Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Zum DFB-Neustart "Löws WM-Analyse war nur die halbe Wahrheit"
Was der Bundestrainer verschwiegen hat und warum der Begriff "Die Mannschaft" negativ ist und sofort abgeschafft werden muss.
Schluss mit Schlafwagenfußball – das habe ich in meiner letzten Kolumne für den deutschen Fußball in dieser Saison gefordert. Und zwar für die Bundesligavereine ebenso wie für die Nationalmannschaft. Mein erster Eindruck aus der Liga? Durchaus positiv. Es sind erst zwei Spieltage gespielt, aber die Vereine scheinen zu versuchen, schneller nach vorne zu spielen, Spieler in Position zu bringen und den Abschluss zu suchen. Ob das eine neue Einstellung ist? Um das zu beurteilen, ist es wohl zu früh. Aber vielleicht haben die Trainer erkannt: So wie bei der WM oder in der Rückrunde der vergangenen Saison, geht es nicht weiter.
Jetzt eine Trainerdiskussion? Das ist pervers
Umso schlimmer ist es, dass jetzt angeblich schon nach zwei Spieltagen die ersten Trainer vor dem Rauswurf stehen. Meine einzige Hoffnung ist, dass sich die Vereine nicht von der Hysterie anstecken lassen und das Thema insbesondere von einigen Medien ausgeht.
Fakt ist, dass es respektlos gegenüber einem Trainer ist, erst recht gegenüber einem jungen wie Leverkusens Heiko Herrlich. Mit „respektlos“ ist das sogar noch zu harmlos ausgedrückt. Nach fünf, sechs Spieltagen ist vielleicht ein besorgniserregender Trend zu erkennen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Trainerdiskussion einfach nur beschämend und pervers. Zumal es das für einen Trainer viel schwieriger macht, die Spieler von seiner Philosophie zu überzeugen.
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Die Spieler haben mehr Fehler gemacht als Löw
Wie soll der Fußball besser werden, wenn die Trainer überhaupt keine Zeit mehr bekommen? Dann bleibt ihnen irgendwann nichts mehr übrig, als nur noch auf Ergebnis zu spielen. Das wiederum führt dann zum Schlafwagenfußball. Die Spieler machen doch viel mehr Fehler als die Trainer.
Das gilt übrigens auch für die Nationalmannschaft und Bundestrainer Joachim Löw.
Und deshalb sehe ich auch die WM-Analyse ganz anders als er sie vorgetragen hat. Er hat davon gesprochen, dass er „fast arrogant“ gewesen sei, weil er den Ballbesitzfußball auf die Spitze treiben wollte – dabei ist das nur die halbe Wahrheit. Hinzu kommt nämlich das Versagen der Spieler. Joachim Löw hat absichtlich die Schuld auf sich genommen, um die Spieler zu schützen. Das muss man ihm hoch anrechnen. Sicher hat er auch Fehler gemacht – die Spieler aber auf jeden Fall mehr.
"Die Mannschaft" muss eher heute als morgen abgeschafft werden
Was in der Analyse zu kurz kam: Gerade von den Führungsspielern hätte man mehr erwarten müssen. Sie haben schon die Spiele im Vorfeld der WM verbockt. Sie hätten sich zusammensetzen und überlegen müssen, wie sie den Karren gemeinsam aus dem Dreck ziehen. Ohne Trainer. Stattdessen waren immer andere schuld. Oder die Unterkunft. Aber die Spiele werden immer noch auf dem Platz gewonnen. Nicht im Hotel.
Ein Team gab es nicht – und den Begriff „Die Mannschaft“ sollte man daher lieber heute als morgen abschaffen. Das ist ein negativer Begriff. Denn es ist nicht „Die Mannschaft“. Das ist „Die Deutsche Nationalmannschaft“.
Unverständlich, wenn jemand in Zivil auf der Tribüne sitzt
Für eine „Mannschaft“ kann ich jede Woche spielen – auch in der Kreisliga. Es gibt knapp 25.000 Vereine in Deutschland mit mehr als vier Millionen Mitgliedern allein im Seniorenbereich. Nur 23 davon dürfen für die deutsche Nationalmannschaft spielen. Und genau dieses Bewusstsein ist verloren gegangen und verschenkt worden. Das ist das Wichtigste, das man im Herzen tragen muss. Jedes Kind träumt davon, einmal den Adler auf der Brust zu tragen. Wenn ich dieses Privileg genieße, dann sollte ich es auch zu schätzen wissen. Ich spiele dann für diese Kinder.
Und ich muss das als Nationalspieler auch nach außen tragen. Für mich ist es unverständlich, wenn jemand in Zivil auf der Tribüne sitzt, wenn er verletzt ist oder aus einem anderen Grund nicht auf dem Platz steht. Da muss ich doch mit Trainingsanzug und mit dem Adler auf der Brust zeigen: Ich gehöre zur deutschen Nationalmannschaft und wir sind ein Team.
Die Resultate dürfen keine Rolle spielen
Ich habe in den letzten Wochen mit Joachim Löw gesprochen. Worüber, das bleibt natürlich unter uns und gehört nicht einmal in meine Kolumne. Aber: Ich bin überzeugt, dass wir mit ihm und auch mit Oliver Bierhoff die Kurve bekommen – und das sogar unabhängig von den Ergebnissen gegen Frankreich und Peru. Das Resultat darf da keine Rolle spielen. Entscheidend ist, dass wir erkennen: Da gibt es eine neue Strategie und alle Spieler, die auf dem Platz stehen, wollen es wirklich und zerreißen sich für die Nationalmannschaft.
Aus meiner Sicht war es auch völlig richtig, mit Kehrer, Schulz und Havertz nur drei neue Spieler zu nominieren. Das war das Zeichen: Die Tür steht offen und sie wird sich noch weiter öffnen, wenn die Bundesligasaison voranschreitet und die Spieler die Chance bekommen, sich in der Champions- oder Europa League zu zeigen.
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Vor 20 Jahren war es ungleich schwerer
Das ist nämlich der große Unterschied zur WM 1998, als wir im Viertelfinale gegen die goldene Generation der Kroaten ausgeschieden waren. Damals gab es keine Nachwuchsakademien und dementsprechend keine Spieler, die ich anschließend hätte nominieren können. Elf Spieler waren nach der WM nicht mehr dabei. Ich musste damals ältere Spieler zurückholen, von denen wir uns schon verabschiedet hatten. Dann bin ich nach zwei Testspielen zurückgetreten. Das war ungleich schwerer als die Situation heute.
Deshalb sage ich: Löw wird die Trendwende schaffen, weil er das Spielermaterial hat. Wenn das Bemühen in diesen beiden Spielen zu sehen ist, dann hat die Nationalmannschaft in der Zusammensetzung eine Zukunft.
Anmerkung der Redaktion: DFB-Direktor Oliver Bierhoff hatte gestern in einem Interview mit der Funke Mediengruppe gesagt, dass er Berti Vogts gern in den neuen zehnköpfigen Beirat holen wolle – Berti Vogts wollte sich dazu zunächst nicht äußern, hat aber mittlerweile gegenüber "Sport Bild" erklärt, dass er dafür zur Verfügung steht: "Ich habe Ja gesagt, weil ich dem Fußball viel zu verdanken habe."