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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vor dem Topspiel Was für den BVB nicht ratsam wäre
Vor dem Topspiel zwischen dem BVB und den Bayern stellt sich für den BVB die Taktikfrage. Sollte Dortmunds Trainer Edin Terzic auf totale Defensive setzen?
Angesichts der jüngsten Resultate geht Borussia Dortmund einmal mehr als Außenseiter ins Prestigeduell mit Bayern München. Der Rekordmeister hat seine September-Krise überwunden, während der BVB zumindest in der Bundesliga deutlich zu viele Gegentore zulässt. Die kurzsichtige Reaktion auf die defensiven Probleme der Schwarz-Gelben wäre eine Mauertaktik im Aufeinandertreffen mit dem in der jüngeren Vergangenheit meist überlegenen FC Bayern. Allerdings gibt es einige Argumente, die dagegensprechen.
Doch zunächst zur Dortmunder Defensive generell: Der BVB hatte in dieser Bundesligasaison bislang ein wenig Pech, was die Gegentore betrifft. Der Expected-Goals-Wert liegt bei 8,8 – die reale Anzahl an Gegentreffern bei 10. Nichtsdestotrotz lassen sich in einigen Partien erhebliche Defensivlücken erkennen. Beispiele sind allen voran die Niederlagen gegen Werder Bremen und jüngst gegen den 1. FC Köln. Dortmund ist gerade dann verwundbar, wenn sich die Mannschaft zurückzieht und ohne frühzeitiges (Vor-)Pressing verteidigt. Die einfachen Raumgewinne des Gegners setzen die Abwehrkette und das davorstehende Mittelfeldzentrum automatisch unter Druck.
Keine guten Strafraumverteidiger in Schwarz-Gelb
Auch rein personell wäre es für BVB-Trainer Edin Terzic nicht ratsam, sein Team zu tief zu positionieren und auf eine stabile Endverteidigung zu hoffen. Eine mögliche Viererkette am Samstagabend könnte aus Niklas Süle, Nico Schlotterbeck, Thomas Meunier und Raphaël Guerreiro bestehen. Die drei Letztgenannten sind keine guten Endverteidiger und verteidigen viel lieber progressiv nach vorn. Eins-gegen-Eins-Duelle bei gleichzeitiger Rückwärtsbewegung könnten zu einem defensiven Desaster führen.
Zudem konnte BVB-Schlussmann Alexander Meyer bei allem Lob an seinen fußballerischen Fähigkeiten als Schussstopper noch nicht überzeugen. Der Wert der Post-Shot Expected Goals (PSxG), der analysiert, inwieweit ein Torhüter Schüsse parieren oder nicht parieren sollte, spricht dem BVB momentan kein gutes Zeugnis aus. Die Schwarz-Gelben liegen hinsichtlich der Relation zwischen PSxG und realen Gegentoren bei einem Minuswert von 2,9. Topkeeper wie Manuel Neuer und Yann Sommer sowie formstarke Schlussmänner wie Rafał Gikiewicz sind dagegen deutlich im positiven Bereich.
Dortmund hat Pressingspezialisten
Der BVB muss sich – wie jede Fußballmannschaft – auf seine Stärken konzentrieren und das auch ein Stück weit unabhängig von der Ausstrahlungskraft des Gegners. Die Dortmunder sind dann erfolgreich, wenn sie frühzeitig den Verteidigungsdruck hochhalten. Die Erfolgsquote bei sogenannten Druckaktionen ist die zweithöchste aller 18 Bundesligisten. Zudem sind Jude Bellingham, Julian Brandt oder Karim Adeyemi intelligente Pressingspieler, die genau wissen, wie sie einen gegnerischen Aufbau richtig anzulaufen haben.
Bei der konkreten Ausgestaltung des Pressings ist der jeweilige Gegner und dessen Spielweise wiederum von Bedeutung. Die Bayern taten sich im September gegen so manches Team schwer, wobei vor allem Union Berlin eine gezielte Pressingtaktik nutzte, um den zuvor von Bayern-Coach Julian Nagelsmann konzipierten Spielaufbau zu neutralisieren. Obwohl die Bayern meist stark über die Flügel wirken, werden Außenbahnangriffe häufig über die Mitte vorbereitet. Der von vielen Trainern verschmähte Longline-Pass über die Flügel ist für Bayern oft ebenfalls kein probates Mittel. Stattdessen erfolgen die ersten Vorwärtspässe in der Regel von den Verteidigern rein ins zentrale oder offensive Mittelfeld, um von dort aus mit Ablagen und kurzen Verlagerungspässen die Angriffe einzuleiten beziehungsweise zu beschleunigen.
Union als defensive Schablone
Union Berlin lief deshalb nicht wie viele Pressingteams klassisch von außen an, um das Offensivspiel der Bayern vermeintlich einzuengen, in Wirklichkeit aber den auf das Zentrum fokussierten Angriffen des Rekordmeisters entgegenzukommen. Die Berliner blockierten vielmehr die innen liegenden Passwege und trieben die Bayern schnell nach außen, wo Kingsley Coman und Co. natürlich Eins-gegen-Eins-Duelle bestreiten konnten, dies jedoch weit entfernt vom Union-Strafraum taten.
Der BVB muss die Berliner Herangehensweise zumindest hinsichtlich der Defensive als eine Art Schablone betrachten und daraus zugleich weitere Motivation schöpfen, eben keine metaphorische Mauer nahe dem eigenen Tor zu errichten. Gute Maurer sind die Dortmunder nicht einmal gegen Mittelfeldteams der Liga. Gegen Bayern würde eine zurückhaltende Herangehensweise ins Auge gehen – und sie würde zudem diesem weiterhin mit viel Aufmerksamkeit bedachten Topspiel der Bundesliga nicht gerecht.
- Eigene Beobachtungen