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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Das kann kein Versehen sein" Umwelt-Proteste gegen Möbel Höffner werden lauter
Der Möbel-Konzern Höffner behauptet, dass die massive Umweltzerstörung rund um die Baustelle des künftigen Möbelhauses in Kiel ein Versehen war. Doch Zweifel daran werden immer lauter.
Der Skandal um die massive Zerstörung von geschützten Naturflächen rund ums Gelände der Möbel-Höffner-Baustelle erhitzt weiter die Gemüter in Kiel. Eine Petition, die Konsequenzen für den Konzern fordert, haben mittlerweile mehr als 5.200 Menschen unterzeichnet. Bei Möbel Höffner spricht man von einem Versehen. Doch die Initiatorin der Petition glaubt an Vorsatz – und behauptet, Beweise dafür zu haben.
Vergangene Woche wurde bekannt, dass auf besagter Ausgleichsfläche offenbar über Monate zahlreiche Bäume und Pflanzen beschädigt wurden. Auch Tiere wurden dabei möglicherweise getötet.
Von der Höffner-Geschäftsleitung heißt es, ein einzelner Baggerfahrer habe unabsichtlich den Schaden verursacht. Daran allerdings mag Johanna Sophie Brüggemann nicht glauben. Sie hatte die Petition vor einigen Tagen gestartet – und ist selbst überrascht von der großen Beteiligung. "Mein Ziel waren 500 bis 1.000 Unterschriften", so Brüggemann. "Die mehr als 3.000 Stimmen zu sehen, ist schon ein schönes Gefühl, weil mir das zeigt, wie vielen Menschen es nicht egal ist, was da passiert ist."
Video zeigt mehrere Baufahrzeuge
Ein Versehen als Ursache für die großflächige Zerstörung schließt die Aktivistin aus. Brüggemann: "Dafür ist zu systematisch vorgegangen worden – und über einen zu langen Zeitraum." Zudem habe sie selbst beobachtet, dass auf dem betreffenden Gelände mehrere Bagger gleichzeitig im Einsatz waren. Zum Beweis habe sie Handy-Videos erstellt, die sie an die Behörden der Stadt weitergegeben habe. Auch habe sie mehrere überfahrene Kaninchen fotografiert. "Ich vermute", so Brüggemann, "dass Möbel Höffner einfach nicht von einer Dschungelfläche umgeben sein will, sondern von einem netten, gestutzten Vorgarten."
Auf den Videos, die laut Brüggemann am 11. November 2020 aufgenommen wurden, sind insgesamt drei unterschiedliche Bagger zu sehen. Allerdings ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wo genau die Aufnahmen gemacht wurden und ob die Baufahrzeuge tatsächlich Schaden an zu schützender Natur angerichtet haben.
Straftat oder Lappalie?
Dass Schaden angerichtet wurde, ist indes unumstritten. Auch steht Brüggemann mit ihrem Verdacht vom vorsätzlichen Handeln des Konzerns nicht allein da. "Da ist ja eine Fläche von über 8 Fußballfeldern betroffen", sagt etwa Hartmut Rudolphi, Vorsitzender der Naturschutz-Organisation Nabu Kiel. "Die Aussage, dass ein übermotivierter Baggerfahrer dafür verantwortlich sein soll, zeigt deutlich, dass Höffner nicht an der Aufklärung interessiert ist und die Straftat als Lappalie abtun will." Mehrere Anwohner hätten gegenüber Nabu bestätigt, dass mehrere Baufahrzeuge in dem betreffenden Gebiet zugange waren. "Außerdem war das Gelände durch einen Bauzaun klar von der Baustelle abgegrenzt", so Rudolphie. "Ein Versehen ist auszuschließen."
Ganz ähnlich äußerst sich auch Ulrike Hunold, Sprecherin Kieler Kreisgruppe des BUND. "Ich glaube, es ist inzwischen widerlegt, dass es sich um ein Versehen handelt. Es ist auf Luftaufnahmen zu sehen, dass dort sechs Hektar verwüstet worden sind. Das schafft ein einzelner Baggerfahrer nicht." Hunold spricht von einer Katastrophe für die Natur. "Es ist Lebensraum unter anderem für Brutvögel zerstört worden. Damit ist in unserenAugen der Ausgleich vor Ort nicht mehr erbracht." Es stelle sich die Frage, ob die Baugenehmigungunter diesen Bedingungen aufrechterhalten werden könne.
Viele Kieler geben der Stadt eine Mitschuld
Auf den Social-Media-Kanälen fordern viele Bürger einen Baustopp und die Bestrafung des Unternehmens. Aber auch die Stadt selbst, die sich über das Vorgehen des Bauhauses empört zeigt, trägt in den Augen vieler mit Schuld an der Umweltsünde.
So schreibt ein Nutzer auf Instagram: "Die Hauptschuld trifft die Stadt. Die Stadt Kiel hätte die Pflicht gehabt, sämtliche Baumaßnahmen zu überprüfen. Jetzt wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird gejammert." Ein anderer Nutzer schreibt: "Da kommt einem die Frage in den Sinn, wieso die Verantwortlichen das erst "zu spät" mitbekommen haben? Bei einem Projekt diesen Ausmaßes... schwer vorzustellen." Eine weitere Stimme: "Ich denke, dass die Stadt Kiel sich jetzt rausreden will. Eine absolute Schande ist das. Die Verantwortlichen sollten entlassen werden." Ein anderer Nutzer schlägt vor: "Warum legt man die Baustelle nicht so lange still wie es dauert, neu gepflanzte "Ersatzbäume" wieder genauso groß wachsen zu lassen? Dann würden diese Berliner Möbelschnösel mal merken, was man in Kiel unter einem Bußgeld versteht."
- Gespräche mit Johanna Brügemann, Hartmut Rudolphi, Ulrike Hunold
- Eigene Recherchen