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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fetisch, Wave und Überalterung Zu Besuch beim Wave-Gotik-Treffen in Leipzig
Es ist das größte Gothic-Treffen weltweit und startet nun nach zwei Jahren Corona-Pause wieder: das Wave-Gotik-Festival in Leipzig. Düster bis barock gewandete Gestalten durchziehen die Stadt, Luzifer schwebt über Leipzig. Wir waren beim Auftakt dabei.
Die warme Mittagssonne zeigt den Clara-Zetkin-Park in schönstem Grün. Frauen in prächtigen Kleidern strahlen mit den blühenden Rhododendronbüschen um die Wette. Ihre Begleiter in weißer Lockenperücke gießen Tee in verzierte Tassen. Das Wave-Gotik-Treffen ist nach zwei Jahren Pandemie zurück in Leipzig – und versetzt mit seinem Auftakt, dem "Viktorianischen Picknick", die Stadt zurück in ein längst vergangenes Zeitalter.
Barock-Kostüme und Menschenmaschinen mit ausgefallenen Masken
Nachdem in den Jahren 2020 und 2021 lediglich kleine, private Treffen stattfanden, sorgte Corona auch dieses Jahr noch für Turbulenzen in der Szene. Bis April herrschte Unklarheit über den Hauptaustragungsort des Gothic-Festivals. Doch vor knapp zwei Monaten dann das Aufatmen: Das Event kann so stattfinden wie früher – über Pfingsten, mit dem Agra-Gelände in Markleeberg als Zentrum und vielen Veranstaltungsorten in der ganzen Stadt.
"Es ist jetzt so, als hätte es Corona nie gegeben", verkündet Mino freudig. Er ist mit Freunden bereits zum vierten Mal aus Berlin angereist und macht es sich auf einer Picknickdecke im Schatten der Parkbäume bequem. Nach der letzten Nacht im Klub Darkflower sei man in völliger Ekstase: "Endlich gibt es wieder Festivals. Es ist alles so wie früher!"
Mino und seine Freunde sind mit ihren schwarzen Spitzen- und Lederoutfits und den bunt gefärbten, dicken Dreads einer von vielen Hinguckern. Zwischen Steampunks und Goths tummeln sich Gruppen in opulenten Barock-Kostümen und Menschmaschinen mit ausgefallenen Masken.
"Dass man in der ganzen Stadt was geboten bekommt, ist einfach einzigartig"
Ihnen allen scheinen die gestiegenen Preise nichts auszumachen. Kostete das WGT-Ticket 2019 noch 130 Euro, ist es zum 29. Jubiläum auf 170 Euro gestiegen. Grund dafür ist laut Veranstalter, dass auch sie sich mit Preissteigerungen von rund 30 bis 40 Prozent konfrontiert sehen. Das habe es unausweichlich gemacht, die Mehrkosten auch an die Besucherinnen und Besucher weiterzugeben.
"Egal ob 130, 170 oder 200 Euro. Das WGT wird sich immer lohnen", sagt Reinhard Sänger. Am Freitagnachmittag spaziert er mit Hut, Anzug und Gehstock vom Agra-Gelände in Richtung Leipziger Innenstadt. Seit zwölf Jahren freut sich der Braunschweiger darauf, beim größten Gotik-Treffen der Welt Gleichgesinnte kennenzulernen. "Zwar ist der Preisanstieg gerade der Zeit geschuldet. Aber dass man hier über die ganze Stadt hinweg etwas geboten bekommt – das ist einfach einzigartig."
Der Preis schrecke aber auch Leute ab, erklärt Melli. Auch sie besucht seit vielen Jahren das Gothic-Festival – einige ihrer früheren Mitreisenden hätten aufgrund der Kurzfristigkeit und der gestiegenen Kosten abgesagt, sagt sie.
Das WGT leidet unter Überalterung: Programm für junge Leute und Familien
Doch die rund 200 Bands an etwa 50 Veranstaltungsorten in der gesamten Stadt locken immer noch Tausende Besucher an. Ob wie in den vergangenen WGT-Jahren 20.000 Leute Leipzig aufsuchen werden, könne sich aber erst an der Abendkasse zeigen, meldet der Veranstalter.
Bis Montag wird sich wohl auch noch zeigen, ob das Festival noch das Potenzial hat, junge Menschen für sich zu gewinnen. Tatsächlich geht ein Großteil der im Clara-Zetkin-Park Versammelten offensichtlich langsam auf die Rente zu. Doch die zehnjährige Melina mischt sich mit ihrem schwarzen Spitzenkleid und einem kleinen Hut freudig unter die Leute: "Ich bin jetzt zum zweiten Mal hier und ich finde es toll, die Menschen zu beobachten und mich selbst schick zu machen." Nächstes Jahr sei sie auf jeden Fall auch wieder dabei.
Und die WGT-Veranstalter scheinen die warnenden Stimmen der vergangenen Jahre auch wahrzunehmen, dass sie ihr Angebot für ein jüngeres Publikum erweitern sollten. "Zwar ist der Kohlrabizirkus als Veranstaltungsort dieses Jahr weggefallen, aber dennoch gibt es mehr als genug für uns zu entdecken", bestätigt der 26-jährige Mino. Seine Freundin Paddi ergänzt: "Ja, wir werden die Afterpartys, die Fetisch-Treffen und viele Konzerte mitnehmen."
Und auch an Familien mit kleinen Kindern ist gedacht: von Bogenschießen auf dem Mittelaltermarkt und Märchenaufführung im Heidnischen Dorf über Mitfiebern beim gruseligen Theaterstück bis hin zur Druckwerkstatt für im Werk 2.
- Besuch und Gespräche vor OrtInterview mit den Veranstaltern des WGT
- Website des Wave-Gotik-Treffens