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Stuttgart: Stadt schießt mit Sperrung der Freitreppe ein Eigentor


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Sperrung der Freitreppe
Die Stadt schießt sich ein Eigentor

MeinungVon Tilman Baur

14.06.2021Lesedauer: 3 Min.
Menschen sitzen tagsüber auf dem Schloßplatz und der Freitreppe: Seit der nächtlichen Sperrung der Treppe treffen sich die Menschen an anderen Orten.Vergrößern des Bildes
Menschen sitzen tagsüber auf dem Schloßplatz und der Freitreppe: Seit der nächtlichen Sperrung der Treppe treffen sich die Menschen an anderen Orten. (Quelle: Arnulf Hettrich/imago-images-bilder)
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Weil sich Stuttgart nicht die Blöße einer neuen Krawallnacht geben wollte, sperrte man symbolträchtig die Freitreppe am Schlossplatz. Das entpuppt sich nun als Eigentor: Denn das Partyvolk zieht einfach weiter.

Nach Flaschenwürfen auf die Polizei hat die Stadt Anfang Juni die beliebte Freitreppe auf dem Stuttgarter Schlossplatz gesperrt. Wie sich zwei Wochen später zeigt, hat sie damit das Problem nur verlagert. "Das neue Konzept der Polizei verdrängt die Szene aus der Innenstadt in die Wohnbereiche. Der Schutz der Schaufenster scheint also wichtiger zu sein als die Sicherheit und Gesundheit der Bewohner!", klagt Burkhard Schormann (Name geändert) gegenüber t-online.

Schormann wohnt direkt am Feuersee im Stuttgarter Westen. Die Umgebung des an der malerischen Johanneskirche gelegenen Stadtsees wurde in den vergangenen Jahren schrittweise verschönert, eine Freitreppe an der Südpromenade und breite Wege an den Seiten ziehen viele Besucher an und verbreiten mediterranes Flair. Abends ist der Feuersee nun Weggeh-Hotspot. Die Corona-bedingt geschlossenen Bars und Clubs haben das Phänomen verstärkt. Hunderte Jugendliche und junge Erwachsene tummeln sich hier am Wochenende, feiern, trinken, hören laute Musik.

Die Sperrung der Freitreppe und die erhöhte Präsenz der Polizei im Schaufenster Stuttgarts, dem Schlossplatz, hat die jungen Leute nun in die Bezirke verdrängt, wo ihr Treiben Konflikte mit Anwohnern schafft. Ein weiterer Anwohner berichtet gegenüber t-online, dass Jugendliche am Wochenende sein Fenster mit einer Schnapsflasche eingeworfen hätten. Andere Feuersee-Anrainer berichten, sie könnten nicht schlafen, fühlten sich dem Mob schutzlos ausgeliefert. Die Ordnungsmacht scheint hilflos, Polizeibeamte verhalten sich passiv.

Auch am Max-Eyth-See im Außenbezirk Mühlhausen ging es am Wochenende hoch her. Hunderte Jugendliche versammelten sich auf den Wiesen rund um den See. Weil es keine Sachbeschädigungen, sondern nur Ruhestörungen gab, löste die Polizei die Veranstaltung aber nicht auf. Man nehme einen Verdrängungseffekt aus der Stadt zur Kenntnis, sagte eine Sprecherin gegenüber der "Stuttgarter Zeitung". Auch sie sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Sperrung der Freitreppe und den Massenversammlungen an Plätzen, die gewöhnlich nicht als Hotspots bekannt sind.

Am Wochenende platzt Stuttgart aus allen Nähten

Eine Sprecherin der Stadt bestätigt gegenüber t-online diese Bewertung. Die angespannte Lage an Orten wie dem Feuersee sei unter anderem der Verlagerung hinaus aus der Innenstadt geschuldet. Dazu kämen die Öffnungen nach dem Lockdown. Auch das ist nicht von der Hand zu weisen. Am Wochenende platzte Stuttgart aus allen Nähten. Polizei und Frequenzmessungen registrierten eine ungewöhnlich hohe Besucherzahl. Die positiven Schwingungen der wiedergewonnenen Freiheiten sind in der ganzen Stadt spürbar, gehen aber mit vielen Belastungen einher.

So weitet sich auch das Müllproblem wieder aus. Zwar hat die Stadt bereits unter Ex-Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) ihre Putzaktivitäten stark ausgeweitet und eine millionenschwere Aufklärungskampagne lanciert. Doch vor allem an den Hotspots hat sich die Lage verschlimmert. Die Schildkröten im Feuersee stoßen beim Auftauchen oft auf eine Decke aus Plastiktüten, die Nilgänse schwimmen im Parcours um Bierflaschen herum.

Sperrung verlagert Probleme

In Anbetracht der derzeitigen Lage wirkt die Sperrung der Freitreppe also wie eine Kurzschlussreaktion, die allerlei ungeahnte Effekte mit sich bringt. Den zumeist jungen Leuten kann man insofern nur bedingt einen Vorwurf machen. Die überwiegende Mehrheit verhält sich friedlich, ist aber in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt, weil die Clubs noch geschlossen sind. Kein Wunder also, dass es sich gleich bemerkbar macht, wenn selbst überschaubare Freiräume für Jugendliche wie eben die Freitreppe am Schlossplatz nicht mehr zur Verfügung stehen.

Und genauso wenig kann es verwundern, dass am Freitag die Teilnehmer von gleich zwei Demonstrationen ihrem Ärger über diese Einschränkungen Luft machten – wohlgemerkt friedlich – im Fall der zweiten Demo direkt vor der Freitreppe. Die eine unter dem Banner "Sinnvolle Pandemiebekämpfung jetzt – Wirtschaftslockdown statt Freizeitlockdown", die andere mit dem Motto "Schluss mit Symbolpolitik und Überwachung – Für solidarische Pandemiebekämpfung!"

Nach zwei Wochen Sperrung der Freitreppe steht fest: Zu einer weiteren Eskalation ist es zwar nicht gekommen. Der Preis für diesen vermeintlichen Erfolg ist aber hoch. Denn die Karawane ist weitergezogen – eskaliert wird in Stuttgart nun eben anderswo.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Anwohnern des Feuersees in Stuttgart-West
  • Anfrage bei der Stadt Stuttgart
  • Eigene Recherche
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