Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Beckenbauer wird 75 "Franz sagte: 'Berti, ich habe da großen Mist erzählt'"
Zum Geburtstag der deutschen Fußball-Ikone erinnert sich t-online-Kolumnist Berti Vogts an einen Anruf bei Johan Cruyff, eine dreiste Ausrede – und an einen Pool-Bau in Italien.
Seinen 75. Geburtstag feiert Franz Beckenbauer an diesem Freitag. Ich kenne Franz seit meinem 17. Lebensjahr. Unsere jahrzehntelange Freundschaft bedeutet mir sehr viel. Mit ihm verbinde ich viele unschätzbare Erinnerungen.
"Wer mich überholt, überlebt das nicht"
Wir haben zusammen in der Jugendauswahl des DFB gespielt – das war das erste Mal, dass wir einen Spieler sahen, der "falsch" Fußball gespielt hat. Wir Deutschen spielten den Ball ja immer mit der Innenseite oder dem Vollspann – und Franz war wie ein Brasilianer, der machte fast alles nur mit dem Außenrist. Das war sensationell. Später standen wir beide im vorläufigen 40er-Kader für die WM 1966 in England – er schaffte es ins endgültige Aufgebot, ich nicht –, und mein Gladbacher Trainer Hennes Weisweiler und ich schauten uns dann das Training an, und er sagte ständig "Schau Dir den Franz an! Schau Dir den Franz an! Der ist nur ein Jahr älter als Du."
Denn obwohl ihm immer alles so leicht von der Hand zu gehen schien: Es war harte Arbeit, er hat sich im Training immer unglaublich reingehängt. Als wir nach der 0:1-Niederlage gegen die DDR in der Gruppenphase bei der WM 1974 15 Extrarunden laufen mussten, setzte sich Franz an die Spitze. Er bestimmte von da an das Tempo und sagte in Richtung der jüngeren Spieler, die auf ihre Chance lauerten: "Wer mich überholt, überlebt das nicht."
Cruyff fragte: "Warum rufst Du mich an?"
Franz ging immer vorneweg, aber er hat auch immer das Beste für seine Mitspieler gewollt. Beim Finale 1974 dann sollte die Siegermannschaft 22 Autos von VW bekommen. Ich glaube, Wolfgang Overath war der erste, der das in der Mannschaft herumerzählte und fragte: "Wer bekommt die denn eigentlich?" Irgendjemand sagte dann, die Autos seien nur für den DFB, nicht für die Spieler.
Das wollte Franz nicht auf sich sitzen lassen. Er sagte mir, ich solle Johan Cruyff von unserem Finalgegner Niederlande anrufen – wir kannten uns von unserem gemeinsamen Sponsor Puma. Er ging ans Telefon und fragte verwundert: "Warum rufst Du mich an?". Ich sagte: "Morgen im Finale sprichst Du sowieso nicht mit mir, deshalb. Sag mal, diese VWs, sind die für den Verband?" Johan antwortete: "Uns wurde gesagt, die sind für uns Spieler." Das erzählte ich Franz, der telefonierte dann mit dem DFB und kam wenig später zu uns: "Wenn wir Weltmeister werden, bekommen wir die Autos." Das schwarz-grüne Cabriolet war dann ein schönes Geschenk für meinen Bruder.
Man hat Franz schon 1978 Unrecht getan
Man hat Franz nicht erst mit der Geschichte um das Sommermärchen viel Unrecht getan in Deutschland, sondern schon viel früher. Ich denke an die WM 1978, bei der er fehlte. Franz war ja damals zu Cosmos New York gewechselt, und dadurch durfte er nicht mehr für Deutschland spielen. Damals war es noch so, dass nur Bundesligaspieler nominiert wurden. So ein Blödsinn! Heute ist das unvorstellbar. Ich als Kapitän sprach damals mit Bundestrainer Helmut Schön, und er zuckte mit den Schultern: "Berti, ich kann das nicht entscheiden, da sind der Verband und die Liga gefragt."
Ich unterhielt mich mit vielen Spielern, und alle stimmten mir zu: Es kann doch nicht sein, dass man auf so einen Spieler verzichtet, nur weil er im Ausland spielt. In der Zwischenrundengruppe gegen die sehr starken Österreicher bekamen wir dafür die Quittung (2:3, Anm. d. Red.). Ich sage: Mit Franz hätten wir das Spiel damals nicht verloren. Und so ist die Stimmung dann so weit gekippt, dass sich dort etwas beim DFB getan hat. Scherzhaft kann man sagen: In dieser Beziehung war es ein Glück, dass wir so früh ausgeschieden waren.
- Franz Beckenbauer: "Die letzten Jahre waren hart"
"Berti, mach Dir keine Sorgen"
Franz hatte auch als Teamchef immer seine eigene Art und blieb sich treu. Der klassische, akribische Fußballlehrer war er nie. Eines Nachts klingelte mal das Telefon, es war zwei Monate vor der WM 1990. Franz war dran und sagte mir: "Du fliegst Samstag mit Flavio Battisti (damaliger DFB-Teamkoordinator, Anm. d. Red.) nach Italien, es ist schon alles organisiert." Wir sollten unsere Gruppenspiele eigentlich in Verona austragen, aber Franz erzählte mir, die Fifa habe die deutschen Spiele wegen des Mauerfalls in Deutschland in das größere Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand verlegt. Jetzt sollte ich also so kurz vor der WM dorthin und ein neues Quartier organisieren.
Nach langer Suche fanden wir ein Hotel, 30 bis 40 Kilometer von Mailand weg. Da waren aber schon die WM-Schiedsrichter untergekommen. Da sagte der Hotelier zu mir: "Mein Bruder hat auch noch ein Hotel" – und das wurde dann tatsächlich unser Quartier. Aber es hatte einen Haken: Franz wollte immer, dass wir zur Regeneration auch einen Swimming Pool bekommen – dieses Hotel hatte aber keinen. Und Franz sagte einfach: "Berti, mach Dir keine Sorgen. Wir bauen dort einen Pool." Der DFB finanzierte dort also wirklich den Bau eines Pools. Und als es für uns dann später nach Rom weiterging, hat er dem Hotelier einfach den Pool geschenkt. So ist Franz.
Einen Satz nahm ich ihm übel
Früher gab es jedes Jahr eine Trainertagung aller Bundesligatrainer mit dem Bundestrainer, die dann als Fortbildung angerechnet wurde. Franz aber zweifelte, was er auf so einer Tagung sollte: "Berti, ich bin doch kein Trainer." Ich antwortete: "Komm einfach zur Begrüßung, und danach hast Du dann noch irgendetwas Wichtiges zu tun oder musst irgendwohin fliegen." Franz wirkte dann ganz befreit: "Ja ja, genau!" Da saßen Trainergrößen wie Udo Lattek, und Franz entschuldigte sich einfach so. Einmal kam er später zurück und lud die ganze Runde ein: "Was sollen wir hier weiter über Fußball reden! Jetzt gehen wir schön zusammen essen." Das war die schönste Trainertagung, an die ich mich erinnern kann.
Nur einen Spruch habe ich ihm – mit einem Augenzwinkern – übelgenommen: 1990, nachdem er als Teamchef aufgehört hatte und ich neuer Bundestrainer wurde, da sagte er diesen Satz: "Die deutsche Mannschaft wird auf Jahre hinaus unschlagbar sein" – auch wegen der Spieler aus der ehemaligen DDR, die zu uns kommen würden. Eine Stunde später rief er mich an und sagte: "Berti, ich glaube, ich habe da großen Mist erzählt. Es tut mir so leid." Auf Jahre hinaus unschlagbar – und dann wurde ihm klar: Diese Spieler würden eine gewisse Zeit brauchen, um sich einzufinden. Genauso kam es dann auch.
Es war wohl eines der wenigen Male, dass Franz falsch lag. Ich sage immer: Der Franz ist ein Geschenk vom lieben Herrgott. Dass Fußball-Deutschland auf der ganzen Welt so bekannt und beliebt ist, das ist auch sein Verdienst. Was Franz für den DFB, für Bayern München und den Fußball überhaupt gemacht hat – das ist sensationell. Genau wie der Mensch Franz Beckenbauer.
Und daran sollte man sich in Deutschland erinnern an seinem 75. Geburtstag.