Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ottmar Hitzfeld "Klopp wird nach Deutschland zurückkehren"
Trainer-Legende Hitzfeld spricht im Interview über die Chancen der Bayern im Halbfinal-Rückpiel in Madrid
Er ist ein Stück Geschichte des FC Bayern: Ottmar Hitzfeld gewann in zwei Amtszeiten als Trainer (1998–2004, 2007/08) die Champions League, fünf deutsche Meisterschaften und drei DFB-Pokalsiege. Ähnlich erfolgreich in den letzten Jahren: Einzig Jupp Heynckes, der 2018 zum zweiten Mal das Triple mit den Bayern holen kann. Hitzfeld verfolgt seinen Ex-Verein noch immer genau.
Die t-online.de-Redakteure Florian Wichert und David-Emanuel Digili trafen den "General" im "Swissôtel Le Plaza" in Basel zum Interview. Vor dem Halbfinal-Rückspiel der Bayern in Madrid (morgen ab 20.30 Uhr im Liveticker bei t-online.de) spricht er über die Chancen des Rekordmeisters aufs Endspiel, ein "deutsches Finale" gegen Jürgen Klopp – und die Zukunft des ehemaligen BVB-Trainers. Hitzfeld ist überzeugt, dass Klopp zurück nach Deutschland kommt.
t-online.de: Herr Hitzfeld, ist es noch möglich, dass die Bayern das Champions-League-Finale erreichen?
Ottmar Hitzfeld (69): Aus meiner Sicht ist die Chance immer noch vorhanden. Die Bayern sind eine Mannschaft, die zu Hause und auswärts gleich stark ist und auch das Spiel in Madrid machen wird. Die Frage ist nur, ob sie dann effektiver ist.
Im Hinspiel war die Chancenverwertung eine Katastrophe.
Sie haben zu Hause gesündigt und hätten das 2:0 machen müssen. Dann wäre schon eine Vorentscheidung gefallen. So aber hat man einen Rückschlag erlitten, das 1:2 war fast eine logische Folge. Danach war die Mannschaft verunsichert und frustriert. Aber Jupp Heynckes wird die Mannschaft wieder aufrichten und wird sich daran erinnern, dass er auch schon in Madrid gewonnen hat.
Woran erinnern Sie sich selbst beim Gedanken an das Bernabéu-Stadion?
Ich hatte zwölf Spiele gegen Real – sechs zu Hause, sechs auswärts. Wir haben dort immer großartige Leistungen gebracht, mal 4:2 gewonnen. Ganz zum Schluss gab es ein 1:0 im Halbfinale. Danach haben wir die Champions League gewonnen. Das war ein gutes Omen. Real hat sicherlich großen Respekt vor Bayern München. Sie wissen, dass sie Glück hatten im Hinspiel und sich steigern müssen. Und wenn die Bayern das jetzt gewinnen, dann sind sie im Endspiel der Favorit.
Vermutlich gegen Liverpool mit Teammanager Jürgen Klopp – oder werden die im anderen Halbfinale noch aufzuhalten sein?
Nein. Jürgen Klopp hat Sensationelles geleistet. In der Champions League ist Liverpool über sich hinausgewachsen. Er hat die Mannschaft gepusht mit seinem Enthusiasmus. Gegen Manchester City weiterzukommen, das war eine kleine Sensation. Und dann dieser Sturmlauf gegen den AS Rom beim 5:2, das wird ihnen fürs Rückspiel reichen. Sie sind auch auswärts stärker, weil sie dann kontern können mit Mané, Salah und Firmino. Da wird nichts mehr anbrennen.
Klopp hat in seiner bisherigen Karriere fünf von sechs Endspielen verloren. Ist dieser "Finalfluch" eine Belastung?
Erst mal ist es eine großartige Leistung, überhaupt in ein Finale zu kommen. Aber man will natürlich auch mal gewinnen. Ich habe immer gesagt: "Lieber gar nicht erst ins Finale, wenn man nicht gewinnt" (lacht). Das war immer das Schlimmste, als Verlierer aus einem Finale hervorzugehen. Aber es wäre ihm wirklich zu gönnen. Jürgen Klopp hat dort endgültig den Durchbruch geschafft. Ich bin sogar überzeugt davon, dass er mit Liverpool eine Ära in Europa prägen wird. Dass er Titel holen kann, hat er schon in Dortmund bewiesen.
Was macht den FC Liverpool aus?
Sie stehen für Tempo, Tempodribblings, unglaubliche Schnelligkeit, für ein funktionierendes Umschaltspiel und Durchschlagskraft. Und dann haben sie natürlich einen Weltklassespieler mit Salah. Er könnte irgendwann mal Cristiano Ronaldo und Messi ablösen, wenn er in den nächsten Jahren die Leistungen aus dieser Saison bestätigen kann.
Klopp gegen Bayern wäre ein besonderes Finale. Sie selbst haben uns gegenüber mal betont, dass Sie davon ausgehen, dass Klopp einmal Bayern-Trainer wird ...
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass er das Rüstzeug hat, Bayern-Trainer zu sein – und dass er es auch wird. Ich glaube auch, dass er irgendwann Nationaltrainer wird. Er ist immer noch jung und er wäre der ideale Mann für beide Posten: Sympathieträger, Motivator – und er hat viel zur deutschen Fußballkultur beigetragen. Vielleicht wird er erst Bayern- und später Nationaltrainer – nachdem er noch drei, vier Jahre in Liverpool verbracht hat.
Nur ein Team aus den Top-10 der Klubs mit den höchsten Ausgaben 2017/18 hat es ins Champions-League-Halbfinale geschafft: Liverpool. Was heißt das für den Fußball?
Es zeigt, dass der FC Bayern auf dem richtigen Weg ist. Es ist die große Philosophie von Bayern München, dass man vernünftige Transfers macht, die wirtschaftlichen Aspekte akzeptiert und respektiert. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sind Meister im Wirtschaften. Man schreibt immer Gewinne und ist trotzdem an der Spitze. Das ist einmalig im Spitzensport und kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Was, wenn Sie tatsächlich das Triple holen – wäre das nicht eine brutale Bürde für Heynckes' Nachfolger Niko Kovac?
Ich glaube nicht, dass es eine Rolle spielt, ob Jupp Heynckes das Triple holt oder nicht. Er steht schon in den Annalen. Niko Kovac beginnt bei null. Es wäre nicht fair, ihn am Erfolg seines Vorgängers zu messen. Natürlich ist die Meisterschaft bei den Bayern jedes Jahr Pflicht, auch im Pokal hat man immer gute Chancen. Aber das Triple wird von der Bayern-Führung nicht erwartet. Ich weiß, wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge ticken, die sind bodenständig und bleiben realistisch.
Was werden die großen Aufgaben von Niko Kovac sein?
Wenn die Bayern die Champions League gewinnen oder Deutschland mit sechs Bayern-Spielern den Weltmeistertitel holt, dann ist die Erwartungshaltung natürlich riesig. Aber die Bayern-Spieler haben auch eine super Mentalität. Sie wissen genau: Was man erreicht hat, war gestern, und heute muss man wieder Leistung bringen. Das gehört auch zur Aufgabe eines Trainers bei Bayern München, darauf zu pochen.
Die Erwartungshaltung ist groß, aber die Spieler haben dann gerade ein hartes Turnier in den Knochen – wie soll das gut gehen?
In der ersten Saisonhälfte bei Bayern muss man hauptsächlich die Pflicht erfüllen. Das heißt: Man muss im Pokal weiterkommen, in der Bundesliga auf dem ersten Platz stehen, Herbstmeister werden, in der Champions League überwintern. Das ist das erste halbe Jahr bei den Bayern. Dann kann man an Titel denken. Und das ist die primäre Aufgabe für den Trainer: die Mannschaft zu vereinen, aber das ist Kovacs Stärke, das hat er gezeigt. Aber es gibt noch eine wichtige Aufgabe für Niko Kovac.
Welche?
Mit Ribéry und Robben den Umbruch einleiten. Sie sind nach wie vor Leistungsträger. Aber Gnabry kommt zurück, Coman ist schon da. Ribéry und Robben sind ehrgeizig und wollen es im vielleicht letzten Jahr ihrer Karriere noch mal wissen und spielen. Diese beiden Spieler am Ende ihrer Karrieren zu haben, ist sicher nicht so einfach. Eben da muss Niko den richtigen Draht finden, um ihnen klarzumachen, dass Rotation sehr wichtig ist.
Muss der FC Bayern seinen Kader verändern?
Ich glaube, dass die Bayern einen wichtigen Schritt gemacht haben mit der Verlängerung der Verträge von Ribéry und Robben. Man hat gezeigt, dass man weiter auf sie setzt. Da macht es dann keinen Sinn, einen Top-Einkauf zu tätigen auf diesen Positionen. Ansonsten ist Bayern offensiv sehr gut ausgerüstet mit Müller, mit Thiago, mit James. Auch im defensiven Mittelfeld haben sie mit Martinez, Vidal und Tolisso eine sehr große Auswahl.
Das heißt?
Der Bayern-Kader ist zur Zeit perfekt, deshalb brauchen sie keine Transfers tätigen. Sie sind überall überragend besetzt und haben auch eine unglaubliche Bank. Das spricht alles für einen sehr vernünftigen Aufbau des Kaders. Es ist auch sehr vernünftig, dass Gnabry jetzt zurückkommt, der ein riesiges Talent ist. Coman war leider verletzt, hat aber auch schon tolle Spiele gemacht. Goretzka ist fürs Mittelfeld gedacht, aber er wird auch Zeit brauchen, um sich durchzusetzen.
Was erwarten Sie von Serge Gnabry?
Es war richtig, ihn zu verleihen, damit er sich entwickeln und Spielpraxis bekommen kann. Er kann den Sprung absolut schaffen. Ich traue ihm zu, dass er die Überraschung der nächsten Saison wird.