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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dietmar Hamann Harte Kritik an Bayern-Star: Im Moment nicht mal die Hälfte wert
Im Interview mit t-online.de spricht der frühere Bayern-Profi und England-Experte über einen potenziellen neuen Trainer und einen Profi des Rekordmeisters, der aktuell noch nicht die Ansprüche erfüllt.
Premier-League-Klub Tottenham Hotspur hat Mauricio Pochettino entlassen – und plötzlich ist er einer der gefragtesten freien Trainer in ganz Europa. Auch beim FC Bayern soll er im Gespräch sein. Doch der deutsche Rekordmeister reitet gerade mit Interimstrainer Hansi Flick auf einer Erfolgswelle. Kommt da Pochettino überhaupt noch infrage?
Und was sind seine Qualitäten? Was macht den 47-Jährigen als Coach besonders? Wenn es jemand wissen sollte, dann Ex-Nationalspieler Dietmar "Didi" Hamann, der sich im englischen Fußball bestens auskennt. t-online.de sprach mit dem Sky-Experten über Pochettino.
t-online.de: Herr Hamann, Hansi Flick wird als Cheftrainer des FC Bayern bis Weihnachten das Vertrauen ausgesprochen, doch ein paar Tage später wurde Mauricio Pochettino bei Tottenham Hotspur entlassen. Was macht den Argentinier so besonders?
Dietmar Hamann: Pochettino war neben Jürgen Klopp der herausragende Trainer der vergangenen Jahre. Nicht zu vergessen: Er hat bei Tottenham mit bescheidenen Mitteln, verglichen mit den anderen Topvereinen der Premier League, eine gute Arbeit geleistet. Zuletzt ist er in der Champions League ins Finale eingezogen. Er ist sicher ein Trainer, um den sich die Bayern bemühen müssen. Wenn man sich den Trainermarkt aktuell anschaut, würde ich ihn zu den Top Drei, Top Vier im Weltfußball zählen. Deswegen ist es geradezu die Pflicht des FC Bayern, sich anzuhören, ob bei Pochettino Interesse besteht.
In der Premier League lief es für ihn mit Tottenham nicht mehr wirklich, die Spurs rutschten bis auf Platz 14 ab. Wie wird in England über ihn geurteilt?
Er hat einen exzellenten Ruf. Tottenham ist kein einfacher Verein. Pochettino hat während der Saisonvorbereitung mehrmals gesagt, dass er nicht der Manager, sondern nur der Coach ist. Man muss wissen: Klubchef Daniel Levy ließ und lässt sich bei Transferangelegenheiten wenig reinreden. So erfolgreich Pochettino auch war, so wenig Mitspracherecht hatte er. Das hat sich in den letzten Jahren angestaut, die Mannschaft hat am Limit gespielt. Gegen die Bayern (2:7 in der Champions League, Anm. d. Red.) hat man dann gesehen, dass es nicht mehr stimmt. Tottenham hat im kommenden Sommer vier ablösefreie Leistungsträger. Er hat immer gesagt: "Wir müssen mit ihnen verlängern oder sie verkaufen." Beides ist nicht passiert. Zuletzt musste er dann die Konsequenzen der verfehlten Vereinspolitik ausbaden.
In der Mannschaft soll Pochettino bis zum Ende sehr beliebt gewesen sein.
Ich habe zwei Tweets von Harry Kane und Dele Alli gelesen, die fast deckungsgleich waren: Ohne ihn hätten sie nicht den Durchbruch geschafft. Sie haben ihm gedankt und ihn als Freund bezeichnet. Er hat gezeigt, dass er ein Fachmann ist und dass er die menschlichen Qualitäten hat. Ich glaube nicht, dass es zwischen Tottenham und seinem Nachfolger José Mourinho funktionieren wird. Die Spurs werden in den nächsten Jahren den Erfolg, den sie unter Pochettino hatten, nicht mehr haben. Davon bin ich überzeugt.
Was macht Pochettino besser als andere Trainer?
Er holt das Maximale aus Spielern raus. Er hat fast alle Spieler besser gemacht: Kane, Alli, Heung-min Son, in der Abwehr Toby Alderweireld, junge Spieler wie Harry Winks. Das geht heutzutage nur, wenn du fachlich und menschlich gut bist. Von dieser Sorte Trainer gibt es im Moment wenige. Deswegen müssen sich die Bayern ernsthaft Gedanken über ihn machen.
Pochettino spricht kein Deutsch.
Beim FC Bayern gibt es viele Spieler, die Spanisch sprechen. Und nach der langen Zeit in London spricht Pochettino natürlich hervorragendes Englisch. Ich sehe da kein Problem. Der Fußball hat sich globalisiert. Deutsch zu sprechen, ist nicht das entscheidende Kriterium, welches ein Bayern-Trainer erfüllen muss. Aber: Es würde meiner Meinung nach mehr Sinn machen, ihn erst im Sommer zu holen statt jetzt im Winter.
Warum?
Er hat fünf intensive Jahre hinter sich. Man hört immer wieder von Trainern, dass sie eine Auszeit brauchen. Sie müssen erst mal durchschnaufen. Wir haben jetzt Ende November, die Vorbereitung der Bayern beginnt am 2. Januar. Das heißt: Pochettino müsste in sechs Wochen an der Säbener Straße auf dem Platz stehen. Das würde keinen großen Sinn machen. Ich hätte lieber einen ausgeruhten Trainer in acht Monaten, der sich vorbereiten und die Kaderplanung vorantreiben kann. Einen Trainer, der sich in Ruhe München anschauen kann. Der sich hier eine Wohnung suchen kann. Der mal reinschnuppern kann. Jetzt eilig einen Trainer zu holen, der möglicherweise etwas ausgebrannt ist, macht keinen Sinn.
Insbesondere, da Flick als Chef prompt geliefert hat. Wäre da ein weiterer Trainerwechsel nicht kontraproduktiv?
Es ist ein Unterschied, als Interimstrainer zu arbeiten oder wirklich der Chefcoach über eine lange Zeit zu sein. Ein Beispiel: Mourinho musste bei Manchester United gehen, anschließend haben die "Red Devils" auf Ole Gunnar Solskjaer gebaut. Er hat die ersten neun Pflichtspiele gewonnen, einen Vertrag unterschrieben und anschließend ging es bergab. Es macht einen Unterschied, ob du nur für acht Wochen übernimmst oder ob du wirklich der erste Mann bist. Ich mag Flick. Wäre Pochettino nicht frei geworden, hätte ich es nicht ausgeschlossen, dass er sogar über den Sommer hinaus Cheftrainer bleiben darf. Aber die Klubs müssen immer auf neue Umstände reagieren. Jetzt ist Pochettino frei und die Bayern müssen alles versuchen, damit sie ihn im Sommer nach München holen.
Wobei die Gemengelage beim Rekordmeister nach dem Rückzug von Uli Hoeneß knifflig ist, weil sich die Nachfolge-Generation erst beweisen muss, oder nicht?
Absolut. Ende 2021 geht auch Rummenigge, der zweite Charakterkopf. Dass das eine unruhige Phase werden wird, ist jedem bewusst. Die Leidenschaft und die Fachkompetenz, mit der die beiden den FC Bayern geführt haben, gibt es auf diesem Niveau kein zweites Mal. Aber es müssen fähige Leute nachfolgen. Und da haben sie mit Herbert Hainer als neuem Präsident und Oli Kahn als künftigem Vorstand zwei Leute gefunden, denen ich das zu hundert Prozent zutraue. Hainer war CEO von Adidas, dort werden ein paar Euro mehr umgesetzt als bei Bayern München. Ihm wird bestimmt nicht schwindelig, wenn er als Aufsichtsratschef mal einen Transfer von 80 oder 100 Millionen Euro absegnen muss.
Und Kahn?
Oli war schon immer einer, der über den Tellerrand hinausgeschaut hat und sich Gedanken gemacht hat. Dass er diese riesige Aufgabe mit großem Respekt angeht, ist gut so. Ich habe vollstes Vertrauen in ihn. Und wenn wir uns jetzt noch die jüngsten Transfers anschauen, dann muss ich auch mal eine Lanze für Hasan Salihamidzic brechen, der, seit er da ist, aus der Öffentlichkeit nur angeschossen wurde. Man kann darüber streiten, wie er das eine oder andere Interview geführt hat und was er dabei gesagt hat oder besser gesagt hätte. Im Endeffekt zählt aber seine Arbeit: Er blieb standhaft, hat Größe und Rückgrat gezeigt. Er hat seinen Job weitergemacht, und das sehr gut.
Dennoch wird gerade Kahn als der neue starke Mann erwartet.
Er wird auf der ganzen Welt respektiert. Aber auf seiner künftigen Position sind natürlich andere Qualitäten gefragt als auf dem Fußballplatz. Er wird der starke Mann sein, ja. Ob er aber auf der nächsten Jahreshauptversammlung genauso gefeiert wird, hängt von den Ergebnissen ab. Dass er das Standing und die Akzeptanz der Leute hat, ist unbestritten.
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Die Bayern haben angekündigt, weiter großzügig in die Mannschaft investieren zu wollen. Philippe Coutinho, Leroy Sané, Kai Havertz – für wen würden Sie das Geld ausgeben?
Stand heute würde ich Coutinho nicht fest verpflichten. Er hat bis heute nichts gezeigt, was eine Ablöse von 100 Millionen Euro rechtfertigen würde. Im Moment ist er vielleicht nicht einmal die Hälfte wert. Coutinho ist ein sensibler Spieler, und bei Bayern München kann nicht jeder spielen. Das ist ein spezieller Verein. In Liverpool haben sie eine Oase um Coutinho herum errichtet, deswegen hat er dort funktioniert. Er hatte schon in Barcelona Probleme.