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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neonazis verprügelt Zeuge im Lina E.-Prozess verstrickt sich in Widersprüche
Die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. soll mit Komplizen systematisch Neonazis in Ostdeutschland verprügelt haben. In ihrer Anklage setzt die Bundesanwaltschaft voll auf Leon R. Doch der gerät nun selbst in die Bredouille – wegen eines Fotos und seines angeblichen Hakenkreuz-Tattoos.
Seine Aussage war mit Spannung erwartet worden: Leon R. (24), Gastwirt der Eisenacher Kneipe Bull’s Eye und herausragende Figur der Neonazi-Szene in Westthüringen war am 16. und 17. März ans Oberlandesgericht Dresden geladen.
Er gilt der Bundesanwaltschaft als wichtigster Zeuge im Prozess gegen die Studentin Lina E. aus Leipzig. Die 27-Jährige soll eine linksextreme kriminelle Vereinigung gegründet und zusammen mit Bekannten systematisch Rechtsradikale überfallen und verprügelt haben. Sie sitzt seit November 2020 in Untersuchungshaft.
Schlagstöcke und Pfefferspray
Der Eisenacher Leon R. soll die Täterschaft der Angeklagten bei gleich zwei Überfällen bezeugen können – die Ankläger haben sich darum von seiner Aussage viel erhofft: Im Oktober 2019 stürmten Vermummte in seine Kneipe und griffen die Anwesenden an. Dabei sollen die Angreifer Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt haben.
Zwei Monate später war R. erneut Ziel eines bewaffneten Angriffs. Damals suchten ihn Vermummte vor seinem Wohnhaus auf. An beiden Taten soll Lina E. beteiligt gewesen sein.
Die gewünschte Aufklärung konnte R. mit seiner Aussage aber nur bedingt leisten. Beispielsweise behauptete er, sich daran erinnern zu können, dass es beim Überfall auf seine Kneipe eine Frau war, die das Kommando zum "Rückzug" gegeben habe – ein Hinweis auf Lina E.s Anführerschaft.
Dies habe er allerdings bei den ersten polizeilichen Vernehmungen nicht ausgesagt, ergab die anschließende Befragung durch die Verteidigung. Zur Größe und der Bekleidung der Frau machte er zunächst detaillierte Angaben, die er in späteren Befragungen und vor Gericht revidierte und sich jetzt anders erinnern will.
Mitglied beim Kampfsportprojekt "Knockout 51"
Lina E.s Verteidigung bezichtigt ihn, diese und andere Details erst Monate später bei weiteren Vernehmungen und schließlich vor Gericht hinzugefügt zu haben. Schließlich habe er als Politaktivist ein unbedingtes Interesse daran, dass seine politischen Gegner verurteilt werden, gleich, ob sie schuldig seien oder nicht. So will sie die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Zweifel ziehen.
Tatsächlich ist R. kein Unbekannter. Seine Kneipe wird von Experten für Rechtsextremismus als fester Treffpunkt der rechtsextremen Szene in Eisenach benannt.
Laut den Aussagen mehrerer bisher im Lina-E.-Prozess gehörter Zeugen war R. führendes Mitglied der rechtsextremen Jugendgruppierung "Nationaler Aufbau Eisenach" sowie dem daraus entstandenen rechtsextremen Kampfsportprojekt "Knockout51".
Videoschnitt-Tipps von der "Atomwaffen Division"
Recherchen von t-online brachten ihn außerdem schon 2019 in Verbindung mit der "Atomwaffen Division", einer rechtsterroristischen Vereinigung aus den USA. Damals soll er über ein rechtes Szeneforum Kontakt zu deren Mitgliedern gesucht haben.
R. wurde allerdings auch zu seinen politischen Aktivitäten befragt. Auf Nachfrage des Richters gab er an, dass er zwar Kontakt zu einer Person aufgenommen habe, die "in den USA verantwortlich dafür ist, die Videos für die Bewegung zu schneiden", so auch für die Atomwaffen Division.
Der 24-Jährige sei sich laut eigener Aussage aber nicht darüber bewusst gewesen, dass diese Person auch selbst Mitglied in der Organisation sei. Letztlich legte er sich nach mehrfacher Beratung mit seinem Anwalt darauf fest, dass er den Mann nur wegen einer fachspezifischen Frage zu Videoschnitt konsultiert habe.
Einer hebt die Hand zum Hitlergruß
Nach seiner politischen Einstellung gefragt, bezeichnete sich R. im Prozess als "Nationalist". Auf die Frage von Lina E.s Verteidiger Ulrich von Klinggräff, ob er sich als "Nationalsozialist im Sinne von 1933 bis 1945" sehe, erklärte er nur, dass er dazu "keine Aussage" mache.
Zu einem Foto, das vom Rechercheportal "Exif" am Verhandlungstag veröffentlicht wurde, wollte er sich trotz mehrfacher Nachfrage ebenfalls nicht äußern. Das Bild zeigt ihn mit angespanntem Bizeps gemeinsam mit anderen Personen, einer hebt die Hand zum Hitlergruß, posierend vor einer Hakenkreuzfahne.
Das Gericht akzeptierte sein Schweigen, weil er sich durch Aussagen möglicherweise selbst mit einer Straftat belasten könnte. Laut Exif soll das Bild am 29. Januar im "Flieder Volkshaus" in Eisenach aufgenommen worden sein. Das ist der Sitz der örtlichen NPD-Zentrale.
Zeuge: "Hakenkreuz auf den Oberschenkel tätowiert"
Vergangene Woche hat nun ein weiterer Zeuge R. schwer belastet. Laut diesem soll der 24-Jährige auf seinem Oberschenkel ein Hakenkreuz tätowiert haben. Gesehen habe er es, als sie Ende 2019 R.s Kneipe renoviert haben und R. dabei eine kurze Hose trug.
Auf die Frage des Zeugen, warum R. diese Tätowierung trage, habe dieser "nur gelacht", erklärte der Mann am vergangenen Donnerstag, 24. März, vor dem Oberlandesgericht Dresden.
R.s mutmaßliche Hakenkreuz-Tätowierung könnte für ihn weitere Konsequenzen haben. Die Verteidigung von Lina E. hat die Bundesanwaltschaft aufgefordert, den Vorgang zur Prüfung eines Straftatbestands an die dafür zuständige Staatsanwaltschaft in Thüringen zu geben.
- Besuch der Verhandlungstage im Lina-E.-Prozess
- Eigene Recherchen