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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Große Geste Wie eine ganze Stadt an Heiligabend Einsamen hilft
Alleinsein an Heiligabend ist in Wuppertal nicht nötig. Denn in der Stadthalle findet jährlich eine ganz besondere Veranstaltung statt, die auch einsamen Herzen einen schönen Abend beschert. t-online.de-Autor Thomas Besche berichtet.
Wie viele Menschen in Wuppertal freuen sich auch Rosemarie und Hans Bergmann auf Weihnachten. Bei dem Barmer Ehepaar stehen aber nicht das weihnachtlich geschmückte Wohnzimmer oder der Festtagsbraten im Mittelpunkt. Wichtiger ist ihnen, wieder in eine andere Welt eintauchen zu dürfen. Die finden die beiden Senioren jenseits der 80 am Heiligen Abend in der Wuppertaler Stadthalle. Bei der Feier für Einsame und Alleinstehende werden erneut über 600 Menschen für ein "ausverkauftes" Haus sorgen. Eine Veranstaltung, die aufgrund ihrer Größe nach Angaben der Organisatoren von Caritas, Diakonie und Christlichem Verein junger Menschen (CVJM) so gut wie einmalig in Deutschland ist. Seit 1975 findet sie in der Stadthalle statt. Die Ursprungsidee entstand 1948 beim CVJM für Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge.
Die "andere Welt" besteht für Rosemarie Bergmann aus der Spannung, welchen Menschen sie an diesem Abend begegnen wird. Zusammen mit ihrem Mann gehört sie zu den über 100 ehrenamtlichen Helfern, die die Veranstaltung möglich machen. Während der Gatte dem engeren fünfköpfigen Organisationsteam angehört und dort einspringt, wo es klemmt, tritt seine Frau als "Gastgeberin" auf. Als solche betreut sie an einem Abschnitt der festlich gedeckten Tischreihen bis zu 24 Gäste, ist nicht nur als Bedienung im Einsatz, sondern hilft auch beim Gang zur Toilette, dient vor allem als Ansprechpartnerin, spendet hier und da auch Trost und schlichtet auch schon mal aufkommenden Zank.
"Als die Kinder aus dem Haus waren, haben wir 2001 angefangen, Heiligabend in der Stadthalle zu helfen. Es ist eine wunderbare Sache mit Menschen zusammenzukommen, die man sonst nie kennenl ernen würde, ein ganz gemischtes Publikum", sagt Rosemarie Bergmann. Mancher Gast freue sich wie ein Kind auf den Abend. Im Gegenzug hat die Tischdame Spaß, wenn ihr ein bis dato unbekannter "Heinz" einfach mal das Du anbietet. Dann lässt es sich schon viel entspannter über manche Alltagssorgen und Gefühle plaudern – gerade an Weihnachten.
Gutes Essen und viel Programm
Eintritt zum Saal erhalten getreu dem Motto der Veranstaltung ausschließlich unbegleitete Menschen ab 18 Jahren, die den emotional sensiblen Heiligen Abend lieber in Gemeinschaft verbringen möchten. Meist sind es Ältere, Ärmere und Obdachlose, die ab 18 Uhr an den Tischen Platz nehmen. Zuvor haben sie für eher symbolische drei Euro eine Eintrittskarte im Vorverkauf (zum Beispiel beim Caritasverband an der Laurentiusstraße 7, oder der Diakonie am Hofkamp 63) oder an der Abendkasse erstanden. Laut den Veranstaltern entspricht jeder Platz einem Wert von knapp 25 Euro. Denn den Gästen wird bis 23 Uhr einiges geboten.
- Tagesanbruch: So einfach kann jeder etwas richtig Gutes tun
"Viele sind hungrig und freuen sich zunächst einmal auf die warme Gulaschsuppe gleich zu Beginn", sagt Sabine Probach, die wie Hans Bergmann schon seit vielen Jahren ehrenamtlich zum Organisationsteam gehört. Es folgen später Nudelsalat, kaltes Hähnchenschnitzel und ein Nachtisch. Zu trinken gibt es Kaffee, Tee, Wasser oder Saft, aber keinen Alkohol. Zudem erhält jeder Gast einen Weihnachtsteller mit Gebäck, Schokolade und Obst sowie eine Weihnachtstüte zum Mitnehmen. Dabei achten die zahlreichen Helfer schon bei den morgendlichen Vorbereitungen darauf, dass alle Teller und Tüten gleich bestückt sind. Schließlich soll keiner zu kurz kommen.
Neben kulinarischen Genüssen gibt es auch ein Bühnenprogramm, diesmal unter anderem eine Einrad-Show, Kindertanz, Country- und Western-Musik und Jonglage. Durch den Abend führen im Jahreswechsel Diakonie und Caritas Wuppertal. Diesmal moderieren Diakonie-Direktor Martin Hamburger und Veronika Wimmer. Mit Stephan Kassel sitzt auch schon eine seit Jahren feste Größe an der Stadthallen-Orgel und sorgt für die musikalische Begleitung zu den von allen gesungenen Weihnachtsliedern. Alle Künstler treten ohne Gage auf, für die Leckereien gibt es Sponsoren. "Dennoch sind wir auf Spenden angewiesen, um die Veranstaltung zu stemmen", sagt Probach.
So bunt wie das Publikum sind auch die Ehrenamtler. Vom Professor bis zum Arbeitslosen reicht die Spanne. Wie das Ehepaar Bergmann wollen auch sie helfen, den Heiligen Abend für Einsame nett zu gestalten, etwas Gutes tun. "Ob das aus christlicher Motivation heraus geschieht, weiß ich nicht. Aber es gibt auch Leute, die lieber in der Stadthalle helfen, als zu Hause im Familienkreis vor dem Weihnachtsbaum zu hocken", sagt Probach. Immer mehr jüngere Menschen würden sich entscheiden, so den Heiligen Abend zu verbringen. Was sie ernten, ist meistens Dankbarkeit. Mancher Meckerer sei darunter, sicher. Aber der Großteil sei zufrieden, strahlende Augen sind der Beweis, so Probach.
"Wunder von Wuppertal"
Eines ihrer beeindruckendsten Stadthallen-Erlebnisse liegt noch gar nicht so lange zurück. "2015 stand am Vormittag plötzlich ein syrischer Flüchtling vor uns. Eine Dame vom Amt hatte ihm einen Zettel geschrieben: '24.12., 9 Uhr, Stadthalle'. Er fühlte sich einsam und wollte helfen. Auch als Moslem ist er dann abends zur Feier gekommen. Wir haben Kontakt gehalten und inzwischen ist er Mitarbeiter bei einem Flüchtlingsprojekt der CVJM. Auch als Helfer in der Stadthalle ist er natürlich immer dabei", sagt Probach.
Das Besondere an Weihnachten in der Stadthalle sei eben das Zusammenkommen unterschiedlichster Menschen. Dazu gehört auch das "Wunder von Wuppertal": Denn wenn pünktlich um 23 Uhr die Feier endet, warten an der Stadthalle schon viele Wuppertaler in ihren Wagen, um die Gäste nach Hause zu bringen. Dazu wird zwar immer wieder vorher aufgerufen, doch dieser Service sei ein Selbstläufer, so Probach.
Egal bei welchem Wetter – keiner muss Sorge haben, nicht trockenen Fußes nach Hause zu kommen. Um 23.30 Uhr sei kein Gast mehr zu sehen. "Das bedeutet also, dass mancher beim heimischen Weihnachtsabendessen vielleicht auf das zweite Glas Rotwein verzichtet hat, um diesen Fahrservice zu erbringen", sagt Probach und betont: "Auf diese Veranstaltung kann Wuppertal wirklich stolz sein."
- Eigene Recherche