Walter weg – kommt nun Baumgart? Scheitern in Dauerschleife
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tim Walter ist Geschichte, ein neuer Trainer muss den HSV zum Aufstieg führen. Dabei ist es eigentlich grotesk, dass der Klub immer noch ein Zweitligist ist.
Am frühen Montagmorgen berichtete zunächst der Pay-TV-Sender Sky über die Trennung, um kurz nach neun Uhr machte es der HSV dann offiziell: Tim Walter ist nicht mehr Trainer des Hamburger Sport-Vereins.
"Der Nächste, bitte", heißt es damit an der Elbe, wobei man dem Klub zumindest attestieren muss, in den vergangenen Jahren nicht mit großem Aktionismus auf der Trainerposition aufgefallen zu sein.
2,5 Jahre war Tim Walter bei den Hamburgern an der Seitenlinie verantwortlich. So lange wie kein anderer Coach vor ihm in der 2. Liga. 956 Tage, um genau zu sein. Noch länger war zuletzt nur Frank Pagelsdorf zur Jahrtausendwende (1.539 Tage) bei den Rothosen im Amt gewesen.
Es ist eine Statistik, die offenbart, dass der einstige Bundesliga-Dino um Kontinuität bemüht war. Weder Christian Titz noch Hannes Wolf, Dieter Hecking oder Daniel Thioune durften länger als ein Jahr beim HSV coachen. Und sie alle wurden Tabellenvierter – beziehungsweise kurz vor Saisonende entlassen.
Umdenken bei Boldt
Verglichen mit seinen Vorgängern kann Tim Walter eigentlich auf eine erfolgreiche Zeit zurückblicken. Zweimal erreichte er den dritten Platz, zweimal scheiterte man erst in der Relegation (2022 an der Hertha, 2023 am VfB Stuttgart).
Und auch in dieser Spielzeit ist der HSV als derzeit Tabellendritter voll im Aufstiegsrennen mit dabei. Allein, die jüngste Entwicklung bewegte Vorstand Jonas Boldt, der bis zuletzt an Walter festgehalten hatte, zum Umdenken. Zudem polarisierte der gebürtige Bruchsaler (Baden-Württemberg) immer wieder mit seiner Art, sei es mit forschen Sprüchen ("Ich schaue keine 2. Liga") oder seinem zuweilen aufbrausenden Coaching an der Seitenlinie.
Blickt man auf die Formtabelle, so ist die Entlassung Walters ein logischer Schritt. In den vergangenen sieben Ligaspielen kassierte der HSV bei drei Siegen drei Niederlagen, spielte einmal unentschieden – ergibt Platz 10 im Liga-Durchschnitt und damit absolutes Mittelmaß. Zwar konnte die eklatante Auswärtsschwäche der Hinrunde mit zuletzt drei Siegen (in Nürnberg, auf Schalke, in Berlin) abgestellt werden. Stattdessen gingen nun aber die letzten drei Heimspiele (Paderborn, Karlsruhe, Hannover) allesamt verloren – und das nach einer zuvor makellosen Bilanz von sieben Siegen in sieben Heimspielen.
Der HSV mutierte zur Wundertüte. Die Abwehr kassierte in vier Rückrundenspielen satte 12 Gegentore, eine eines potenziellen Aufsteigers unwürdige Bilanz. Die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Offensive und Defensive, sie bleibt eine ergebnislose – zumindest für Tim Walter. Er ist, wie all seine Vorgänger, schlussendlich gescheitert. Dass es dem HSV trotz deutlich verbessertem Kader samt Neuzugängen und gebliebenen Eckpfeilern der vergangenen Saison nicht gelungen ist, Stabilität in sein Spiel zu bekommen, ist ein Malus, den sich Walter ankreiden lassen muss.
HSV mit dem teuersten Kader der Liga
Zudem mutet es grotesk an, wie der HSV Jahr für Jahr als vermeintlicher Topfavorit den Aufstieg verspielt. Köln, Paderborn, Union Berlin, Bielefeld, Stuttgart, Heidenheim, Bochum, Fürth, Kiel, Schalke, Bremen und Darmstadt hießen die Vereine, die seit der Saison 2018/2019 vor den Hamburgern landeten. Bis auf wenige Ausnahmen war der Nordklub in den vergangenen Jahren die Mannschaft mit dem größten Marktwert der 2. Bundesliga.
Auch vor Beginn der laufenden Saison stellten die Hamburger mit einem Wert von rund 46 Millionen Euro den teuersten Kader der Liga – noch vor den Absteigern aus Berlin und Gelsenkirchen. Und dennoch scheinen auch in dieser Spielzeit, aktuell St. Pauli und Holstein Kiel, zwei andere Teams die Nase vorne zu haben.
Die Hamburger spielten in den vergangenen Jahren eine überaus solide Hinrunde, nur um im Frühjahr den Aufstieg doch noch zu verspielen. Nun scheint die Angst groß zu sein, dass das Scheitern in Dauerschleife weitergeht.
Potenzielle neue Trainer auf dem Markt gibt es einige. Der am heißesten gehandelte: Steffen Baumgart, zuletzt wegen Erfolglosigkeit beim 1. FC Köln entlassen. Der 52-Jährige braucht nach eigenen Angaben keine Auszeit, wäre bereit, einen neuen Trainerjob zu übernehmen. Und: Bereits vor Tim Walters Übernahme in Hamburg im Sommer 2021 soll Baumgart ein Kandidat bei den Hanseaten gewesen sein, unterschrieb dann aber in Köln.
Bis zum Sonntagabend soll es noch keine Kontaktaufnahme zwischen Baumgart und HSV-Vorstand Jonas Boldt gegeben haben. Der wird sich nun am Erfolg des kommenden Trainers messen lassen müssen. Seit Sommer 2019 leitet der 42-Jährige beim HSV die Geschicke. Keiner "seiner" Trainer (Hecking, Thioune, Walter) schaffte den Aufstieg. Sollte auch die nächste Patrone nicht sitzen, dürfte Boldt verstärkt in die Schusslinie seiner Kritiker geraten.
- Eigene Recherche
- Statistiken bei transfermarkt.de
- Tabellen der vergangenen sechs Jahre bei kicker.de