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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Protestcamp "Tümpeltown" "Mit ein bisschen Hoffnung schläft es sich ganz gut"
Am Dienstag hat die Räumung des von Aktivisten besetzten "Tümpeltown" in Hannover begonnen. Unser Reporter war vor Ort und schildert seine Eindrücke.
Aufgestellte Scheinwerfer beleuchten die Baumbesetzung "Tümpeltown" im Süden Hannovers am frühen Morgen. Aktivistinnen und Aktivisten sitzen gut vorbereitet und eingepackt in Decken und Schals in den Bäumen und auf Tripods. Mit den ersten Sonnenstrahlen betritt die Polizei das Baumhausdorf. Mit Akkuflex und Bolzenschneider werden die auf einem angrenzenden Sportplatz aufgestellten Bauzäune kleingeschnitten, um einen Zugang zu schaffen.
Gleichzeitig beginnt die Polizei, vom angrenzenden Südschnellweg aus, mit Hebebühnen die ersten Menschen aus den Bäumen zu holen. Im Herbst 2022 besetzte eine Gruppe Klimaaktivistinnen und -aktivisten mehrere Bäume nahe des Landschaftsschutzgebiet der Leinemasch im Süden der niedersächsischen Landeshauptstadt. Der Protest der Gruppe richtet sich gegen die Ausbaupläne des Südschnellwegs, der die Stadtteile Ricklingen und Döhren verbindet. Die Schnellstraße soll von 14,50 Meter auf 25,60 Meter Breite ausgebaut werden, wofür viele Bäume weichen müssen.
Für die Klimagerechtigkeitsbewegung ein überdimensioniertes Projekt. Tabea Dammann, Sprecherin der Initiative "Leinemasch Bleibt!", erklärt dazu: "Wir sollten Straßen nach Klimazielen orientiert bauen und nicht nach Verkehrsprognosen." Bei eisigen Temperaturen unter null Grad sind schon seit mehr als einer Woche Menschen in der Leinemasch unterwegs. Dick eingehüllt in Schals und Mützen stiefeln sie zwischen der neu entstandenen Dauermahnwache und dem Baumhausdorf hin und her.
Nur die wachsamen Augen sind zu sehen, immer auf der Hut nach Rodungsvorbereitungen und größerem Polizeiaufgebot. Dass sich viele hier vermummen, liege nicht nur an der Kälte, erklärt eine Aktivistin, die ihren Namen nicht nennen möchte. Es sei für die Klimagerechtigkeitsbewegung schwierig, sich öffentlich mit Namen und Gesicht gegen "so ein Megaprojekt" zu stellen, da die Strafen für Beteiligung an Protesten oft überzogen seien, sagt sie.
Räumung der Baumhäuser schreitet nur langsam voran
Trotzdem betont sie die Wichtigkeit für den Protest gegen den Ausbau. Nur dadurch, dass hier Bäume besetzt werden und es ein riesiges Aufgebot an Polizeikräften braucht, würde auch überregional über eine Verkehrswende diskutiert werden. Während die Räumung der Baumhäuser nur langsam voran schreitet, erhält die Besetzung Unterstützung von außen: Auf dem angrenzenden Sportplatz sammeln sich immer mehr Menschen, die Parolen rufen und ebenso wie die Menschen in den Bäumen ihren Unmut äußern wollen. "Du bist nicht allein," rufen sie den Aktivistinnen und Aktivisten zu, die nach und nach aus dem Waldstück geführt werden.
Es werden Lieder gesungen und Musikwünsche gespielt, die ihnen aus der Besetzung zugerufen werden. Bei Temperaturen unter null Grad sei es ganz schön anstrengend, in einem Baumhaus zu übernachten, erzählt ein Aktivist. "Mit zwei Schlafsäcken, Wärmflasche und auch ein bisschen Hoffnung schläft es sich dann aber ganz gut", lacht er. Es gebe aber auch solidarische Menschen, die in der Umgebung wohnen, wo man auch immer mal wieder eine Nacht unterkommen könne, um Kraft zu tanken. Auch wenn er sich darauf freut, mal wieder eine Nacht im Warmen zu schlafen, will er bleiben, bis die Polizei ihn aus den Bäumen holt. "In Zeiten der Klimakrise weiterhin auf Individualverkehr zu setzen, ist nicht mehr angebracht. Es braucht Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und Alternativen zum Auto", sagt er.
Während der Räumung war für Journalistinnen und Journalisten die Arbeit stark erschwert. In den per Allgemeinverfügung festgelegten Sicherheitsbereichen durfte sich nicht aufgehalten werden, auch dann nicht, wenn in diesen gar keine Rodungs- oder Räumungsarbeiten stattfanden. So gab es während des Gesamteinsatzes immer wieder Situationen, in den die Presse sich kein eigenes Bild vom Geschehen machen konnte und Gespräche mit Baumbesetzerinnen und -besetzern nicht möglich waren.
Auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) kritisiert den Umgang mit der Presse: "Sicherheitsbedenken sind kein Blanko-Scheck für die Polizei. Vielmehr muss es einen Ausgleich zwischen Sicherheit und Öffentlichkeit geben, wie es beispielsweise durch eine Räumung in einzelnen Sektoren möglich wäre", kritisiert Landesmediensekretär Peter Dinkloh. Mit Einbruch der Dunkelheit sind immer noch zwei Baumhäuser besetzt. Die Polizei verkündet daraufhin, dass am Dienstag nicht mehr weitergearbeitet werde. Am Mittwoch soll die Räumung fortgesetzt werden.
- Reporter vor Ort