Von "Mia-san-mia" zur Ich-AG Experte: FC Bayern hat ein Kommunikationsproblem
Das Interview führte Thomas Tamberg
Ilias Moschos ist Verhaltens-Kommunikationscoach. Der 47-Jährige ehemalige DFB-Stützpunkttrainer coacht und berät sowohl Sportler als auch Führungskräfte diverser Dax-Unternehmen. Der FC Bayern ist längst ein mittelständisches Unternehmen. Der Eklat um den zurückgetretenen Klub-Arzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt sei ein Paradebeispiel für eine nicht funktionierende Unternehmenskommunikation, sagt er.
t-online.de hat sich mit Moschos über die Parallelen zur Wirtschaft unterhalten sowie über die möglichen Auswirkungen der Geschehnisse für den FC Bayern.
t-online.de: Herr Moschos, was genau ist da beim FC Bayern schiefgelaufen, dass es zu so einem Eklat überhaupt kommen konnte?
Ilias Moschos: Der Start zwischen Pep Guardiola und Dr. Müller Wohlfahrt war wohl recht unglücklich. Die Abteilung Medizin, die jahrzehntelang erfolgreich funktionierte, lag im Verantwortungsbereich des Fachpersonals. Guardiola bringt seine eigenen Vorstellungen einer medizinischen Betreuung mit, die mit denen des Herrn Müller-Wohlfarth kollidierten. Es wurde offenbar von vorne herein versäumt, Verantwortlichkeiten zu definieren und Grenzen zu setzen.
Ein Vorgang, der Ihnen aus der Wirtschaft bekannt vorkommen dürfte.
Es handelt sich um ein Phänomen, welches vielen Unternehmen bekannt ist. Die neue Führungskraft möchte vieles umkrempeln, ändern, verbessern. Oftmals wird übersehen, dass es Bereiche gibt, die gut funktionieren. Eine alternative Vorgehensweise wäre es, zu schauen, welche Bereiche schon gut laufen und erfolgreich sind. Umso mehr Energie wird frei für die Felder, die einer Unterstützung und Optimierung bedürfen. Man sagt zwar "neue Besen kehren gut", jedoch kennt der alte Besen die Ecken besser. Da gilt die Regel: "Never change a winning team."
Was genau ist konkret falsch gelaufen? Normalerweise muss man doch fähig sein, eine für alle tragbare Lösung zu finden. Oder stand am Ende wieder einmal das eigene Ego im Weg?
Eine Antwort aus der Ferne und als Außenstehender ist hierzu schwierig, zumal nicht alle relevanten Fakten hierzu bekannt sind. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass in einer Konfliktsituation alle Beteiligten einen Teil der Verantwortung tragen. Beziehungen funktionieren nur, solange man getroffene Vereinbarungen auch einhält. Ein weiterer Punkt, der oftmals zu wenig Beachtung findet, ist, dass die schon erbrachte Leistung und der Einsatz derjenigen, die schon vorher da waren, nicht oder zu wenig anerkannt und gewürdigt werden.
Mit Bezug auf die Wirtschaft bedeutet das…
Ein Unternehmen ist sehr gut aufgestellt, wenn es klare und eindeutige Vereinbarungen trifft in Bezug auf Verantwortliche, Zuständigkeiten, Prozesse und Abläufe. So ist sichergestellt, dass jeder sein eigenes Hoheitsgebiet kennt und nicht als König im fremden Reich regieren möchte. Das Unternehmensziel bedarf einer klaren Definition und alle Aktivitäten sollten darauf ausgerichtet sein. Der Naturwissenschaftler August Pauly hat dazu einmal die Weisheit von sich gegeben: "Wenn mehrere Menschen etwas gemeinsam verrichten wollen, brauchen sie einen Willen. Hundert Willen geben nur ein Chaos. Mehrere Willen unter einen setzen, erzeugt Harmonie." Darauf beruht die Harmonie des Organischen.
Guardiola hat sich, kurzfristig betrachtet, durchgesetzt. Aber wird sich das auch langfristig für den FC Bayern lohnen?
Es gibt Situationen, in denen man auf den Sieg verzichten sollte, um zu gewinnen. Dr. Müller-Wohlfahrt hat sicher einen würdevolleren Abgang verdient. Die Art und Weise seines Abschieds könnte dem Image des FC Bayern schaden. Es wird sich in Zukunft zeigen, wie sehr dieser Konflikt im Verein präsent sein wird. Fakt ist, dass er jetzt schon hohe Wellen schlägt und das Schiff vom Kurs abkommen könnte. Eine anerkennende und wertschätzende Zusammenarbeit zwischen Guardiola und Dr. Müller-Wohlfahrt hätte für alle Beteiligten größere Erfolgsaussichten. Mika Häkkinen hat einmal gesagt: "Du gewinnst nie allein. Am Tag, an dem du was anderes glaubst, fängst du an zu verlieren." Auch in besagter Situation gibt es mehr Verlierer als Gewinner.
Hat der FC Bayern ein Führungsproblem?
Ich möchte folgende Hypothese in den Raum stellen. Unter der Führung von Uli Hoeneß hätte die Thematik einen anderen Verlauf genommen. Hoeneß zeigt eine eher altruistische, also eine uneigennützige Vorgehensweise, was den FC Bayern betrifft. Das sogenannte "Mia-san-mia", was den FC Bayern auch zu dem gemacht hat, was er heute ist, wurde bislang mit jeder Faser gelebt. Heute ähnelt die Vorgehensweise eher einer Ich-AG, in der persönliche Befindlichkeitsstörungen über dem Wohl des Vereins stehen. Das kann man als Führungsproblem benennen.
Was bedeutet das für den gesamten Verein und speziell für die Mannschaft?
Ein aufkommender Loyalitätskonflikt kann bei den Spielern für Irritationen sorgen. Es entsteht eine unangenehme Situation für alle Betroffenen. Ein langjähriger Mitarbeiter wie Dr. Müller-Wohlfahrt, der das Vertrauen uneingeschränkt genießt, verlässt das Unternehmen, in dem Falle den FC Bayern. Eine tiefe, vertrauensvolle Verbindung zwischen Spielern und Arzt hat für den Moment ein unrühmliches Ende gefunden. Das wird bei einigen Spielern für Beschäftigung sorgen.
Und welche Folgen können auf den Verein zukommen?
Stellen Sie sich bitte mal ein Gebäude vor, an dem tragende Säulen bröckeln. Es wird destabilisiert. Soll der Einsturz vermieden werden, ist man zum Handeln gezwungen. Jede Säule hat eine Funktion, die dann nicht zum Tragen kommt. Im konkreten Fall profitierte der Verein von einer professionell aufgestellten Medizinabteilung. Die ist erst einmal weggebrochen. Die Herausforderung besteht jetzt darin, in einem kleinen Zeitfenster diese Vakanz adäquat zu besetzen. Herr Müller-Wohlfahrt und sein Team haben durch den Austritt im selben Augenblick auch den gesamten Erfahrungsschatz rausgezogen.
Über die Zukunft Guardiolas wird viel spekuliert. Beeinflusst dieser Eklat seine Verweildauer beim FC Bayern?
Es ist hinlänglich bekannt, dass Bekenntnisse im Profifußball sehr schnell Ihre Bedeutung verlieren. Wenn die gesteckten Ziele nicht erreicht werden und der Erfolg ausbleibt, kann eine temporäre taktische Amnesie zu vorher abgegebenen Äußerungen erfolgen. Sollte der FC Bayern das Rückspiel gegen Porto und auch das Pokal-Halbfinale gegen Borussia Dortmund verlieren, steht Pep Guardiola massiv unter Druck. Dann könnte die Tatsache, dass er in vielen Belangen das Geschehen diktieren wollte, zum Bumerang werden und er müsste für seine Entscheidungen gerade stehen.