Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Neuer, Müller, Thiago, Alaba & Co. Nur einen Vertrag würde ich frühzeitig verlängern
Warum der FC Bayern in der Champions League gegen Chelsea weiterkommt und bei Flick und einigen Spielern auf Zeit spielen sollte. | Eine Kolumne von Stefan Effenberg
Die Hinspiele von Dortmund gegen Paris (2:1) und Leipzig bei Tottenham (1:0) liegen hinter, das Bayern-Spiel heute bei Chelsea vor uns (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online.de). Um ehrlich zu sein: Um Bayern mache ich mir die wenigsten Sorgen. Und wenn die drei Klubs auch die Achtelfinal-Rückspiele überstehen, sehen wir zum ersten Mal seit 1998 drei deutsche Vereine im Viertelfinale der Champions League. Ich halte das für alles andere als unwahrscheinlich.
Bayern muss die erste Offensive überstehen
Was, wenn Bayern doch ausscheidet? Auf jeden Fall wird es dann Zeit für eine neue Kolumne. Aber im Ernst: Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen.
Bayern ist in meinen Augen der klare Favorit. In England ist es immer schwer, zu bestehen. Chelsea wird mit allem anlaufen, was sie haben. Wenn Bayern diese Offensive aber kontrollieren und überstehen kann, werden sie das Hinspiel gewinnen und sich auch im Rückspiel durchsetzen. Ich habe es geliebt, in solchen Spielen die Kontrolle zu gewinnen und den Gegner zu ärgern.
Der FC Bayern hat einen großen Trumpf
Ich habe schon zu Saisonbeginn gesagt, dass es mit Liverpool, Juventus, Barcelona und Real Madrid Vereine gibt, die ich vor Bayern einordnen würde. Trotzdem sage ich jetzt: Der FC Bayern kann die Champions League gewinnen, weil er einen großen Trumpf hat – und das ist die Bundesliga. Auch das 3:2 gegen Paderborn am vergangenen Freitag hat gezeigt: Bayern wird derzeit permanent und Woche für Woche gefordert und muss immer ans Limit gehen. Die Spannung wird permanent hoch gehalten – und das wird sich auszahlen.
So wie du trainierst, so spielst du auch. Wenn du 10, 12, 15 Punkte vor der Konkurrenz liegst, bist du unter der Woche nicht unter der Spannung und dem Druck, den du eigentlich brauchst. Dann wird mal rotiert, dann verlierst du ein Stück weit den Rhythmus. Und das war in den vergangenen Jahren bei Bayern häufiger der Fall. Zwischen 2013 und 2018 ist Bayern am Ende immer mit mindestens zehn Punkten Vorsprung vor dem Vize Meister geworden. Gerade in den drei Jahren unter Trainer Pep Guardiola von 2013 bis 2016 hat sich das bemerkbar gemacht. In der Champions League war jedes Jahr im Halbfinale Schluss. In der vergangenen Saison war es in der Bundesliga nach langer Zeit mal wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Dortmund, aber mit Liverpool der Achtelfinal-Gegner in der Champions League übermächtig. Auf Liverpool kann Bayern natürlich auch in dieser Saison treffen. Aber so stark wie diese Saison ist Bayern auch seit Jahren nicht gefordert gewesen in der Liga. So wie es jetzt ist, ist es für Bayern München optimal.
Warum jetzt eine Entscheidung über Flick fällen?
Dazu passt, dass Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge Trainer Hansi Flick gerade mit Louis van Gaal, Pep Guardiola oder Jupp Heynckes verglichen hat. All diese Trainer hätten eine klare Spielidee. Damit hat er natürlich grundsätzlich recht.
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Dennoch finde ich es nach wie vor richtig, dass der Verein mit einer möglichen Vertragsverlängerung bis zum Mai warten will. Warum jetzt eine Entscheidung fällen, die ihm in zwei Monaten oder sogar noch schneller auf die Füße fällt? Wenn Bayern gegen Chelsea doch rausfliegen, oder in der Liga drei Spiele hintereinander verlieren und im Pokal ausscheiden sollte – was dann? In der Bundesliga werden oft ohne Not Verträge verlängert, die sich kurze Zeit später als falsch herausstellen.
Ich sage: Bayern soll sich die Zeit nehmen – übrigens nicht nur beim Trainer.
Jede Vertragsverlängerung kostet wahnsinnig viel Geld
Tatsächlich ist es so, dass 2021 gleich acht Verträge auslaufen. Für Fans und Medien ist das zum Teil bereits ein großes Thema, weil Bayern mit einem Verkauf nur in diesem Sommer noch eine größere Ablöse kassieren kann. Ich sehe das etwas anders. Stand heute handelt es sich um noch fast eineinhalb Jahre Vertragslaufzeit – und eine Chance für den Verein, sich in Ruhe anzuschauen, wer ihn über 2021 hinaus sportlich weiterbringt. Man darf nicht vergessen, dass es wahnsinnig viel Geld kostet, mit diesen Spielern zu verlängern. Und auch als Spieler kann ich mich doch jetzt auf meine Leistung konzentrieren. Wenn das funktioniert und ich wirklich bleiben möchte, ist doch die logische Konsequenz, dass ich irgendwann einen neuen Vertrag unterzeichne.
Bayern sollte abwarten – mit einer Ausnahme: Thomas Müller. Wenn der auf den Verein zukommt und sagt, dass er hier gern seine Karriere beenden und auf Lebenszeit bleiben will, dann sollte der FC Bayern sicherlich mit ihm über einen neuen Vertrag reden. Dann wird man sich auch einigen. Bei allen anderen Spielern sehe ich diese Notwenigkeit nicht.
Wenn er weg will, sollte Bayern Alaba gehen lassen
David Alaba beispielsweise hat angedeutet, dass er sich einen Wechsel vorstellen kann. Mit Alphonso Davies hat der FC Bayern ohnehin einen Linksverteidiger, dem er nicht den Weg verbauen will – und auch in der Innenverteidigung gibt es mit Niklas Süle und Lucas Hernandez Spieler, denen die Zukunft gehört. Wenn Alaba Bayern verlassen möchte, sollte man ihn gehen lassen und festhalten, dass er eine richtig coole und sehr erfolgreiche Zeit bei Bayern hatte über mehr als zehn Jahre. Ich finde seine Überlegungen nicht verkehrt. Mit 27 Jahren ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, ob man seinen Horizont nicht noch mal erweitern möchte.
Thiago oder auch Javi Martinez hatten immer mal wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Thiago ist bei Vertragsende 30 Jahre alt, Martinez 32. Auch hier ergibt es also einen Sinn, noch abzuwarten.
Neuer ist bei Vertragsende 35 Jahre alt
Bei Jerome Boateng (31) und Sven Ulreich (31) stehen die Zeichen schon nach dieser Saison auf Trennung. Boateng liebäugelt seit Jahren mit einem Wechsel. Ulreich hat angekündigt, nicht als Nummer drei hinter Manuel Neuer und Alexander Nübel bleiben zu wollen.
Wirklich spannend wird es bei Manuel Neuer (33). Auch in diesem Fall sollte am Ende nur die sportliche Bewertung zählen. Bei ihm spricht derzeit nicht viel dagegen, zu verlängern – aber wer weiß, ob er nicht noch mal einen Wechsel anstrebt. Auch hier gilt: Es gibt keinen Grund zur Hektik. Noch mal: Er hat noch eineinhalb Jahre Vertrag und ist bei Vertragsende 35 Jahre alt.
Es gibt auch keinen Grund zur Panik – weder bei den Spielern, deren Vertrag in eineinhalb Jahren ausläuft, noch bei den Leihspielern, die nur bis zum Sommer an Bayern gebunden sind. Auch die Zukunft von Philippe Coutinho, Ivan Perisic und Álvaro Odriozola ist offen. Ein echter Leistungsträger und Stammspieler ist derzeit keiner. Und genau deshalb war es auch clever von Bayern, die Spieler nicht zu kaufen, sondern zu leihen. Bevor du eine große Summe in die Hand nimmst, der Spieler dann nicht zündet und du am Ende unglücklich bist, ist es sinnvoll, einen Spieler auszuleihen und zu schauen, wie er sich entwickelt. Bei James Rodriguez hat der FC Bayern es genauso gemacht.
Bei Coutinho hat Bayern alles richtig gemacht
Es sind einfach viele Faktoren, die darüber entscheiden, ob ein Spieler wie James oder auch Coutinho einschlägt, also ob ein Weltklassespieler am Ende auch Weltklasse spielt. Wenn Sie persönlich im Ausland einen Job antreten und Ihre Familie fühlt sich womöglich nicht hundertprozentig wohl – dann werden Sie Probleme haben, hundert Prozent Leistung zu bringen. Und das gilt erst recht, wenn Sie Ihren Job vor 50 bis 80.000 Zuschauern erledigen müssen. Ich möchte hier in keinster Weise über private Probleme von Coutinho spekulieren – ich möchte nur ein Beispiel nennen. Und ich nenne noch ein zweites. Das Wetter in Deutschland ist durchaus überschaubar. Wenn es kalt und regnerisch wird, kann das einem brasilianischen Fußballer durchaus aufs Gemüt schlagen – und damit auch auf die Leistung. Auch das ist nur ein Beispiel. Coutinho beispielsweise hat in Liverpool auch gute Leistungen gebracht.
Das alles spielt aber natürlich am Ende keine Rolle bei der Beurteilung eines Spielers – und das ist auch richtig so. Wenn die Beurteilung von Coutinho am Ende so ausfällt, dass es nicht weitergeht, dann hat der FC Bayern alles richtig gemacht, indem er ihn nicht fix verpflichtet hat.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“