Stuttgart Gewaltserie: Ermittler gehen auf Sympathisanten zu
Es wird geschossen, eine Handgranate gezündet, bedroht und verfolgt. Die Gewaltserie im Raum Stuttgart geht ins dritte Jahr. Können Ermittler sie stoppen, indem sie die Wackelkandidaten warnen?
Im Ringen um ein Ende der Gewaltserie im Raum Stuttgart geht die Polizei auch gezielt auf bisher nicht fest eingebundene Sympathisanten der verfeindeten Gruppen zu. Es gehe um diejenigen, die noch zu erreichen, die vielleicht nur über den regionalen Bezug oder die Rap-Musik verbunden seien und aufschauten zu den anderen in der Szene, sagte der Präsident des Landeskriminalamts, Andreas Stenger. Ziel sei es, sie vor einem Abrutschen in kriminelle Strukturen zu bewahren. Der LKA-Chef macht sich aber auch keine Illusionen: "Dass wir nicht jeden generalpräventiv erreichen, das ist ja logisch."
Natürlich kämen die Rap-Konzerte nicht als direkte Orte der Ansprache infrage. Vielmehr könnten Jugendsozialarbeiter vor allem in Jugendclubs oder Sportvereinen informieren. "Wir müssen sie dort aufsuchen und ansprechen, wo die Menschen sich im öffentlichen Raum unstrukturiert im Freizeitverhalten treffen, und wir müssen ihnen Angebote machen", sagte Stenger der Deutschen Presse-Agentur. Ein Patentrezept gebe es aber nicht.
Im Lauf der gewalttätigen Fehde wurden in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche, oft blutige Anschläge mit Schusswaffen und sogar einer Handgranate verübt. Erste Anhänger sind bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Den beiden Gruppen - die eine wird grob der Region Esslingen, Ludwigsburg und Plochingen zugeordnet, die andere dem Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen und Göppingen - sollen nach Schätzungen der Experten mehr als 500 meist junge Menschen angehören. Gegen mehr als 50 von ihnen wurden Haftbefehle erlassen.
In den vergangenen Wochen hat die Zahl der Zwischenfälle deutlich abgenommen. Nach Einschätzung Stengers könnte das auch an den Fahndungen und Verhaftungen, an den nach wie vor laufenden Strafprozessen und ersten Urteilen liegen. "Natürlich bleibt nicht ohne Wirkung, was wir machen", sagte der LKA-Präsident.
Die Haftstrafen von zwölf Jahren Gefängnis für einen Handgranaten-Anschlag in Altbach (Kreis Esslingen) oder acht Jahren nach Schüssen auf eine Shishabar in Plochingen seien abschreckend gewesen. "Das sind harte Strafen. Und das nimmt natürlich dem Konzept "Kriminalität als Lebensentwurf" die Faszination, wenn die Konsequenzen dann auch so ausfallen", sagte Stenger. Durch die konsequenten und zeitnahen Sanktionen könnten Denkprozesse in Gang gesetzt worden sein. "Die Anhänger dieser Gruppen bleiben da perspektivisch nicht unbeeindruckt."
Als bisheriger Höhepunkt in der gewalttätigen Auseinandersetzung der Gruppen gilt der Anschlag auf die Altbacher Trauergemeinde im vergangenen Juni. Der Werfer der Handgranate ist Anfang März wegen 15-fachen versuchten Mordes zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er wird der Gruppe aus dem Kreis Göppingen mit Verbindungen nach Zuffenhausen zugeordnet. Der in Altbach bestattete junge Mann soll dagegen zur verfeindeten Gruppe mit Schwerpunkt im Kreis Esslingen gehört haben.
Derzeit steht noch ein weiterer Prozess in Zusammenhang mit Altbach vor dem Abschluss: Auf der Anklagebank sitzen fünf Männer, die laut Staatsanwaltschaft gemeinsam mit anderen versucht hatten, sich an dem mutmaßlichen Werfer der Granate zu rächen. Bis zu 15 Menschen sollen den Täter auf seiner Flucht gefasst, aus einem Taxi gezerrt und wie im Rausch verprügelt haben. Bis die Polizei eintraf, schlugen und traten sie ihn und ließen laut Staatsanwaltschaft auch nicht von ihm ab, als Sanitäter helfen wollten. Den fünf Männern wird unter anderem versuchter Totschlag vorgeworfen. Ein Urteil könnte noch im April gesprochen werden. Erhoben wurden in diesem Fall auch vier weitere Anklagen.
Die derzeitige Ruhe ist nach den Worten Stengers aber keineswegs ein Grund, sich in den Ermittlungen der noch offenen Fälle zurückzulehnen. Gegen die beiden Gruppen wird mit einer sogenannten besonderen Aufbauorganisation, einer BAO, ermittelt. In dieser Organisationsstruktur arbeitet das LKA eng mit den Polizeipräsidien in Aalen, Ludwigsburg, Reutlingen, Stuttgart und Ulm zusammen.
Eine Gefahr für die in Stuttgart ausgetragenen Spiele der Fußball-Europameisterschaft (14.6.-14.7.) sieht Stenger nicht. "Seit zwei Jahren spielt sich die Gewalt innerhalb dieser zwei rivalisierenden Gruppen im öffentlichen Raum ab", sagte er. Stenger betonte aber auch: "Das phänomenologisch Typisierende an dem Konflikt liegt darin, dass sich die Gewalt primär gegen Mitglieder dieser rivalisierenden Gruppen richtet und nicht etwa gegen Unbeteiligte."
- Nachrichtenagentur dpa