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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen Rechts Neonaziszene trotz Erfolgen weiter gefährlich
Die Dortmunder Neonaziszene gilt als geschwächt. Mehrere Rechte sind inhaftiert oder haben der Szene den Rücken gekehrt. Dennoch warnen Experten davor, die Neonazis zu unterschätzen.
Lange Jahre galt Dortmund und besonders der Stadtteil Dorstfeld als Neonazihochburg. Allmählich wandelt sich das Bild. Die Dortmunder Neonaziszene steckt in der Krise. Sehr zur Freude der Polizei und Zivilgesellschaft. Mehrere führende Köpfe der Szene, wie der Bundesvorsitzende der Neonazi-Kleinstpartei "Die Rechte", Sascha Krolzig, sitzen in Haft, andere haben Dortmund verlassen.
Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag erklärte Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange: "Die Dortmunder Neonaziszene ist personell und organisatorisch geschwächt und so schwach wie seit Jahrzehnten nicht." Insgesamt haben laut WDR in den letzten Monaten zehn Personen die Dortmunder Neonaziszene verlassen, darunter auch Ex-AfD-ler Bernd Schreyner, der für "Die Rechte" als Oberbürgermeisterkandidat bei der Kommunalwahl antrat.
Besonders lobt Lange die Bilanz der "SoKo Rechts", die er 2015 eingerichtet hat. Die Ermittlungsverfahren haben dazu beigetragen, dass zwischen 2015 und 2020 Dortmunder Neonazis insgesamt zu rund 34 Jahren Haft und 60.000 Euro Geldstrafen verurteilt wurden. Durch den hohen Druck der Behörde sei die Zahl der rechten Straftaten in den fünf Jahren zudem um rund 50 Prozent auf 203 zurückgegangen – bei den Gewalttaten liegt die Quote sogar bei fast 75 Prozent. Dabei setzte die Dortmunder Polizei auf ein Intensivtäterkonzept, bei dem auffälligen Neonazis jeweils ein Beamter zugeteilt wurde, der die Ermittlungen gegen die Person bündeln soll.
Erfolgreiche Arbeit gegen Rechts fortführen
Dieses Konzept werde auch zukünftig verfolgt, kündigte Robert Herrmann, der am Donnerstag als neuer Leiter der Kriminalinspektion Staatsschutz vorgestellt wurde, an. Herrmann hatte diese Funktion bereits drei Jahre lang in Gelsenkirchen inne. Der neue Leiter des Staatsschutzes betont zudem, wie wichtig es für die erfolgreiche Arbeit gegen Rechts sei, Zeugenaussagen und Hinweise aus der Bevölkerung zu erhalten und verspricht: "Wir ruhen uns nicht auf Erfolgen aus."
Zu den Erfolgen, die die Polizei im Kampf gegen die Neonazis verbucht, zählt sie auch juristische Siege im Zusammenhang mit Demonstrationen. Der Auflagenbescheid, der für die rechten Versammlungen in Dortmund gilt, umfasst inzwischen 40 Seiten und verbietet etliche rassistische, antisemitische und menschenverachtende Parolen, die zum Teil einen klaren Bezug zum Nationalsozialismus herstellen.
"Mit seinem propagierten Kampf um die Straße, die Parlamente und die Köpfe ist der organisierte Rechtsextremismus in Dortmund in allen Punkten vorerst gescheitert", bilanziert Lange. Der Kampf um die Straße umfasste auch den selbstpropagierten "Nazi-Kiez" in Dorstfeld. Die Neonazis versuchten mit riesigen Graffitis, Aufklebern und einer Drohkulisse den Stadtteil für sich zu vereinnahmen. Die Polizei reagierte darauf mit einem Präsenzkonzept. Zwischen 2016 und 2020 waren fast 10.000 mal Streifenwagen im Einsatz, "um die Einschüchterungsstrategie zu zerschlagen." Die Stadt ließ 2019 ein symbolträchtiges "Nazi-Kiez"-Graffiti mit "our colours are beautiful" übermalen.
Szene nicht führungslos
Die Schwäche auf der Straße wird bei den Versammlungen besonders deutlich: Während die Neonazis Dortmund jahrelang, teils wöchentlich, mit Demonstrationen überzogen hatten, liegt die letzte Kundgebung inzwischen fast ein halbes Jahr zurück. Der letzte Großaufmarsch mit lediglich 350 Teilnehmern fand im Mai 2019 statt. Das Mobilisierungspotenzial der Rechten in Dortmund habe stark nachgelassen, berichtet Leroy Böthel von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus. "Vor zehn Jahren kamen teils bis zu 1.000 Neonazis zu Demonstrationen nach Dortmund."
Dieser Einbruch der rechten Aktivitäten sei nur zum Teil auf die Inhaftierungen zurückzuführen, so Böthel: "Die Szene ist so breit aufgestellt, dass einige Haftstrafen durchaus verkraftbar sind." Die Dortmunder Neonazis haben im vergangenen Jahr mit Michael Brück eine ihrer Führungsfiguren verloren. Der ehemalige Dortmunder Stadtrat ist inzwischen nach Chemnitz gezogen – ebenfalls eine Stadt mit einer starken rechten Szene. "Michael Brück war sowas wie das Sprachrohr der Dortmunder Szene und hat über seine Provokationen im Stadtrat viel Aufmerksamkeit schaffen können", erklärt Böthel.
Im Gegensatz zur Dortmunder Polizei hält er die Szene weiterhin nicht für führungslos. Kader wie der inhaftierte Sascha Krolzig, Stadtratsmitglied Matthias Deyda oder "Kampf der Nibelungen"-Organisator Alexander Deptolla seien mindestens genauso wichtig wie Brück und nehmen seine Position ein.
Kampf auf der Straße?
Durch die neuen Köpfe könnte sich ein erneuter Wandel der Szene andeuten. Böthel befürchtet, dass Führungskräfte wie Deptolla und Deyda eher den Kampf auf der Straße anstreben. Eine Entwicklung, die zurück zu Aktionsformen des Nationalen Widerstands Dortmund (NWDO) führe, sei nicht auszuschließen. Der NWDO wurde als Neonazikameradschaft 2012 von Nordrhein-Westfalens damaligem Innenminister Ralf Jäger (SPD) verboten. Die Kameradschaft und ihr Umfeld waren für brutale Gewalttaten bekannt. Dazu zählen unter anderem der Mord an dem Punker Thomas Schulz 2005, Angriffe auf eine alternative Kneipe, bei dem ein Neonazi einen Gast mit einem Messer verletzte oder der Angriff auf eine Gewerkschaftsdemonstration 2009.
Rechtsextremismus-Experte Böthel lobt die Arbeit der Dortmunder Polizei im Kampf gegen Rechts, die sei aber teils ein Resultat eines gesellschaftlichen Drucks innerhalb der Stadtgesellschaft gewesen. Die Erfolge seien nur ein Etappensieg: "Man tut sich keinen Gefallen, wenn man jetzt einen Abgesang anstimmt. Man kann sich aber über die Entwicklung freuen, die natürlich auch ein Verdienst der antifaschistischen Arbeit in Dortmund ist."
"Wir reden weiterhin über die größte und aktivste Neonaziszene in Westdeutschland. Das Gewaltpotenzial der Szene hat sich nur minimal geändert", gibt Leroy Böthel zu bedenken. Zuletzt griffen Dortmunder Neonazis im Dezember Duisburger Antifaschisten auf dem Weg zu einer "Querdenken"-Demonstration in Düsseldorf an oder beteiligten sich an gewaltsamen Ausschreitungen bei einer ähnlichen Demonstration im November in Leipzig. Der Experte weist zudem darauf hin, dass es bei den polizeilichen Kriminalitätsstatistiken im Bereich der rechten Gewalt ein hohes Dunkelfeld gebe. Manche Opfer zeigen Straftaten nicht an, weil sie Racheaktionen aus der Neonaziszene befürchten.
Anti-Nazi-Bündnis will sich nicht "zurücklehnen"
Ähnliche Töne schlägt das antifaschistische Bündnis BlockaDO an. Das Bündnis aus Gewerkschaften, Parteien und Antifagruppierungen protestiert seit Jahren gegen Neonaziaufmärsche und die Aktivitäten der Rechten in Dortmund. "So ganz trauen wir der Ruhe nicht. Es gibt erste Anzeichen, dass sich neue Strukturen entwickeln", erklärt Iris Bernert-Leushacke von BlockaDO und spielt auf das neugegründete "Tremonia-Kollektiv" an, das versucht, der Dortmunder Neonaziszene einen neuen, modernen Anstrich zu verpassen.
Das "Kollektiv" trat außerhalb ihrer Internetpräsenzen und Stickern im Dortmunder Stadtbild bisher noch nicht groß in Erscheinung. Eine weitere Gefahr gehe von bestehenden rechtsterroristischen Strukturen aus, die nicht öffentlich sichtbar seien, warnt die Autonome Antifa 170, die Teil von BlockaDO ist. Teile der Dortmunder Neonazis unterhalten Kontakte zu verbotenen, militanten Organisationen, wie "Blood and Honour" oder "Combat18" oder sind sogar Teil von diesen.
Trotz der ruhiger gewordenen Neonaziszene wolle man sich "nicht zurücklehnen", so Bernert-Leushacke. "Das wäre das falsche Signal. Es gibt weiterhin eine starke Szene vor Ort." Auch Polizeipräsident Gregor Lange betonte, dass man sich auf einem guten Weg befinde und die Arbeit fortsetzen werde: "Wir kennen die Gefahr und wir kennen die Personen, die das Heft an sich ziehen. Wir werden nicht nachlassen."
- Eigene Recherchen
- Pressekonferenz der Dortmund Polizei am 25. März 2021