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Demonstrationen in Sachsen: Was haben Impfgegner und pro-russische Teilnehmer gemein?


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Demos gegen Energiepolitik
Ein Abend in Chemnitz: Protest der Beliebigkeit

Von Henrik Merker, Chemnitz

Aktualisiert am 11.10.2022Lesedauer: 5 Min.
Russlandfahne in Chemnitz: Kann die internationale Politik die Sorgen der Menschen lösen?Vergrößern des Bildes
Russlandfahne in Chemnitz: Kann die internationale Politik die Sorgen der Menschen lösen? (Quelle: Henrik Merker)
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Was früher Corona-Demos waren, sind nun prorussische Events. Was bewegt die Leute in Chemnitz, immer wieder bei Rechtsextremen mitzulaufen?

An einem erstaunlich warmen Oktobermontag versammeln sich Hunderte von Menschen im Chemnitzer Schillerpark um ein paar Sachsen-Fahnen, nicht weit vom Hauptbahnhof. Eine dünne Jacke über dem T-Shirt reicht den meisten, die Sonne scheint. Nicht nur der Chemnitzer Beton heizt sich auf, sondern auch die Stimmung der immer größer werdenden Menge.

Eigentlich ging es darum, für t-online mit den Menschen auf der Energiepolitik-Demo in Chemnitz ins Gespräch kommen. Zu fragen, was sie dazu bewegt, auf die Demonstration zu gehen. Ob ihnen die kommende Heizperiode und drohende Rechnungen Angst machen. Was sie sich von der Politik wünschen.

Nicht gehört werden, aber auch nichts sagen wollen?

Viele im Osten fühlen sich nicht gehört – doch wenn man sie fragt, antworten nur wenige. Nach vier Gesprächsversuchen klappt es. Die Chemnitzerin möchte namentlich nicht genannt werden, auch ein Foto lehnt sie ab.

Sie sei gegen Impfungen, sagt sie in überaus freundlichem Ton. Eine Frau im Rentenalter, die rotblonden Haare schulterlang und gelockt, sie ist frei von wirtschaftlichen Sorgen. Witwenrente, betont sie. Die meisten Teilnehmer kämen aufgrund der wirtschaftlichen Lage. "Wir sind keene Nazis. Aber man wird ja immer in die rechte Ecke gleich gestellt", ist sie überzeugt.

Keine fünf Meter weiter, an einer Parkbank, steht eine Gruppe Skinheads, einer von ihnen trägt eine 88 in Frakturschrift auf dem Rücken. Die Zahl steht in der Szene für "Heil Hitler", zweimal der achte Buchstabe des Alphabets. Darüber prangt der Reichsadler mit einem eisernen Kreuz an der Stelle, wo bis 1945 das Hakenkreuz war. Ich spreche die freundliche Frau nicht darauf an, frage stattdessen, was denn ihre Erfahrung sei, wer so an den Demos teilnehme.

"Also, es ist gemischt. Und ich wundere mich, es ist eher mittleres Alter, die 50- bis 60-Jährigen", antwortet sie und schaut auf die anderen Demoteilnehmer. Sie hat recht. Und sie erzählt, sie sei nicht das erste Mal dabei, sie habe schon mehrere Demonstrationen der Freien Sachsen besucht.

Sie sagt, sie würde gerne an Versammlungen anderer Gruppen teilnehmen, wenn es die denn gäbe. Etwas enttäuscht ergänzt sie: "Ich hätte gedacht, das sind auch ein paar junge Leute, es geht ja auch um die Zukunft der Kinder".

Drei andere Teilnehmer sagen, sie seien das erste Mal dabei, wollten sich das mal anschauen. Ein Interview wollen sie nicht geben. Nach zwanzig weiteren erfolglosen Gesprächsversuchen läuft die Demo los. "Systemmedien" ist ein Wort, das mehrfach fällt. Und immer wieder auch der Satz, man werde ja nicht gehört.

Die Organisatoren der Demonstration von "Chemnitz steht auf" haben es sich offenbar auch zum Ziel gesetzt, in die inhaltliche Gestaltung der lokalen Medien und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzugreifen. Medienhäuser wie der MDR oder die Chemnitzer "Freie Presse" sind Ziel einer pressefeindlichen Kampagne.

"Ich hoffe, du berichtest wahrheitsgemäß!"

Die wöchentlichen Demonstrationen führen bewusst an Verlagshäusern und Redaktionsräumen vorbei, verbunden sind sie mit so etwas wie einer Spam-Kampagne. Wöchentlich werfe man Schreiben in die Briefkästen der Medienhäuser, erzählt einer der Organisatoren. Er rufe auch regelmäßig bei den Medienhäusern an.

Auf Telegram behauptet "Chemnitz steht auf", diese Anrufe würden dokumentiert. Das könnte in Deutschland nicht so ohne Weiteres legal sein, es gilt die Vertraulichkeit des Wortes. Der Mitorganisator lässt sich auch diesmal fotografieren, wie er seine Briefe bei der "Freien Presse" einwirft.

"Lügenpresse! Lügenpresse! Lügenpresse!" rufen die derweil vorüberziehenden Demonstranten wie aus einer Kehle. Die Polizei wird später von etwa 1.800 Teilnehmern sprechen, jetzt und hier nimmt der Zug gefühlt kein Ende.

Ich filme die Szene, mache ein paar Fotos, bis mir ein Mann sein Schild der Freien Sachsen vor die Kamera hält. "Ich hoffe, du berichtest wahrheitsgemäß!", ruft er. Wir kommen ins Gespräch.

Der Mann arbeite für eine lokale Baufirma, und er hat greifbare Sorgen: Ein Festmeter Holz zum Heizen habe vor einem Jahr 35 Euro gekostet, erzählt er. "Ich habe ein Foto geschossen, der kostet mittlerweile im Baumarkt 245 Euro". Seine Altersvorsorge sieht er wegbröckeln: "Ich verliere das alles, was ich für mein Alter gespart habe, das verliere ich gerade in diesen Tagen". Deshalb sei er auf der Demonstration – er sagt das mit Resignation in der Stimme.

Die Freien Sachsen sollten sich der Alternative für Deutschland (AfD) anschließen, findet er: "Geteilte Macht ist halbe Macht". Die laute Tröte eines anderen Demonstranten übertönt den Rest des Gesprächs. Noch ein Foto, er lächelt, wir verabschieden uns. Was der Mann erzählt, vom Preis für Holz und seinen Ersparnissen, das will nicht so recht zum "Raus aus der Nato"-Schild in seiner Hand passen.

Sandkasten für Rechtsextreme

Gleich hinter Chemnitz beginnt das Erzgebirge. Die Region ist in den letzten zehn Jahren zu einer Art Labor für die extreme Rechte geworden. Seit 2013 ziehen immer wieder Sachsen in Scharen durch das Erzgebirge, angeführt von immer denselben Rechtsextremen. Martin Kohlmann, Stefan Hartung, Robert Andres – Namen, die in der Region dauerpräsent sind. Auch die AfD mischt seit Jahren fleißig mit.

Als sich 2013 in Schneeberg ein Fackelmarsch formierte, hielt der NPD-Mann Hartung noch die Zügel des Protests in der Hand. Pegida kopierte das Konzept seiner sogenannten Lichtelläufe und brachte mit der Idee in Dresden regelmäßig Tausende auf die Straßen.

Im Erzgebirge haben sich die Strukturen seitdem gefestigt. Stefan Hartung rief den jetzt unbedeutenden Verein "Freigeist" ins Leben und versuchte vor allem, mit Kulturveranstaltungen und rechter Sozialarbeit die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Der NPD-Tarnverein war ein Zwischenschritt, heute ist der IT-Unternehmer Hartung Mitglied im Vorstand der Freien Sachsen.

Mit ihm sitzen dort auch Kohlmann und Andres, die bislang für die – ebenfalls rechtsextreme – Kleinstpartei Pro Chemnitz aktiv waren. Andres nimmt auch an der Demonstration an diesem Montagabend teil. Und mit ihm ein Zugezogener aus Westdeutschland: Michael Brück war jahrelang Neonazi-Kader in Dortmund, saß für die Partei Die Rechte sogar im Stadtrat. Jetzt ist er bei den Freien Sachsen und macht Fotos. Im Westen ist er verhasst, hier in Chemnitz offenbar für manche ein gern gesehener Akteur.

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Die Nähe der Demo-Organisatoren von "Chemnitz steht auf" zu den Rechtsextremen ist unübersehbar. Über den dazugehörigen Telegram-Kanal werden Versammlungen beworben, bei denen NPD-Mann Stefan Hartung als Redner auftritt.

Zahlreiche Beiträge der rechtsextremen Freien Sachsen finden sich im Kanal von "Chemnitz steht auf". Und auch diesen Montag sind die Freien Sachsen wieder mit einem Infostand dabei, ihre Fahnen und Schilder sieht man überall auf der Demonstration.

Im Süden Sachsens steigt die Wut

Darauf zu lesen sind Forderungen wie: "Nato raus", "Northstream 2 öffnen", "Frieden mit Putin". Die lokale Partei scheint die tatsächlichen Probleme der Erzgebirgler auf die internationale Politik abwälzen zu wollen. Realistisch sind diese Forderungen nicht. Aber den Leuten vor Ort scheint es zu gefallen.

Doch die internationale Politik hat mit Raketenangriffen auf Kiew, Kriegen und Klimakrise alle Hände voll zu tun, sie kümmert sich nicht um die dünn besiedelte Region im Süden Sachsens – also steigt dort die Wut. Zur Freude der Rechten.

Nach Ende der Demonstration singt Iggy Pop aus Lautsprechern am Stand der verschwörungsideologischen Partei Die Basis noch seinen Klassiker "Passenger": "So let's ride and ride and ride and ride. Singin' la la la la la la la la", den Ohrwurm werde ich auf der Zugfahrt nach Leipzig nicht los. Vielleicht ist dieses "la la la la la" ein Sinnbild für die Beliebigkeit des ganzen Protests da auf der Straße. Wenigstens leuchten die Sterne.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen vor Ort
  • Telefonat mit der Polizei Chemnitz
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