Wissenschaft Studie: Pestizide am Oberrhein fernab von Weinbau und Äckern

Sie sollen Schädlinge, Unkräuter und Pilzkrankheiten bekämpfen - daher setzen Landwirte Pestizide ein. Doch eine Studie entlang der Oberrheinischen Tiefebene zeigt: Man findet sie auch ganz woanders.
Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft am Oberrhein wirkt sich einer Studie zufolge weit über die Weinberge, Äcker und Obstplantagen hinaus aus. "Die Wirkstoffe wurden auch mehrere hundert Meter von landwirtschaftlichen Flächen entfernt nachgewiesen", teilte die Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau mit.
"Pestizide können uns beim Spazierengehen, auf Spielplätzen oder im eigenen Garten begegnen", erklärte Ken Mauser, Erstautor der Studie, die im Fachmagazin "Communications Earth & Environment" erschienen ist. Besonders gefährdet seien Menschen mit direktem Kontakt zu Pestiziden, also Landwirte, sowie empfindliche Gruppen wie Kinder, Schwangere und Ältere.
Probennahme während der Spritzsaison
Das Forschungsteam um den Ökotoxikologe Carsten Brühl hatte der Mitteilung zufolge während der Spritzsaison im Juni und Juli 2022 Proben von Oberboden, Vegetation, Fließgewässern und Pfützen genommen. Die 78 untersuchten Standorte liegen jenseits der Gebiete, die im Kampf gegen Schädlinge, Unkräuter und Pilzkrankheiten mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurden.
Die Studie bezieht sich auf sechs 30 Kilometer lange Messpfade von entlegenen Gebieten in den Mittelgebirgen Pfälzerwald und Schwarzwald bis in die Oberrheinische Tiefebene. Deren Fläche erstreckt sich auf etwa 300 Kilometern von Bingen in Rheinland-Pfalz bis Basel in der Schweiz. Die Region ist durch intensive konventionelle Landwirtschaft im Tal gekennzeichnet.
Ewigkeitschemikalie Fluopyram häufig nachgewiesen
63 Pflanzenschutzmittel haben die Fachleute nachgewiesen: 29 Fungizide, 19 Herbizide und 15 Insektizide. Nahezu alle Standorte waren demnach belastet: "In 97 Prozent der Boden- und Vegetationsproben wurden Rückstände gemessen, oft in komplexen Mischungen aus mehreren Wirkstoffen."
Im Schnitt seien in der obersten Bodenschicht, dem Oberboden, fünf Pestizide gewesen. Laut der Studie steckten in einzelnen Proben bis zu 26 verschiedene Wirkstoffe. Die Vegetation sei im Mittel mit sechs Pestiziden belastet gewesen, in einigen Fällen mit bis zu 21 Stoffen, schreiben die Forschenden.
Eines der am häufigsten gefundene Pestizide war der Studie zufolge das Fungizid Fluopyram. Es werde als PFAS, eine sogenannte Ewigkeitschemikalie, eingestuft, deren Abbauprodukte auch das Grundwasser verunreinigen können.
Vom Winde verweht
Auch abgelegene Gebiete waren belastet, wie es in der Studie heißt. Im Nationalpark Schwarzwald fand das Team demnach vier verschiedene Pestizide, auf dem mit 1.494 Metern höchsten Berg in Baden-Württemberg, dem Feldberg, drei.
Das liegt den Autoren zufolge an einer Kombination mehrerer Faktoren: Zum einen wird neben der Landwirtschaft im Tal der Gebirgsfuß für Wein- und Obstanbau genutzt. Zudem begünstigen die Standortbedingungen im Weinbau wie hohe Lufttemperatur und Windgeschwindigkeit, dass Pestizide weithin verbreitet werden.
Besonders problematisch: Pestizid-Cocktails
Häufig wiesen die Forschenden Pestizid-Mischungen nach. Dabei fanden sie 140 verschiedene Kombinationen aus mindestens zwei Wirkstoffen.
"Pestizid-Cocktails sind besonders problematisch, da Wechselwirkungen auftreten und sich Effekte verstärken können", erklärte Brühl der Mitteilung zufolge. In Zulassungsverfahren werden die chemisch-synthetischen Mittel jeweils einzeln bewertet. "Das greift zu kurz, um die komplexen Risiken einer realen Mischungsbelastung zu erfassen", betonte der Fachmann.
Zum Schutz von Menschen und Umwelt fordern die Wissenschaftler eine strikte Reduktion des Pestizideinsatzes. Zudem solle die Belastung von Landschaften mit Pestiziden besser überwacht werden. Gleich zu Beginn des Fachbeitrags schreiben die Autoren, sogenannte Nichtzielgebiete dienten als unverzichtbare Rückzugsgebiete für Organismen und sicherten die biologische Vielfalt.
Nabu fordert regelmäßige Umweltproben
"Offensichtlich reichen die Vorgaben nicht aus, die verhindern sollen, dass Pestizide von landwirtschaftlichen Flächen selbst in Schutzgebiete wie den Nationalpark Schwarzwald, in Erholungsgebiete oder auf Spielplätze abdriften oder mit dem Regen in Oberflächengewässer ausgewaschen werden", erklärte der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Baden-Württemberg, Johannes Enssle. "Für das baden-württembergische Programm zur Pflanzenschutzmittelreduktion muss diese Studie ein Weckruf sein."
Die Landesregierung sollte prüfen, ob die Maßnahmen zur Minderung der Abdrift wirksam seien, forderte Enssle. Zudem solle sie im Rahmen eines ökotoxikologischen Umweltmonitorings regelmäßige Umweltproben zur Chemikalienbelastung der Umwelt veranlassen.
- Nachrichtenagentur dpa