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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Da blickt doch niemand mehr durch" Von Stuttgart zum Bodensee: Fahrt mit Deutschlands einzigem 9-Euro-Intercity
Das ist einmalig in ganz Deutschland: Auf der Strecke von Stuttgart Richtung Konstanz können Bahnfahrer das 9-Euro-Ticket ganz regulär auch im IC nutzen. Die Reisenden finden das super – doch die Mitarbeiter sind vor allem beunruhigt.
Angekommen am Stuttgarter Hauptbahnhof. Es ist 9.05 Uhr und das 9-Euro-Ticket ist somit ziemlich genau neun Stunden alt. An Gleis Zwei wartet er schon, der IC 2383 Richtung Singen (Hohentwiel) in der Bodenseeregion. Diese Intercity-Verbindung ist auch mit dem 9-Euro-Ticket nutzbar – als einzige im ganzen Land.
Beim Einsteigen treffe ich auf zwei Mitarbeiter der Deutschen Bahn, einen Zugbegleiter und eine Servicemitarbeiterin. Noch sei es im IC sehr ruhig, sagen die beiden, "aber auf den Regionalbahnen ist schon jetzt sehr viel mehr los", ergänzen sie und weisen mit einer Kopfbewegung Richtung Gleis Eins, wo gerade eine solche Regionalbahn einfährt. Ihre Namen dürfen und wollen sie nicht nennen – das sei so vorgegeben.
Stuttgart: Strecke Richtung Konstanz am Wochenende sehr voll
Schon in wenigen Stunden dürfte die Auslastung deutlich zunehmen, vermuten sie. Mit Blick auf das Wochenende haben beide Sorgen, dass es extrem voll werden könnte. "Dann ist die Bahn sowieso schon immer sehr voll", sagen sie. Jetzt kämen noch der Feiertag und die Pfingstferien dazu. "Das wird extrem", sind sie sicher.
Noch ist im Zug jedoch nur wenig los – es herrscht quasi freie Platzwahl. Ich schaue mich in allen Abteilen um, suche vor allem nach Fahrrädern. Für diese gibt es in allen Abteilen zusammengenommen nur neun Plätze. Wer also mit dem Rad zum Bodensee fahren möchte, muss vorher telefonisch einen Platz reservieren.
Junges Paar aus Waiblingen fährt extra unter der Woche
Beim Gang durch die Waggons fällt mir ein junges Paar mit Fahrradschuhen auf. Und tatsächlich nutzen die beiden das 9-Euro-Ticket gleich für einen Radausflug: Bis Rottweil fahren Jonas Allgaier und seine Freundin Jennifer Mann mit dem Zug und anschließend den Neckar entlang mit dem Rad zurück. "Wir haben gestern Abend entschieden, dass wir das machen wollen, und dann auch gleich die Plätze für die Fahrräder reserviert", verrät Allgaier. "Wir wollten auch extra unter der Woche fahren, weil wir befürchten, dass es am Wochenende extrem voll wird", ergänzt der 30-Jährige.
Das Angebot findet das Paar gut, wenngleich sie beide Jahreskarten haben, die ihnen jeweils ihr Arbeitgeber bezahlt. "Von daher ist es uns völlig wurscht", sagt er. Für Tagesausflüge etc. sei es jedoch eine tolle Alternative zum Auto.
"Wir haben auch überlegt, nächste Woche mit der Bahn zum Wanderurlaub ins Allgäu zu fahren", erzählt Jennifer Mann. Allerdings sei das dann aufgrund der Bauarbeiten auf der Strecke rund um Ulm doch nicht attraktiv genug für die beiden gewesen. Ohne das 9-Euro-Ticket hätten sie aber nicht einmal nach Bahnverbindungen geschaut, bestätigt die 28-Jährige den von der Bundesregierung gewünschten Effekt des Angebots.
Verwirrung bei Reisenden am Bahnsteig
Rund 40 Minuten bin ich nun schon mit dem Intercity Richtung Singen gefahren. Ich verabschiede mich von den beiden Waiblingern und wünsche viel Spaß für ihre 50-Kilometer-Radtour. In Herrenberg steige ich aus, um wieder zurück Richtung Stuttgart zu fahren.
In 15 Minuten soll der IC 2288 an Gleis Eins in die entgegengesetzte Richtung abfahren. Ein Mann spricht mich an, ob das 9-Euro-Ticket denn auch für den IC gelte. Ich nicke und erkläre ihm, dass das der einzige IC in ganz Deutschland sei, bei dem das so ist. Er freut sich über die Auskunft, schüttelt aber gleich mit dem Kopf und bruddelt vor sich hin: "Da blickt doch niemand mehr durch. Also entweder, es gilt für alles, oder gar nicht."
Der Zug fährt ein, und schon beim Einsteigen bemerke ich, dass dieser IC viel voller ist als der erste. Teilweise stehen die Leute in den Gängen, weil alle Sitzplätze schon belegt sind. Erst in den hinteren Waggons wird es etwas leerer.
Zugführer rechnet mit Verlagerung vom Fern- zum Nahverkehr
Auf meinem Weg durch den Zug treffe ich den Zugführer. Auch sein Name darf leider nicht genannt werden. Er bestätigt aber meinen ersten Eindruck: Rund 60 Prozent voller als sonst sei der Zug. "Ich habe aktuell 164 Reisende in der zweiten Klasse und zwölf in der ersten", berichtet er. Normal seien um die Zeit – es ist 10.15 Uhr – rund 100 Kunden.
Von Überfüllung könne dennoch keine Rede sein: 398 Sitzplätze hat der Zug in der zweiten Klasse, 70 in der ersten. Ich solle mir das am Wochenende noch einmal anschauen, verrät er. "Dann wird es garantiert extrem voll." Er sei dann nicht auf dieser Strecke im Dienst – "Zum Glück". Die Kollegen, die es stattdessen sind, beneide er nicht.
Insgesamt rechnet er damit, dass sich viel von der Auslastung im Fernverkehr auf den Nahverkehr verlagert. Etwa auf den Strecken zwischen Stuttgart und München oder Heidelberg. Das seien Strecken, die auch mit dem Regionalexpress gut erreichbar sind. "Neun Euro sind da fast geschenkt – vor allem neun Euro im Monat."
Bahnangestellte wollen schlechte Erfahrungen vermeiden
Das Angebot finde er dennoch gut, allerdings hofft er, so wie viele seiner Kollegen aus den Gesprächen zuvor, dass die negativen Effekte die positiven nicht überwiegen. "Wenn die Kunden schlechte Erfahrungen machen, sind sie in ihren Entscheidungen, nur Auto zu fahren, am Ende noch bestätigt", bringt er es auf den Punkt.
Die Bahnmitarbeiter wollen jedoch ihr Bestes geben, damit es nicht so kommt. Etwa indem sie besonders freundlich sind. Auch oder gerade dann, wenn es so voll wird, wie viele befürchten.
- Recherche vor Ort in den Intercitys 2383 und 2288