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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Manchmal reicht ein offenes Ohr" Diese Notfallbegleiterin begleitet durch schwerste Stunden
"Es ist wichtig, dass Menschen in Not wissen, dass sie nicht allein sind": Seit 2002 arbeitet Sabine Haselhuhn ehrenamtlich als Notfallbegleiterin.
Offiziell begann die Arbeit von Sabine Haselhuhn als Notfallbegleiterin 2003 – und hatte ihren Ursprung nach dem Amoklauf im Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Damals erschoss ein 19-jähriger Ex-Schüler elf Lehrer, eine Referendarin, eine Sekretärin, zwei Schüler sowie einen Polizeibeamten. "Da haben wir Notfallbegleiter gebraucht, um für die Familienangehörigen und Schüler da zu sein", erläutert die 59-Jährige im Gespräch mit t-online.
Die Notfallbegleitung Erfurt ist eine Fachgruppe der Freiwilligen Feuerwehr und unter der gemeinsamen Verantwortung der Stadtverwaltung Erfurt, der katholischen Kirche und der evangelischen Kirche. Im kirchlichen Bereich wird der Dienst Notfallseelsorge genannt, im nicht-kirchlichen Krisenintervention. Um beides zu vereinen und niemanden auszuschließen, wurde der Begriff der Notfallbegleitung erschaffen. In Erfurt gibt es 26 Notfallbegleiterinnen und Notfallbegleiter, die in einem Schichtsystem arbeiten. Eine Schicht dauert immer zwölf Stunden und ist auf Bereitschaft. "Manchmal bekomme ich während einer Schicht gar keinen Anruf, manchmal aber auch mehrere", so die zweifache Mutter.
"Manche weinen sehr stark"
Ihre Aufgabe als Notfallbegleiterin besteht darin, Familien in Momenten der Trauer und des Schocks beizustehen, sei es nach plötzlichen Todesfällen im häuslichen Bereich oder bei schweren Unfällen. "Manchmal fahre ich mit der Polizei zu der betroffenen Familie, bleibe aber in der Regel länger da als die Polizei", erzählt sie. Ihre Präsenz während der akuten Phase, die in der Regel etwa zwei Stunden dauert, bietet Trost und Unterstützung, bevor professionelle Hilfe übernimmt.
Doch worauf kommt es an im Umgang mit Personen, die gerade von einem schweren Schicksalsschlag erfahren haben? "Manchmal reicht schon eine einfache Geste der Freundlichkeit oder ein offenes Ohr, um jemandem in einer schwierigen Situation Trost zu spenden." Besonderes Einfühlungsvermögen und Sensibilität seien hier erforderlich. Die Reaktion der Menschen ist komplett unterschiedlich. "Manche weinen sehr stark, manche reden viel, manche sind auch einfach nur froh, dass wir in dem schweren Moment da sind."
Ein Fall, der besonders in Erinnerung geblieben ist
Um Notfallbegleiterin zu werden, muss man eine Ausbildung durchlaufen, die an mindestens drei Wochenenden stattfindet. Selbstverständlich könne man dort in der Theorie aber nicht den Umgang mit jedweden Situationen erlernen. "In der Regel habe ich keine Probleme, die Vorfälle selbst zu verarbeiten. In besonderen Situationen oder, wenn Kinder betroffen sind, ist das aber auch für mich als zweifache Mutter noch mal schwieriger", so Haselhuhn. Besonders ein Fall – es war auch ihr erster – ist ihr in Erinnerung geblieben. Bei dem Einsatz hat ein Mann seine Frau erschossen, die beiden Kinder mussten sich das mit ansehen. Die 59-Jährige sorgte dafür, dass die Kinder in Sicherheit zu ihren Verwandten gebracht wurden.
Einen wichtigen Teil nimmt bei der Notfallbegleitung von Haselhuhn auch ihre Familie ein. "Wenn ich nach Hause komme, setze ich mich hin, mache ein Glas Wein auf und schreibe mein Protokoll. Dann spreche ich mit den Kindern oder meinem Mann."
Besonders freuen würde sich die Erfurter Notfallbegleitung über Verstärkung. Aktuell ist Haselhuhn aber mit ihrer Arbeit und besonders mit den Kolleginnen und Kollegen sehr zufrieden. "Der Hintergrunddienst ist immer erreichbar und organisiert einen Notfallbegleiter, auch wenn mal keiner im Dienstplan steht."
- Interview mit Sabine Haselhuhn