t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalBremen

Bremen: Zwei Bundespolizisten müssen sich vor Gericht verantworten


Bundespolizisten auf der Anklagebank
War die Gewalt gerechtfertigt?


27.06.2023Lesedauer: 4 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Die beiden Angeklagten (l und r) betreten mit ihren Anwälten den Gerichtssaal am Bremer Amtsgericht.Vergrößern des Bildes
Die beiden Angeklagten (links und rechts) betreten mit ihren Anwälten den Gerichtssaal am Bremer Amtsgericht. (Quelle: Steffen Koller)

Zwei Beamte der Bundespolizei treten und schlagen einen angeblich unschuldigen Mann, anschließend sollen sie die Einsatzberichte fingiert haben. Was ist dran an dem Fall?

Was geschah im Herbst 2018 auf einem Bahngleis am Bremer Hauptbahnhof? Drückten Beamte der Bundespolizei einen angeblichen Schwarzfahrer wuchtig gegen eine Glasscheibe, traten ihm in seinen Genitalbereich und schlugen ihn mit Fäusten, obwohl der Mann nichts verbrochen hatte? Und fingierten sie später ihre Einsatzberichte, sprachen sich also ab, was dort zu stehen habe und was nicht? Fast fünf Jahre lang standen diese und weitere Fragen im Raum. Antworten, vor allem eine juristische Aufklärung, gab es lange Zeit nicht.

Seit Dienstag gibt es Antworten – und ein Urteil. Doch es bleibt die drängende Frage: Hätten adäquat geführte interne Ermittlungen der Polizei nicht schon viel früher Licht ins Dunkel bringen können?

Angeklagt waren am Dienstag zwei Beamte der Bundespolizeidirektion Bremen vor dem Amtsgericht in der Hansestadt. Am 10. September 2018 werden die Einsatzkräfte zu einem Intercity auf Gleis 1 gerufen. Dort sollen die heute 36 und 59 Jahre alten Beamten die Personalien eines angeblichen Schwarzfahrers aufnehmen. Der Mann, so beschrieb es eine Bahn-Angestellte am Dienstag, habe kein Ticket vorzeigen können. Auf die Frage, ob der Mann einen Ausweis bei sich habe, verneint er dies ihren Erinnerungen nach. Sie ruft also, das sei ein üblicher Ablauf, die Bundespolizei dazu. Allein aus formalen Gründen: Sie habe wissen müssen, an welche Adresse sie den Bescheid für das nun zu entrichtende Bußgeld schicken könne.

Was zeigt das Überwachungsvideo?

Wenige Minuten danach erscheinen die beiden Männer. Auf Videoaufzeichnungen zweier Überwachungskameras ist zu erkennen, wie sie den heute 27-Jährigen aus dem Wagen aufs Gleis führen und dort seinen Ausweis sehen wollen. Recht schnell entsteht ein Gerangel zwischen den Polizisten und dem angeblichen Schwarzfahrer. Die Bilder der Überwachungskamera sind nur von mittelmäßiger Qualität, vieles ist nur schemenhaft zu erkennen. Einzig ruckartige Bewegungen sind zu sehen, später stürzt der Mann zu Boden.

Die Anklage ging lange Zeit davon aus, dass all das, was die Polizisten taten, rechtswidrig war. Konkret warf die Staatsanwaltschaft den beiden Polizisten Verfolgung Unschuldiger und Körperverletzung beziehungsweise gefährliche Körperverletzung im Amt vor.

Die Polizisten hätten, so die Vorwürfe, den Mann "grundlos" gegen die Wand gedrückt, "grundlos" mit einem Schlagstock geschlagen und ihm "grundlos" zwischen die Beine getreten. Als der Einsatz beendet war, hätten die Beamten ihre Einsatzberichte abgesprochen und fingiert. Auch dieser Vorwurf stand lange im Raum.

Warum dauerte das alles so lange?

Doch von all dem blieb am Ende nichts übrig: Alle Anklagepunkte wurden fallengelassen, die Bundespolizisten freigesprochen. Ja, sagte die Vorsitzende Richterin bei ihrer Urteilsbegründung, Gewalt sei angewendet worden. Und ja, Schläge und Tritte der Beamten seien zu erkennen gewesen. Doch anders, als zur Anklage gebracht, sei all dies eben nicht "grundlos" geschehen.

Die Beamten hatten, so formulierte es die Richterin, das Recht dazu gehabt, Gewalt anzuwenden. "Die Gewalt war gerechtfertigt." Denn, anders, als es die bisherigen Ermittlungen ergeben hatten, wehrte sich der Schwarzfahrer vehement gegen die Kontrolle. Er, so die Überzeugung des Gerichts, schlug und trat nach den Beamten und habe die Polizisten so in Gefahr gebracht. In solchen Fällen sei es rechtmäßig, Gewalt anzuwenden, um eine polizeiliche Maßnahme durchführen zu können. Beamte sprechen von Schmerzreizen, die sie unter anderem mit sogenannten "Schocktritten" auslösen können.

Doch warum landete der Fall dann, nach fast fünf Jahren, überhaupt noch vor Gericht? Zurückzuführen ist das Ganze auf interne Ermittlungen gegen die Bundespolizisten. Eine Angestellte des Bremer Innenressorts, die für den Fall zuständig war, erklärte vor Gericht, Einsatzberichte und Videoaufzeichnungen hätten ihres Erachtens nicht zusammengepasst. Sie habe keine Gegenwehr des Schwarzfahrers beobachten können. Somit wäre der Einsatz von Schlagstock, Faust und Fuß nicht gerechtfertigt gewesen.

Interne Ermittlungen offenbar nicht gründlich

Doch bei den Ermittlungen, das wurde vor Gericht deutlich, ließ die Beamtin der Innenbehörde wohl einiges außer acht. Unter anderem fehlen sechs entscheidende Sekunden auf den Überwachungsvideos, da das Sichtfeld der Kamera deckt nicht jeden Winkel des Bahngleises abdeckt.

Zudem, das bestätigte die Zeugin vor Gericht, habe sie sich nie näher mit dem angeblichen Schwarzfahrer auseinandergesetzt. Ihn zum Beispiel zu vernehmen, habe sie nicht für nötig erachtet. Wie zahlreiche Prozessakten jedoch zeigen, litt der Mann zum Zeitpunkt der Kontrolle unter anderem an einer paranoiden Schizophrenie. Mehrfach wurde der Mann aufgrund von vorhandener "Selbst- und Fremdgefährdung" in forensische Kliniken eingewiesen und war auf Medikamente angewiesen.

Sie prüfe stets den Einzelfall, sagte die Beamtin der internen Ermittlung. Sie habe es in diesem Fall jedoch nicht interessiert, ob der Mann davor oder danach bereits auffällig gewesen war. Hätte sie das getan, dann hätte sie gewusst, dass der heute 27-Jährige nur vier Tage nach dem Vorfall in Bremen einen weiteren Bundespolizisten anzugreifen versuchte. In Braunschweig soll der Mann, so zeigen es Einsatzberichte, versucht haben, eine glühende Zigarette auf dem Arm eines Polizisten auszudrücken. Für die Verteidiger sei allein das ein Indiz, dass ihre Mandanten es mit einer potenziell gefährlichen Person zu tun gehabt hatten.

"Es brauchte ein gewaltsames Einschreiten"

Gewissenhafte Recherche hätte den Polizisten ein "unsägliches Langverfahren" erspart. So formulierte es ein Anwalt am Dienstag. Fünf Jahre lang hätten die Angeklagten um ihren Job und um ihre Reputation gebangt. Innerhalb der Dienststelle seien sie versetzt worden, allein das hinterlasse Spuren, so ein Verteidiger in einer Verhandlungspause. Für beide habe zudem ein Beförderungsstopp im Raum gestanden. Insbesondere für den jüngeren Beamten, zur Zeit des Vorfalls gerade Anfang 30, habe das eine enorme psychische Belastung bedeutet.

Für die Beamtin des Innenressorts seien Videomaterial und Einsatzberichte schlicht "nicht schlüssig" gewesen, begründete sie ihre Ermittlungen. Doch anstatt sich an dieser Stelle näher mit dem Fall zu beschäftigen, sich sowohl das angebliche Opfer und seine Geschichte anzuschauen, habe sie all das aus den Augen gelassen und sich kein Gesamtbild verschafft, kritisierten die Verteidiger. "So kann man das einfach nicht machen", sagte ein Anwalt während seines Schlussvortrags.

Es habe nie eine Verfolgung Unschuldiger gegeben. Das Erschleichen von Leistungen habe der Mann ja bereits gegenüber der Bahnangestellten eingeräumt. Der Schwarzfahrer habe getreten und geschlagen, "es brauchte also ein gewaltsames Einschreiten".

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen vor Ort
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website