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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ungeklärte Morde und Boxringe Lost Places in Frankfurt: Auf Erkundungstour im Alten Polizeipräsidium
Seit 20 Jahren steht das denkmalgeschützte Alte Polizeipräsidium in Frankfurt leer. Bald sollen hier Büros und Geschäfte einziehen – noch gibt es Führungen.
Putz bröckelt von den nassen schwarzen Wänden, Scheiben sind eingeschlagen, Gitter rostig und teilweise herausgebrochen: Tristesse pur im Innenhof des Alten Polizeipräsidiums. Vor 20 Jahren zog die Polizei aus dem Gebäude aus, bis 2010 wurden dort Partys gefeiert. Zuletzt verirrten sich in das Haus nur noch ein paar Sprayer. Und natürlich die Besucher und Besucherinnen von Lost-Places-Touren.
Doch das soll sich bald ändern: Ein Investor aus Düsseldorf hat das alte Polizeipräsidium gekauft und will es sanieren. Bis April gibt es noch Führungen durch das Gebäude – dann soll aus dem Lost Place ein feudales Wohn- und Geschäftsquartier werden.
An diesem Dienstag führt Kunsthistoriker Christian Setzepfandt eine Besuchergruppe über das 15.000 Quadratmeter große Grundstück. Er zeigt auf eine rabenschwarze Wand: Es sind die Reste des Luftschutz-Hochbunkers aus dem Jahr 1941, der Platz für 300 Menschen bot und als Kommunikationsstelle für die Polizei diente. "Er wurde 1992 teilweise abgerissen. Dabei haben die Wände des Anbaus so gewackelt, dass die Klokästen von der Wand gefallen sind. Darum ist ein Teil geblieben", sagt Setzepfandt. Innen wachsen Moos und Farne "und mindestens zehn Sorten Schimmel – vor allem hochgiftiger Schwarzschimmel".
Nach dem Auszug der Frankfurter Polizei 2002 haben sich die Hells Angels in einem der Nebengebäude einen Boxring eingerichtet. Im Prachtbau des Gebäudes entstand der Club "Präsidium 19/11". Jetzt, wo alles leer steht, ist es beklemmend kalt und düster in den Gängen: Es riecht nach Staub und Historie. Linoleum quietscht unter Gummisohlen.
Dass das Alte Polizeipräsidium steht, wo es steht, ist Franz Adickes zu verdanken. Der Frankfurter Oberbürgermeister von 1891 bis 1912 war ein Verfechter der Stadtentwicklung: "Der kluge OB wollte den Verkehr um die Innenstadt lenken. Hauptbahnhof, Festhalle, der erste Flughafen am Rebstock, die Uni. Bis zum Ostbahnhof wurde eine Behördenversorgungskette gebaut."
Gebäude steht unter Denkmalschutz
Setzepfandt zeigt Fotos von der Einweihung des Polizeipräsidiums im September 1914 auf einem hell leuchtenden Tablet, das in der geschichtsträchtigen, finsteren Umgebung fehl am Platz wirkt. "Da war noch ein Türmchen auf dem Mittelbau, von dem heute nur noch ein Ansatz außen zu erkennen ist. Das und einige Ornamente und Verzierungen sind bei zwei Treffern von Luftminen 1944 im Krieg zerstört und nicht wiederhergestellt worden. Andere betroffene Gebäudeteile wurden 1954 wiederhergestellt", erzählt er.
Vorsichtig tapsen die Besucher weiter. Gruselig wird es, als der endlos erscheinende Gang plötzlich in fast kompletter Dunkelheit endet. Die glänzenden Umrisse schwarzer Säulen sind zu erahnen. Erst nach und nach fällt Licht auf die Säulen aus Granit, hinter denen sich ein doppelseitiges Treppenhaus befindet.
Man erkennt hinter geschwungenen Eisengeländern handbemalte Bleiglasfenster: "Warum die Fenster im Krieg nicht zerstört wurden, ist noch nicht ganz geklärt. Man vermutet, dass sie entweder eingemauert waren oder während des Krieges rausgenommen worden sind", flüstert Setzepfandt. Wieder leuchtet das Tablet und zeigt Glanz und Gloria einer vergangenen Zeit.
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt: Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude hält nach wie vor einiges aus. Erst vor wenigen Wochen hat der Investor, die Düsseldorfer Gerchgroup, Belastungsproben gemacht und die Decken des Gebäudes pro Quadratmeter mit knapp 800 Kilo Gewicht belastet. "Keine 2,5 Millimeter hat sie sich gewölbt. Das Gebäude ist absolut standfest", berichtet der Gästeführer auf dem Weg in die erste Etage, der direkt vor dem ehemaligen großen Sitzungssaal endet.
Aufsehenerregende Kriminalfälle wurden im Gebäude des Alten Polizeipräsidiums bearbeitet, wie der bis heute ungeklärte Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt. Auch die Prostituiertenmorde im Kettenhofweg, die Kaufhausbrände, die die späteren RAF-Terrorristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin legten, der Hammermörder, der sechs Obdachlose getötet hat, und der Thomy-Erpresser, der Lebensmittel mit Blausäure versetzt hat.
Die rätselhaften Hurenmorde von Frankfurt
Frankfurt und sein Umland sind Schauplätze spektakulärer Verbrechen. Als bis heute ungelöst gelten die Morde an den Prostituierten Rosemarie Nitribitt und Helga Matura. Die Fälle weisen auffällige Parallelen auf.
Die Verdächtigen und Täter waren alle in einer der 12 winzigen gekachelten Gewahrsamszellen mit schmaler Pritsche ohne Toilette oder Waschbecken untergebracht. Eiskalt wirken die Zellen, in denen bis zu sieben Personen bis zum Verhör saßen, noch heute – niemand will hier länger nötig bleiben. Fast genauso beklemmend ist die alte Einsatzzentrale, die immer noch schalldicht isoliert ist. Die Führung endet hier – und die Besucher atmen hörbar auf, als sie wieder in den Hof gelangen und zwischen Stachel- und Natodraht hinausgehen ins Hier und Jetzt.
Die Touren durch das Alte Polizeipräsidium sind noch bis April buchbar. Informationen und Buchungen zur Gruseltour ab 16 Jahren gibt es hier.
- Eigene Beobachtungen vor Ort