Sie eine Rückkehr nach Deutschland? Ihr Vertrag bei Celtic läuft noch bis 2029.
Für mich wäre es schön, irgendwann mal in der Bundesliga zu spielen. Vielleicht auch nochmal beim FC Bayern, dann aber bitte in der ersten Mannschaft.
- Interview mit Nicolas Kühn