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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kabarettist Frank Goosen im Interview "Fußball wird viel zu wichtig genommen"
Fußball ist für Frank Goosen eine Herzensangelegenheit. Im Interview mit t-online spricht der Kabarettist über die EM und Rivalität im Ruhrpott.
Beim Zeltfestival Ruhr, das ab Mitte August wieder in die Zeltstadt am Kemnader See lockt, ist Frank Goosen Stammgast. Auch in diesem Jahr hat der Autor und Kabarettist zwei Auftritte, und dabei wird wie gewohnt der Deutschen liebstes Hobby wieder breiten Raum einnehmen – der Fußball.
Im Interview mit t-online lässt Goosen kurz vor dem Finale schon mal die Europameisterschaft Revue passieren, verrät, worüber er sich mächtig aufgeregt hat und erklärt, warum Uli Hoeneß mit seiner Einschätzung zum Turnier komplett falschliegt. Außerdem wirft der Bochumer einen Blick auf den Fußball im Pott, schimpft über seinen Herzensverein VfL, findet kritische Worte für den BVB und wagt eine Prognose, ob mit Klubs wie Schalke oder RW Essen auch mal wieder in der Bundesliga zu rechnen ist.
t-online: Frank Goosen, wenn Sie beim Zeltfestival Ruhr auftreten, dreht sich wieder alles um den Fußball?
Frank Goosen: "Heimat, Fußball, Rockmusik" heißt mein Programm, mit dem ich beim Zeltfestival auf der Bühne stehe. Da geht’s nicht nur um Fußball, aber natürlich auch. Es wird wie immer auch Aktuelles einfließen, die Europameisterschaft bietet da einiges. Ich freue mich schon richtig auf meine Auftritte. Für mich ist das Zeltfestival immer das, was für Boris Becker Wimbledon war – mein Wohnzimmer.
Apropos Europameisterschaft: An diesem Sonntag steigt das EM-Finale zwischen Spanien und England. Wem drücken Sie die Daumen?
Ich habe schon lange eine Schwäche für die spanische Nationalmannschaft. Die Spanier haben auch im gesamten Turnier den aktiveren Fußball gespielt. England hat zwar im Halbfinale gegen die Niederlande wirklich gut gespielt, aber sich sonst durch das Turnier gerumpelt, wie es früher die Deutschen gemacht haben. Ich hätte nichts dagegen, wenn Harry Kane mal einen Titel gewinnt. Aber meine Sympathie liegt bei Spanien. Außerdem ist es doch schöner, wenn man hinterher sagen kann, wir sind gegen den späteren Europameister ausgeschieden.
Ganz Deutschland diskutiert gefühlt immer noch das Ausscheiden, das vermeintliche Handspiel und den nicht gegebenen Elfmeter. Diskutieren Sie mit?
Natürlich war das ein klarer Elfmeter vor dem Hintergrund, wie sonst gepfiffen wird. Aber das Thema ist durch. Und dass der Spanier Cucurella, der mit der Hand am Ball war, im Halbfinale dann von den deutschen Fans ausgepfiffen wurde, war das Traurigste, was ich seit langer Zeit gesehen und gehört habe. Was hätte er denn machen sollen? Zum Schiedsrichter gehen und sagen: Ich habe absichtlich Hand gespielt? Das hat er doch gar nicht, auch wenn es eine strafbare Handbewegung war, wie es so schön heißt. Diese Pfiffe im Halbfinale fand ich total peinlich. Dafür sollten sich alle schämen.
Es gab sogar eine Petition, die eine Spielwiederholung gefordert hat.
Das verbuche ich unter Kabarett. So eine Idee kann doch nur als Scherz gemeint sein.
Wie haben Sie den deutschen Fußball während der EM wahrgenommen?
Die deutsche Mannschaft hat versucht, aktiv Fußball zu spielen. Das kann man nicht von allen Teams behaupten bei dieser EM. Das Spiel gegen Spanien hat meine Erwartungen sogar übertroffen. Ich hatte aber auch damit gerechnet, dass es insgesamt besser läuft als bei den letzten Turnieren. Der Spirit schien mir ein komplett anderer zu sein, der Teamgedanke, es waren gute Typen in der Mannschaft. Und damit meine ich nicht unbedingt die, die zumeist auf dem Platz standen. Einer wie Deniz Undav macht mir Riesenspaß, wenn ich den auf einer Pressekonferenz erlebe.
Stimmt Sie das auch optimistisch für die nächsten Jahre?
Es scheinen sich gerade alle einig zu sein, dass das jetzt ein großes Versprechen für die Zukunft ist. Aber das hängt natürlich davon ab, wie man bestimmte Spieler ersetzen wird. Ob zum Beispiel Gündoğan jetzt in die Kroos-Rolle rutscht als ‚pater familias‘. Und ob es im Sturmzentrum entweder gelingt, Füllkrug noch zu einem richtigen Weltklassestürmer zu machen. Ober, ob andere hinterherkommen. Nur mit Musila und Wirtz wird es nicht reichen. Aber ich bin verhalten optimistisch, dass Nagelsmann auf dem richtigen Weg ist. Er setzt auf den Teamgedanken und geht nach der Form der Spieler, nicht nach alten Verdiensten.
Julian Nagelsmann hat auf seiner letzten Pressekonferenz versucht, den Bogen vom Sport zum gesellschaftlichen Miteinander zu spannen. Hat der Fußball die Kraft, etwas zu verändern?
Der Fußball wird viel zu wichtig genommen, das sage ich als Hardcore-Fußballfan und Ex- Funktionär. Fußball sollte das sein, was in den Nachrichten kurz vor dem Wetter kommt. Wenn der Fußball versucht, sich selbst die Rolle zu geben, gesellschaftliche Entwicklungen womöglich sogar zu befördern, dann halte ich das für falsch. Der Fußball reflektiert bestimmte Dinge, die in der Gesellschaft passieren, aber er verändert nichts in der Gesellschaft. Wenn Deutschland Europameister geworden wäre, bleiben zum Beispiel die Mieten in den Ballungsräumen immer noch zu hoch. Probleme, die sonst da waren, sind immer noch da. Fußball reflektiert gesellschaftliche Veränderungen, aber er sollte sich nicht selbst in die Rolle begeben, das Land oder gar Europa einen zu wollen.
Laut Uli Hoeneß hat das Turnier Europa geeint.
Wir haben zusammen eine große Party gefeiert. Und wir haben gezeigt, dass man solche Turniere in Ländern stattfinden lassen sollte, die eine Fußballtradition haben. Das ist ein weiterer Grund, sie nicht in Ländern wie Katar oder Saudi-Arabien stattfinden zu lassen. Aber wenn wir hier eine große Party feiern, steht halb Europa trotzdem vor einem Rechtsruck. Das hat doch überhaupt keine Auswirkungen. Der Fußball sollte sich selbst diesen Schuh nicht anziehen, die Gesellschaft ändern zu wollen und zu können.
Lassen Sie uns vom Nationenturnier zum Vereinsfußball kommen, der Ihnen nach eigener Aussage noch ungleich wichtiger ist. Ihr Herzensklub VfL Bochum ist haarscharf am Abstieg vorbeigeschrammt. Wachen Sie manchmal noch schweißgebadet auf?
Wenn die Dinge gut ausgehen, muss man ja nicht mehr schweißgebadet wach werden. Ich versuche überhaupt, meine allgemeine Laune nicht allzu lange vom Fußball beeinflussen zu lassen. Mir fällt die gute Laune zwar leichter, wenn mein VfL am Wochenende gewonnen hat. Aber ich gestatte dem Fußball nicht mehr, mich wirklich herunterzuziehen. Das ist es nicht wert. Ich habe mich natürlich total geärgert und war stinksauer, als ich nach der Niederlage gegen Düsseldorf im ersten Relegationsspiel aus dem Stadion kam. Aber deswegen liege ich nachts nichts wach oder verprügle meine Kinder und meine Frau. Die würden auch zurückschlagen (lacht).
Hätten Sie ein paar Wochen vor Saisonende gedacht, dass Ihr VfL überhaupt noch mal in Abstiegsgefahr geraten würde?
Ich gehöre zu den wenigen, die es haben kommen sehen, weil ich ein historisches Bewusstsein habe. Es war exakt die gleiche Situation wie im Frühjahr 2010 vor unserem letzten Abstieg. Wir hatten damals bis zu neun Punkte Vorsprung. Und das ist ein Problem in diesem Verein: Man ist zu schnell zufrieden! Diese Haltung, man habe ja schon etwas erreicht, muss aus jedem Verein und Sportler raus – egal, ob Fußball, Hockey oder Rhönrad fahren. Das ist wie mit der Blitztabelle, bei der es heißt, in der 60. Minute war der BVB oder wer auch immer Deutscher Meister: Nein, waren sie nicht, das ist nur ein Zwischenstand! Das macht mich wahnsinnig! Man hat nichts, und das wollen einem die anderen auch noch wegnehmen. Gerade als kleiner Verein musst du so in jedes Spiel gehen. Aus meiner Sicht hat die viel zu frühe Zufriedenheit den VfL einen sicheren Klassenerhalt gekostet.
Der Fußball reflektiert bestimmte Dinge, die in der Gesellschaft passieren, aber er verändert nichts in der Gesellschaft.
Kabarettist Frank Goosen
Der VfL musste gegen den Abstieg kämpfen, der BVB stand im Champions-League-Finale. Haben Sie den Schwarz-Gelben die Daumen gedrückt?
Ich kenne viele Leute in Dortmund, die manchmal an ihrem Verein verzweifeln, wenn er gegen Klubs wie Real Madrid so super spielt und es dann gegen Mainz 05 nicht hinbekommt. Damals unter Klopp kam man an Borussia Dortmund nicht vorbei, auch ich nicht. Wie sie gespielt haben, dieser Spirit – zuletzt haben sie aber eher an die Frankfurter Eintracht der 80-er Jahre erinnert, die als die "launische Diva vom Main" galt. Und die Rivalität im Ruhrgebiet kannst du nie ganz ausschalten. Deswegen bin ich auch nicht automatisch in einem internationalen Spiel immer für die deutsche Mannschaft. Sagen wir es mal so: Ich hätte überhaupt nichts dagegen gehabt, wenn Dortmund die Champions League gewinnt. Aber die Cleverness und Souveränität, mit der Real Madrid das immer wieder macht, gefällt mir auch ganz gut.
Wie erwarten Sie den BVB in der neuen Saison?
Ich finde es ein bisschen schade, dass der BVB jetzt die Bayern-Rolle früherer Zeiten einnimmt und der Konkurrenz die besten Spieler wegkauft. Sie müssen jetzt nachweisen, dass sie in der Lage sind, nachhaltig etwas aufzubauen. Das war in den letzten Jahren leider nicht so und da waren sie auch nicht zur Stelle, als die Bayern geschwächelt haben.
Diese Rivalität im Ruhrpott, die Sie angesprochen haben, bietet nur noch wenige Duelle auf Augenhöhe. Schalke scheint in der 2. Liga festzustecken.
Mit Schalke musst du prinzipiell immer rechnen. Allerdings sind die Zeiten erst einmal vorbei, in denen der Verein viel Geld zur Verfügung hatte. Und am Geld hängt vieles. Als ich beim VfL im Aufsichtsrat war, habe ich mitbekommen, was andere Vereine an Grundgehalt und Prämien zahlen. Ich fürchte, dass Schalke ein ähnliches Schicksal ereilen wird wie zuvor schon einige andere Teams. Im zweiten Jahr ist es fast unmöglich, aufzusteigen. Und dann musst du dich den veränderten Strukturen erst einmal anpassen und bleibst unter Umständen noch deutlich länger in der 2. Liga. Man muss sich ja nur den HSV angucken. Im Fall von Schalke bedaure ich das, das muss ich ganz klar sagen. Ich möchte, dass der VfL sich mit Dortmund und Schalke auf höchstmöglicher Ebene messen kann. So bin ich aufgewachsen, seit ich ins Stadion gehe. Und das tue ich seit 1975, ich feiere im nächsten Jahr mein 50-jähriges Jubiläum.
Haben Sie die Hoffnung, dass andere Traditionsvereine aus dem Ruhrgebiet sich noch mal weiter oben zurückmelden? Rot-Weiss Essen hat zuletzt im Aufstiegsrennen der 3. Liga mitgemischt.
RW Essen gilt ja immer als der schlafende Riese. Essen ist eine große Stadt mit großen Unternehmen, die ein Interesse haben, sich mit einem erfolgreichen Klub zu verbinden. Ich glaube, der Aufstieg von der 3. in die 2. Liga ist jetzt sogar leichter, als es der Aufstieg von der 4. in die 3. Liga war. Aber auch hier läuft ganz viel über Geld. Schafft Essen die 2. Liga, dann kann es richtig interessant werden, denn ab da gibt’s ordentlich Kohle über die Fernsehgelder. Und wenn eine Region mehrere hochklassig spielende Vereine vertragen kann, dann ist es das Ruhrgebiet.
Herr Goosen, vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Frank Goosen