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Ehrenamt gegen Diskriminierung: Wie eine Hamburgerin gegen Rassismus ankämpft


Verein gegen Diskriminierung
Wie eine Hamburgerin gegen Rassismus kämpft

Von t-online
01.12.2021Lesedauer: 4 Min.
Sally Riedel: Seit 2015 engagiert sich der Verein MOSAIQ e.V. gegen Diskriminierung.Vergrößern des BildesSally Riedel: Seit 2015 engagiert sich der Verein MOSAIQ e.V. gegen Diskriminierung. (Quelle: Milad J. Panah/leer)

Sally Riedel engagiert sich mit ihrem Verein MOSAIQ in Hamburg gegen Rassismus und Vorurteile gegen Schwarze und Muslime. Das Jahr 2021 sieht sie dabei als ein entscheidendes für die Bewegung.

Eine junge Frau mit hervorragendem Zeugnis sucht einen Ausbildungsplatz und bekommt keinen. Ein Schüler wird scheinbar grundlos von der Polizei angehalten. Ein Mädchen wird auf der Straße beleidigt. Könnte jedem passieren, könnte man sagen. Und doch scheint es überdurchschnittlich häufig gewisse Personengruppen zu treffen – wenn die Frau, die keinen Ausbildungsplatz bekommt, schwarz ist. Wenn der von der Polizei angehaltene Schüler Muslim ist, oder wenn das Mädchen, das beleidigt wird, ein Kopftuch trägt.

Um vornehmlich schwarzen und Menschen muslimischen Glaubens eine Plattform zu geben und sie bei ihrem täglichen Kampf gegen Diskriminierung zu unterstützen, gibt es in Hamburg seit Juni 2020 den Verein MOSAIQ. Dafür gehen die mittlerweile rund 250 Mitglieder in Schulen, organisieren kulturelle Veranstaltungen und bieten einen Ort, an dem sich Betroffene und Interessierte treffen und ihre Erfahrungen austauschen können.

Fehlende Räume für schwarze und muslimische Stimmen

Gewachsen ist der Verein aus einem bereits 2015 gestarteten Projekt, in dem sich zu Beginn vor allem junge Menschen mit muslimischem Hintergrund zusammenfanden. "Wir wollen Geschichten erzählen, die sonst nicht vorkommen", sagt Sally Riedel. Sie ist die Gründerin des Vereins und ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende und war von Anfang an dabei.

"In Hamburg gab es für mich keinen Raum, in dem Rassismus besprechbar war, wo Menschen hingehen und einfach Fragen stellen konnten, unabhängig von ihrem Hintergrund oder ihrer Herkunft", sagt Riedel, die zurzeit an ihrer Promotion in Kulturwissenschaften arbeitet. "Deshalb war es mir total wichtig, solch einen Raum zu schaffen, wo Menschen, die Rassismus erfahren haben, sich geschützt fühlen."

Rassismus ist nicht immer eindeutig fassbar

Die gebürtige Hamburgerin habe, so sagt sie, von Kindheit an selbst Ausgrenzung erlebt – ob es etwa um die fehlende Unterstützung durch Lehrer oder die Schul- oder Studiumsempfehlung gegangen sei. Diese Benachteiligung ziehe sich durch die gesamte Gesellschaft und durch alle Ebenen. Nicht immer, sagt Riedel, sei Rassismus eindeutig fassbar. Oft seien es die subtilen Momente im Alltag.

Oft genug aber sei er auch offensichtlich. "An Hamburger Grundschulen hat jedes zweite Kind einen sogenannten Migrationshintergrund", so Riedel. "Aber bei der Besetzung des Lehrpersonals spiegelt sich das nicht wider. Und auch nicht in der Politik oder anderen Entscheidungsebenen." Das zu ändern, sei ein weiterer Grund für sie gewesen, den Verein MOSAIQ zu gründen.

Projekte so vielfältig wie die Vereinsmitglieder

Die Mitglieder des Vereins leben über ganz Hamburg verteilt, und so vielfältig wie die Menschen sind die Projekte des Vereins. So engagiert sich der Verein natürlich politisch. Das bedeutet einmal die direkte Ansprache der Machthabenden und das Formulieren von Forderungen wie die grundsätzliche Anerkennung von Rassismus als ein strukturelles Problem.

"Aber es gibt auch andere politische Ausdrucksformen", sagt Riedel. "Ich kann mich auch durch Kunst, Texte, Theater oder Social Media ausdrücken." So gibt es bei MOSAIQ Workshops, in denen geschrieben, gemalt oder Theater gespielt wird. Andere fertigen wissenschaftliche Studien an, halten Vorträge – oder fangen erst einmal ganz grundlegend damit an, sich in ein Thema einzulesen. "Genau von dieser Vielfalt und den unterschiedlichen Kompetenzen der Mitglieder lebt der Verein", sagt Riedel. Die Interessen der Mitglieder bestimmten so die Richtung und die Schwerpunkte der Vereinsarbeit.

Arbeit mit Schulen und anderen Einrichtungen

Was dabei herauskommt, ist etwa eine Führung durchs Museum der Arbeit in Barmbek. Dort gab es in diesem Jahr eine Ausstellung zur deutschen Kolonialgeschichte. "Mitglieder von uns haben sich diese Ausstellung zuerst angeschaut und dann eine eigene Führung durch die Ausstellung ausgearbeitet, durch die Brille ihrer persönlichen Erfahrungen."

Oft fragen auch Schulen bei MOSAIQ an, an denen ein Schüler wegen seiner Religion oder Hautfarbe beleidigt wurde. Für einen oder mehrere Tage arbeiten die Mitglieder dann mit den Schülern zusammen, leiten Rollenspiele, Workshops und Gespräche, bei denen die Schüler nicht nur Fakten zu hören bekommen, sondern auch ein Gefühl für andere Lebenswelten entwickeln sollen.

Es bewegt sich etwas in der Gesellschaft

"Für unsere Mitglieder bedeutet das alles ganz viel Engagement und Arbeit", sagt Sally Riedel. "Es dauert und kann schmerzhaft sein. Und natürlich ist es auch manchmal demotivierend, diese ganzen tragischen Geschichten der Menschen hören zu müssen. Manchmal fragt man sich: Bewirkt man überhaupt etwas, gibt es wirklich eine gesellschaftliche Veränderung?"

Auf der anderen Seite motiviere es sie, zu sehen, wie sich die Menschen im Verein engagierten. "Wie sie dabei selber wachsen, sich immer mehr zutrauen. Wie sie sich gestärkt fühlen, auch im Alltag viel mehr einzufordern." Das, sagt Riedel, treffe auch auf sie selbst zu.

Mitglieder wollen Hamburg mitgestalten

Seit den Entwicklungen im zurückliegenden Jahr – vor allem in Amerika, mit George Floyd, Polizeigewalt und Black Lives Matter – sei der Zulauf zum Verein stark gestiegen. "Das Thema hat mehr Präsenz in der Gesellschaft gewonnen", freut sich Riedel. "Ich hoffe, das ist nicht nur ein Trend und hält nachhaltig an. Und ich habe auch das Gefühl, dass wir als Verein immer sichtbarer werden in der Stadt. Wir bekommen immer mehr Anfragen: von Einzelpersonen und von Organisationen."

Bleibe noch zu hoffen, dass sich auch an den gesellschaftlichen Strukturen etwas ändert, und Hamburg irgendwann ein Rassismus-kritischer Raum ist. "Ich möchte diese Stadt mitgestalten", sagt Sally Riedel. "Und das geht nur gemeinsam."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Sally Riedel
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