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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Champions-League-Sieger im Interview "Dieser Titel ist das Größte, was du erreichen kannst!"
Jörg Heinrich weiß, wie man die Champions League gewinnt. Im Interview erklärt der BVB-Held von 1997, warum er auch jetzt an den Titel glaubt.
Ex-Borusse Jörg Heinrich ist überzeugt davon, dass der BVB im Champions-League-Finale gegen Real Madrid gute Chancen auf den Sieg hat: "Wenn du in einem solchen Finale stehst, musst du dich nicht verstecken!" Er selbst war 1997 in einer ähnlichen Situation. Er gewann mit der Borussia den Titel in Europas Königsklasse: gegen den Favoriten aus Turin und mit der ersten deutschen Mannschaft, der das überhaupt gelang.
Im Interview verrät Jörg Heinrich, warum er den silbernen Henkelpott damals vor der Partie glatt übersehen hat, wie sehr ihn der Empfang der Fans in Dortmund beeindruckt hat und was er der aktuellen Elf für ihr Finale in Wembley mit auf den Weg gibt.
t-online: Herr Heinrich, am Samstag steht der BVB in Wembley mal wieder in einem Champions-League-Finale – kribbelt’s da auch bei Ihnen?
Jörg Heinrich: Es wird mal wieder Zeit! Dieser Titel ist das Größte, was du im Vereinsfußball erreichen kannst. Wenn es da nicht kribbelt, dann ist irgendwas faul. Das gilt auch für mich, ich kann das alles gut nachvollziehen. Diesen Henkelpott mal in die Hand zu bekommen, ist in der Karriere nicht jedem vergönnt. Der BVB hatte die Chance 1997 und 2013 – die Möglichkeiten sind rar, das sieht man. Wir können in Dortmund Verstärkung gebrauchen und Spieler, die sich dann auch mit diesem Titel schmücken können.
Was hat sich aus Ihrer Sicht verändert, seit Sie 1997 mit dem BVB den Titel gewonnen haben?
Die Aufmerksamkeit und das mediale Interesse für diesen Wettbewerb sind seither viel größer geworden. Das Champions-League-Finale wird enorm gepusht – aber auch zu Recht. Nach dem Super Bowl und dem WM-Finale ist es die größte Veranstaltung. 1997 gab es bei Weitem nicht so viel Ablenkungspotenzial. Wir sind ins Hotel gegangen und hatten unsere Ruhe. Damals war auch die Sache mit den Handys noch nicht so krass – da waren Insta, Facebook und all die anderen Social-Media-Sachen noch kein Thema. Es war dadurch insgesamt deutlich ruhiger.
Sehen Sie auch Parallelen zu 1997, vor allem aus sportlicher Sicht?
Wenn man das möchte, kann man die letzten Wochen schon miteinander vergleichen. Bei uns war Juve damals Topfavorit. Auch Real kommt jetzt mit einer Vita, bei der du Respekt haben musst. Aber in einem Spiel, in 90 Minuten, ist alles möglich, das haben wir damals auch gezeigt. Zudem, Real hat in diesem Finale als Favorit jetzt auch etwas zu verlieren. Und sagen wir es mal so: Ich möchte nicht gegen uns spielen müssen.
Zur Person
Jörg Heinrich, geboren am 6. Dezember 1969, ist ein ehemaliger deutscher Fußballer. Er spielte von 1996 bis 1998
sowie von 2000 bis 2003 bei Borussia Dortmund und kam wettbewerbsübergreifend in 195 Partien für den BVB zum Einsatz. Mit den Schwarz-Gelben gewann er zweimal die Deutsche Meisterschaft, einmal die Champions League, einmal den Supercup sowie zweimal den Weltpokal.
Wie ist die Mannschaft damals mit der Außenseiterrolle umgegangen? Hat Trainer Ottmar Hitzfeld vor dem Finale eine besondere Ansprache gehalten?
Ich war so im Tunnel vor dem Spiel, ich weiß nicht mehr, was rechts und links von mir passiert ist. Ich habe beim Warmmachen selbst den Pokal nicht gesehen, der am Spielfeld platziert war. Ich habe erst hinterher mitbekommen, dass er dort stand und einige von uns ihn auch mal angefasst haben. Ich war in meiner eigenen Welt, auch schon in der Vorbereitung – absoluter Tunnelblick.
Hat Ihnen Kalle Riedle vorher von seinem Traum erzählt, dass er zweimal treffen wird?
So bekloppt ist keiner, dass man so etwas vorher erzählt (lacht). Das passt deutlich besser, wenn man dann im Spiel zusammen mit Lars Ricken wirklich zum Hauptakteur wird. Wenn man es geschafft hat, ist die Geschichte auch noch schöner.
Ab wann haben Sie damals gespürt, dass tatsächlich der große Triumph möglich ist?
Nach der 2:0-Führung habe ich zum ersten Mal geglaubt, dass etwas geht für uns. Mit dem dritten Tor war es dann für mich gefühlt durch. Bis dahin war es in der zweiten Halbzeit ein brutaler Druck von Juve, dem wir standhalten mussten. Gerade auch nach dem Anschlusstor der Turiner hat man gemerkt, dass es noch mal eng wird. Aber nach dem 3:1 von Lars (Ex-BVB-Spieler Lars Ricken, Anm. d. Red.) hattest du das Gefühl, dass das Ding durch ist. Da hast du bei Juve gespürt, dass sie am Ende waren. Sie hatten alles gegeben und haben dann diesen Nackenschlag kassiert. Da wusste ich, dass wir den Titel holen.
Am Tag danach haben Hunderttausende in Dortmund die Mannschaft gefeiert. Wie haben Sie das erlebt?
Das ist auch ein Grund, warum du das alles machst – damit du am Ende mit den Fans so feiern kannst. Wenn du beim Autokorso oben auf dem Truck sitzt und die Straße gar nicht mehr sehen kannst vor lauter Menschen, das ist Wahnsinn. Du siehst gar nicht mehr, wo der Lkw eigentlich herfährt. Die Menschen sitzen auf den Bäumen, auf den Laternen und jubeln dir zu. In dem Moment merkst du, was du auch für diese Region getan hast. Das alles zu verarbeiten, dauert aber ein bisschen länger. Das realisierst du nicht an einem Tag.
Was würden Sie nach Ihren Erfahrungen der aktuellen Mannschaft mitgeben für das Finale am Samstag?
Da muss man gar nicht viel sagen: Rausgehen, alles reinhauen und das Ding nach Hause holen! Manchmal ist weniger sogar mehr. Du musst nicht viel über den Gegner reden. Dass die Spieler von Real Madrid kicken können, das wissen wir. Aber wenn du am Ende in einem solchen Finale stehst, dann musst du dich nicht verstecken – egal, gegen welchen Gegner.
Sie sehen die Chancen am Samstag also fifty-fifty?
Ja, so schätze ich die Chancen ein. Ich sehe Real nicht so übermächtig. Klar können die was. Aber wenn wir mal unser Spiel von 1997 zum Vergleich nehmen: Juve war Titelverteidiger, hatte etliche Stars und wir haben das Ding am Ende gewonnen. Wie ich es schon sagte: Ich möchte nicht auf der anderen Seite stehen und gegen unsere schnellen Außenbahnspieler antreten müssen. Da muss sich Real auch einen Kopf machen, wie sie das lösen wollen.
Achten Sie in einem Spiel eigentlich besonders auf die Defensive, weil Sie selbst auf dieser Position gespielt haben?
Ich habe ja in meiner Karriere auf sehr vielen Positionen gespielt und war fast überall mal unterwegs (lacht). Ich beobachte eine Partie doch eher im Ganzen. Aber ich muss sagen, ich mache mir um unsere Defensive keine Sorgen. Und wenn du drei Gegentore kassierst und das Finale am Ende 4:3 ausgeht, ist es doch auch in Ordnung.
Ist es eigentlich eher ein Vor- oder Nachteil, dass man jetzt wie 2013 wieder in Wembley das Finale bestreitet?
Ganz ehrlich: Das wäre mir als Spieler vollkommen egal.
Sind Sie am Samstag selbst vor Ort in Wembley?
Wir sind vom Verein eingeladen, dabei zu sein. Ich denke, eine Reihe der Jungs von früher werden sich das Spiel live vor Ort ansehen. Ich habe 2013 schon einmal dort gesessen und hoffe, dass es dieses Mal ein anderes Ende nimmt.
Sie selbst fiebern nicht nur mit, mit dem BVB. Sie sind für den Klub nach wie vor aktiv.
Als BVB-Botschafter bin ich für den Verein tätig, mittlerweile bin ich zudem auch als Nachwuchstrainer für die Borussia im Ausland aktiv. Wir haben viele Partner in Asien und Amerika, bei denen ich dann unterwegs bin. Daneben kümmere ich mich in meiner Berliner Heimat noch um den Nachwuchs beim SV Falkensee-Finkenkrug.
Hat Sie der Fußball nicht losgelassen nach der Karriere?
Am Ende der aktiven Karriere überlegst du, wie es weitergeht im Leben, was dir viel gebracht hat. Ich habe meine Trainerscheine gemacht, um zu schauen, ob es das ist, was ich möchte. Es hat mir sehr gefallen und ich habe auch das Gefühl, ich kann ein bisschen was zurückgeben. Bis vor ein paar Jahren hätte ich allerdings nicht gedacht, dass ich Kinder trainieren kann, weil ich einfach zu ehrgeizig bin. Aber durch die eigenen Kids hat sich das etwas beruhigt, und inzwischen macht es mir sehr viel Spaß, mit dem Nachwuchs zu arbeiten. Damit bin ich aktuell sehr glücklich. Wenn mal ein anderes Angebot aus dem Seniorenbereich käme, müsste man das entsprechend bewerten. Wie heißt es doch so schön? Sag niemals nie.
Wagen Sie zum Abschluss noch einen Tipp für das Finale?
Das Ergebnis ist mir völlig egal – Hauptsache, wir gewinnen!
- Interview mit Jörg Heinrich